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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824.

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dem Heiligthume anders als mit dem größten Zutrauen
zu nahen, das fast den ganzen politischen Zustand des
Landes geordnet, die Colonien geleitet, die Gottesfrie-
den gestiftet, Lykurgs Gesetzordnung eingeführt u. s. w.
Da hatte der Gott meistentheils nicht zu sagen, was
geschehen würde, sondern was geschehen sollte, und
verkündete oft ein nicht von ihm unabhängiges, sondern
durch seine Sprüche selbst herbeigezogenes Schicksal.
Insonderheit waren alle Dorier in einem gewissen Un-
terthanenverhältniß zum Pythischen Tempel; und so
lange dieser Stamm das Principat von Hellas hatte,
galt die mesomphalos estia mit dem ewigen Feuer 1
zu Pytho in der That für das Prytaneion und den
religiösen Mittelpunkt des ganzen Hellenenvolkes 2.

9.

Uebrigens wurde im alten Griechenlande keines-
wegs alle Weissagung von Apollon abgeleitet, sondern
nur solche, die aus einer Seelenerleuchtung und See-
lenerhebung hervorgeht, welche das in hohem Sinn Ge-
dachte auch äußerlich als nothwendig postulirt. Jener
schwärmerische Seelenzustand, in den kühle Grotten
mit ihren rinnenden Wässern, tönendem Wiederhall, rau-
schendem Luftzuge das empfindsame Gemüth der Vor-
welt versetzten, wurde dagegen von den Nymphen ab-
geleitet, und die Bakiden, welche als ntmpholeptoi
erscheinen, haben so wenig mit Apollon gemein, als
die Seleniakoi, unter denen Musäos genannt wird 3.
Von der Divination aus Beobachtung werden nur
hie und da einzelne Zweige, mehr zufällig als nach

1 S. Hom. Hymn. 24. Aesch. Choeph. 1037. Curip. Jon
474. Plut. Numa 9.
2 vgl. Platon Rep. 4. p. 179, 7. Gesetze
6. p. 428, 12. Bekk.
3 Auch die Traumweissagung setzt Eurip.
(Iphig. T. 1264.) der Weissagung Ap. entgegen, und deutet dar-
auf den Kampf von Gäa und Phöbos.

dem Heiligthume anders als mit dem groͤßten Zutrauen
zu nahen, das faſt den ganzen politiſchen Zuſtand des
Landes geordnet, die Colonien geleitet, die Gottesfrie-
den geſtiftet, Lykurgs Geſetzordnung eingefuͤhrt u. ſ. w.
Da hatte der Gott meiſtentheils nicht zu ſagen, was
geſchehen wuͤrde, ſondern was geſchehen ſollte, und
verkuͤndete oft ein nicht von ihm unabhaͤngiges, ſondern
durch ſeine Spruͤche ſelbſt herbeigezogenes Schickſal.
Inſonderheit waren alle Dorier in einem gewiſſen Un-
terthanenverhaͤltniß zum Pythiſchen Tempel; und ſo
lange dieſer Stamm das Principat von Hellas hatte,
galt die μεσόμϕαλος ἑστία mit dem ewigen Feuer 1
zu Pytho in der That fuͤr das Prytaneion und den
religioͤſen Mittelpunkt des ganzen Hellenenvolkes 2.

9.

Uebrigens wurde im alten Griechenlande keines-
wegs alle Weiſſagung von Apollon abgeleitet, ſondern
nur ſolche, die aus einer Seelenerleuchtung und See-
lenerhebung hervorgeht, welche das in hohem Sinn Ge-
dachte auch aͤußerlich als nothwendig poſtulirt. Jener
ſchwaͤrmeriſche Seelenzuſtand, in den kuͤhle Grotten
mit ihren rinnenden Waͤſſern, toͤnendem Wiederhall, rau-
ſchendem Luftzuge das empfindſame Gemuͤth der Vor-
welt verſetzten, wurde dagegen von den Nymphen ab-
geleitet, und die Bakiden, welche als ντμϕόληπτοι
erſcheinen, haben ſo wenig mit Apollon gemein, als
die Σεληνιακοί, unter denen Muſaͤos genannt wird 3.
Von der Divination aus Beobachtung werden nur
hie und da einzelne Zweige, mehr zufaͤllig als nach

1 S. Hom. Hymn. 24. Aeſch. Choeph. 1037. Curip. Jon
474. Plut. Numa 9.
2 vgl. Platon Rep. 4. p. 179, 7. Geſetze
6. p. 428, 12. Bekk.
3 Auch die Traumweiſſagung ſetzt Eurip.
(Iphig. T. 1264.) der Weiſſagung Ap. entgegen, und deutet dar-
auf den Kampf von Gaͤa und Phoͤbos.
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[340/0370] dem Heiligthume anders als mit dem groͤßten Zutrauen zu nahen, das faſt den ganzen politiſchen Zuſtand des Landes geordnet, die Colonien geleitet, die Gottesfrie- den geſtiftet, Lykurgs Geſetzordnung eingefuͤhrt u. ſ. w. Da hatte der Gott meiſtentheils nicht zu ſagen, was geſchehen wuͤrde, ſondern was geſchehen ſollte, und verkuͤndete oft ein nicht von ihm unabhaͤngiges, ſondern durch ſeine Spruͤche ſelbſt herbeigezogenes Schickſal. Inſonderheit waren alle Dorier in einem gewiſſen Un- terthanenverhaͤltniß zum Pythiſchen Tempel; und ſo lange dieſer Stamm das Principat von Hellas hatte, galt die μεσόμϕαλος ἑστία mit dem ewigen Feuer 1 zu Pytho in der That fuͤr das Prytaneion und den religioͤſen Mittelpunkt des ganzen Hellenenvolkes 2. 9. Uebrigens wurde im alten Griechenlande keines- wegs alle Weiſſagung von Apollon abgeleitet, ſondern nur ſolche, die aus einer Seelenerleuchtung und See- lenerhebung hervorgeht, welche das in hohem Sinn Ge- dachte auch aͤußerlich als nothwendig poſtulirt. Jener ſchwaͤrmeriſche Seelenzuſtand, in den kuͤhle Grotten mit ihren rinnenden Waͤſſern, toͤnendem Wiederhall, rau- ſchendem Luftzuge das empfindſame Gemuͤth der Vor- welt verſetzten, wurde dagegen von den Nymphen ab- geleitet, und die Bakiden, welche als ντμϕόληπτοι erſcheinen, haben ſo wenig mit Apollon gemein, als die Σεληνιακοί, unter denen Muſaͤos genannt wird 3. Von der Divination aus Beobachtung werden nur hie und da einzelne Zweige, mehr zufaͤllig als nach 1 S. Hom. Hymn. 24. Aeſch. Choeph. 1037. Curip. Jon 474. Plut. Numa 9. 2 vgl. Platon Rep. 4. p. 179, 7. Geſetze 6. p. 428, 12. Bekk. 3 Auch die Traumweiſſagung ſetzt Eurip. (Iphig. T. 1264.) der Weiſſagung Ap. entgegen, und deutet dar- auf den Kampf von Gaͤa und Phoͤbos.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/370>, abgerufen am 22.11.2024.