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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824.

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Denn Trauerfeste mit Todtengebräuchen und zerfließen-
der Wehmuth, wie das Naturschwelgen des Orgias-
mus, sind eigentlich nicht im Charakter der Dorier,
wenn auch die Ehrfurcht vor altherkömmlichen und an
einem Orte ansässigen Culten sie oftmals zur Annahme
auch solcher bewog. Dagegen zeigt sich in ihren Festen
und Religionsgebräuchen im Ganzen eine Heiterkeit,
die es für den schönsten Dienst der Götter achtet, sich
zu freuen vor ihrem Angesicht, und Darstellung des
zu würdiger Schönheit ausgebildeten Volkes für die
wohlgefälligste Schau. Zugleich trägt ihr Gottesdienst
das Gepräge der schlichten Einfachheit bei großer
Wärme des Herzens. Die Spartiaten beteten: "die
Götter möchten ihnen das Schöne zu dem Guten ge-
ben" 1, und obgleich sie keine prunkvollen Pompen auf-
führten, und selbst mangelhafte Opferthiere darzubrin-
gen beschuldigt wurden: erklärte doch Zeus Ammon:
die Euphemia der Spartiaten sei ihm lieber als alle
Opfer der Hellenen" 2. Dazu hatten sie die treueste
Anhänglichkeit an die von den Vätern ererbten Gebräu-
che und Sitten, und deswegen auch geringe Empfäng-
lichkeit für Aufnahme ausländischer Sacra 3, die da-
gegen in Handelsstädten, aus Rücksicht für die Frem-
den anderer Stämme und Nationen, ziemlich willkom-
menen Empfang fanden, z. B. in Korinth 4.



1 Der Platon. Alkib. II, 148. Plut. Inst. Lac. p. 253.
2 Plat. ebd. vgl. Plut. Lyk. 19. Vgl. die übereinstimmende An-
sicht des Delph. Orakels, Porphyr. de abstin. 2, 15.
3 Eine
Ausnahme macht Ammon, der besonders durch Lysandros in Sp.
in Ansehen kam, Bd. 1. S. 359.
4 Daher hier die Thraki-
sche Kotytto, Eupolis bei Hesych s. v. Suid. Thiasotes, Kotus.

Denn Trauerfeſte mit Todtengebraͤuchen und zerfließen-
der Wehmuth, wie das Naturſchwelgen des Orgias-
mus, ſind eigentlich nicht im Charakter der Dorier,
wenn auch die Ehrfurcht vor altherkoͤmmlichen und an
einem Orte anſaͤſſigen Culten ſie oftmals zur Annahme
auch ſolcher bewog. Dagegen zeigt ſich in ihren Feſten
und Religionsgebraͤuchen im Ganzen eine Heiterkeit,
die es fuͤr den ſchoͤnſten Dienſt der Goͤtter achtet, ſich
zu freuen vor ihrem Angeſicht, und Darſtellung des
zu wuͤrdiger Schoͤnheit ausgebildeten Volkes fuͤr die
wohlgefaͤlligſte Schau. Zugleich traͤgt ihr Gottesdienſt
das Gepraͤge der ſchlichten Einfachheit bei großer
Waͤrme des Herzens. Die Spartiaten beteten: “die
Goͤtter moͤchten ihnen das Schoͤne zu dem Guten ge-
ben” 1, und obgleich ſie keine prunkvollen Pompen auf-
fuͤhrten, und ſelbſt mangelhafte Opferthiere darzubrin-
gen beſchuldigt wurden: erklaͤrte doch Zeus Ammon:
die Euphemia der Spartiaten ſei ihm lieber als alle
Opfer der Hellenen” 2. Dazu hatten ſie die treueſte
Anhaͤnglichkeit an die von den Vaͤtern ererbten Gebraͤu-
che und Sitten, und deswegen auch geringe Empfaͤng-
lichkeit fuͤr Aufnahme auslaͤndiſcher Sacra 3, die da-
gegen in Handelsſtaͤdten, aus Ruͤckſicht fuͤr die Frem-
den anderer Staͤmme und Nationen, ziemlich willkom-
menen Empfang fanden, z. B. in Korinth 4.



1 Der Platon. Alkib. II, 148. Plut. Inst. Lac. p. 253.
2 Plat. ebd. vgl. Plut. Lyk. 19. Vgl. die uͤbereinſtimmende An-
ſicht des Delph. Orakels, Porphyr. de abstin. 2, 15.
3 Eine
Ausnahme macht Ammon, der beſonders durch Lyſandros in Sp.
in Anſehen kam, Bd. 1. S. 359.
4 Daher hier die Thraki-
ſche Kotytto, Eupolis bei Heſych s. v. Suid. Θιασώτης, Κότυς.
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[410/0440] Denn Trauerfeſte mit Todtengebraͤuchen und zerfließen- der Wehmuth, wie das Naturſchwelgen des Orgias- mus, ſind eigentlich nicht im Charakter der Dorier, wenn auch die Ehrfurcht vor altherkoͤmmlichen und an einem Orte anſaͤſſigen Culten ſie oftmals zur Annahme auch ſolcher bewog. Dagegen zeigt ſich in ihren Feſten und Religionsgebraͤuchen im Ganzen eine Heiterkeit, die es fuͤr den ſchoͤnſten Dienſt der Goͤtter achtet, ſich zu freuen vor ihrem Angeſicht, und Darſtellung des zu wuͤrdiger Schoͤnheit ausgebildeten Volkes fuͤr die wohlgefaͤlligſte Schau. Zugleich traͤgt ihr Gottesdienſt das Gepraͤge der ſchlichten Einfachheit bei großer Waͤrme des Herzens. Die Spartiaten beteten: “die Goͤtter moͤchten ihnen das Schoͤne zu dem Guten ge- ben” 1, und obgleich ſie keine prunkvollen Pompen auf- fuͤhrten, und ſelbſt mangelhafte Opferthiere darzubrin- gen beſchuldigt wurden: erklaͤrte doch Zeus Ammon: die Euphemia der Spartiaten ſei ihm lieber als alle Opfer der Hellenen” 2. Dazu hatten ſie die treueſte Anhaͤnglichkeit an die von den Vaͤtern ererbten Gebraͤu- che und Sitten, und deswegen auch geringe Empfaͤng- lichkeit fuͤr Aufnahme auslaͤndiſcher Sacra 3, die da- gegen in Handelsſtaͤdten, aus Ruͤckſicht fuͤr die Frem- den anderer Staͤmme und Nationen, ziemlich willkom- menen Empfang fanden, z. B. in Korinth 4. 1 Der Platon. Alkib. II, 148. Plut. Inst. Lac. p. 253. 2 Plat. ebd. vgl. Plut. Lyk. 19. Vgl. die uͤbereinſtimmende An- ſicht des Delph. Orakels, Porphyr. de abstin. 2, 15. 3 Eine Ausnahme macht Ammon, der beſonders durch Lyſandros in Sp. in Anſehen kam, Bd. 1. S. 359. 4 Daher hier die Thraki- ſche Kotytto, Eupolis bei Heſych s. v. Suid. Θιασώτης, Κότυς.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/440>, abgerufen am 13.06.2024.