Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824.

Bild:
<< vorherige Seite

nothwendig auch die Götter: woraus aber nichts we-
niger als ein eigentlicher Religionskrieg folgt. Auf der
andern Seite ist der Mythus auch nicht rein symbo-
lisch zu fassen, so daß Herakles etwa blos als Tod-
bezwinger, als ein die Schrecken der Unterwelt mil-
dernder und lösender Dämon im Cultus neben Hades
gestanden hätte. Dann müßte wirkliche Rebeneinander-
stellung, gemeinsame Verehrung nachgewiesen werden:
und wie kommt dann die Eroberung von Ephyra da-
mit zusammen? Sondern dieser Mythus hat, wie
fast alle ältesten, nicht blos ein geistiges Wesen, sondern
auch Fleisch und Bein, Beziehung auf wirklich vorhan-
dene Gegenstände, eine warme Lokalfarbe, ein vollstän-
diges Leben. -- Als ein Zeichen jenes Sieges, das
Herakles vom Acheron oder aus der Unterwelt zurück-
gebracht, sah man den Kranz der weißen Pappel an 1
-- die auch Homer als am Acheron einheimisch und
in den Hainen der Persephone wachsend erwähnt 2,
und Herakles verpflanzte -- nach Sage der Aetolischen
Eleer -- den Baum von da auch nach Olympia, wo
die Sieger einen Zweig davon zu tragen pflegten.

4.

Diesen halbsymbolischen Charakter verliert die
Mythe gänzlich, indem sie von der Eroberung von Ephy-
ra die Geburt mehrerer Dorischen Helden ableitet, die,
wenn auch außerhalb der Geschichte, doch nichts weni-
ger als Symbole oder Ideen sind. Erstens zeugt He-
rakles den Tlepolemos mit der Astyocheia, die er
nach Homer von Ephyra am Selleeis geführt, nach-
dem er viele Städte gottgenährter Männer verwüstet 3.

1 Paus. 5, 14, 3. Etym. M. Akherois 180, 50.
Schol. Theokr. 2, 121. Aa.
2 Il. 13, 389. 16, 482. vgl.
Schol. zur erstern Stelle. -- Daß in Homers Nekyia mehrmals
Epirotisches Lokal hineinspielt, ist keinem Zweifel unterworfen.
3 Il. 2, 657.

nothwendig auch die Goͤtter: woraus aber nichts we-
niger als ein eigentlicher Religionskrieg folgt. Auf der
andern Seite iſt der Mythus auch nicht rein ſymbo-
liſch zu faſſen, ſo daß Herakles etwa blos als Tod-
bezwinger, als ein die Schrecken der Unterwelt mil-
dernder und loͤſender Daͤmon im Cultus neben Hades
geſtanden haͤtte. Dann muͤßte wirkliche Rebeneinander-
ſtellung, gemeinſame Verehrung nachgewieſen werden:
und wie kommt dann die Eroberung von Ephyra da-
mit zuſammen? Sondern dieſer Mythus hat, wie
faſt alle aͤlteſten, nicht blos ein geiſtiges Weſen, ſondern
auch Fleiſch und Bein, Beziehung auf wirklich vorhan-
dene Gegenſtaͤnde, eine warme Lokalfarbe, ein vollſtaͤn-
diges Leben. — Als ein Zeichen jenes Sieges, das
Herakles vom Acheron oder aus der Unterwelt zuruͤck-
gebracht, ſah man den Kranz der weißen Pappel an 1
— die auch Homer als am Acheron einheimiſch und
in den Hainen der Perſephone wachſend erwaͤhnt 2,
und Herakles verpflanzte — nach Sage der Aetoliſchen
Eleer — den Baum von da auch nach Olympia, wo
die Sieger einen Zweig davon zu tragen pflegten.

4.

Dieſen halbſymboliſchen Charakter verliert die
Mythe gaͤnzlich, indem ſie von der Eroberung von Ephy-
ra die Geburt mehrerer Doriſchen Helden ableitet, die,
wenn auch außerhalb der Geſchichte, doch nichts weni-
ger als Symbole oder Ideen ſind. Erſtens zeugt He-
rakles den Tlepolemos mit der Aſtyocheia, die er
nach Homer von Ephyra am Selleeis gefuͤhrt, nach-
dem er viele Staͤdte gottgenaͤhrter Maͤnner verwuͤſtet 3.

1 Pauſ. 5, 14, 3. Etym. M. Ἀχεϱωΐς 180, 50.
Schol. Theokr. 2, 121. Aa.
2 Il. 13, 389. 16, 482. vgl.
Schol. zur erſtern Stelle. — Daß in Homers Nekyia mehrmals
Epirotiſches Lokal hineinſpielt, iſt keinem Zweifel unterworfen.
3 Il. 2, 657.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0450" n="420"/>
nothwendig auch die Go&#x0364;tter: woraus aber nichts we-<lb/>
niger als ein eigentlicher Religionskrieg folgt. Auf der<lb/>
andern Seite i&#x017F;t der Mythus auch nicht rein &#x017F;ymbo-<lb/>
li&#x017F;ch zu fa&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o daß Herakles etwa blos als Tod-<lb/>
bezwinger, als ein die Schrecken der Unterwelt mil-<lb/>
dernder und lo&#x0364;&#x017F;ender Da&#x0364;mon im Cultus neben Hades<lb/>
ge&#x017F;tanden ha&#x0364;tte. Dann mu&#x0364;ßte wirkliche Rebeneinander-<lb/>
&#x017F;tellung, gemein&#x017F;ame Verehrung nachgewie&#x017F;en werden:<lb/>
und wie kommt dann die Eroberung von Ephyra da-<lb/>
mit zu&#x017F;ammen? Sondern die&#x017F;er Mythus hat, wie<lb/>
fa&#x017F;t alle a&#x0364;lte&#x017F;ten, nicht blos ein gei&#x017F;tiges We&#x017F;en, &#x017F;ondern<lb/>
auch Flei&#x017F;ch und Bein, Beziehung auf wirklich vorhan-<lb/>
dene Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde, eine warme Lokalfarbe, ein voll&#x017F;ta&#x0364;n-<lb/>
diges Leben. &#x2014; Als ein Zeichen jenes Sieges, das<lb/>
Herakles vom Acheron oder aus der Unterwelt zuru&#x0364;ck-<lb/>
gebracht, &#x017F;ah man den Kranz der weißen Pappel an <note place="foot" n="1">Pau&#x017F;. 5, 14, 3. Etym. M. &#x1F08;&#x03C7;&#x03B5;&#x03F1;&#x03C9;&#x1FD3;&#x03C2; 180, 50.<lb/>
Schol. Theokr. 2, 121. Aa.</note><lb/>
&#x2014; die auch Homer als am Acheron einheimi&#x017F;ch und<lb/>
in den Hainen der Per&#x017F;ephone wach&#x017F;end erwa&#x0364;hnt <note place="foot" n="2">Il. 13, 389. 16, 482. vgl.<lb/>
Schol. zur er&#x017F;tern Stelle. &#x2014; Daß in Homers Nekyia mehrmals<lb/>
Epiroti&#x017F;ches Lokal hinein&#x017F;pielt, i&#x017F;t keinem Zweifel unterworfen.</note>,<lb/>
und Herakles verpflanzte &#x2014; nach Sage der Aetoli&#x017F;chen<lb/>
Eleer &#x2014; den Baum von da auch nach Olympia, wo<lb/>
die Sieger einen Zweig davon zu tragen pflegten.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>4.</head><lb/>
              <p>Die&#x017F;en halb&#x017F;ymboli&#x017F;chen Charakter verliert die<lb/>
Mythe ga&#x0364;nzlich, indem &#x017F;ie von der Eroberung von Ephy-<lb/>
ra die Geburt mehrerer Dori&#x017F;chen Helden ableitet, die,<lb/>
wenn auch außerhalb der Ge&#x017F;chichte, doch nichts weni-<lb/>
ger als Symbole oder Ideen &#x017F;ind. Er&#x017F;tens zeugt He-<lb/>
rakles den <hi rendition="#g">Tlepolemos</hi> mit der A&#x017F;tyocheia, die er<lb/>
nach Homer von Ephyra am Selleeis gefu&#x0364;hrt, nach-<lb/>
dem er viele Sta&#x0364;dte gottgena&#x0364;hrter Ma&#x0364;nner verwu&#x0364;&#x017F;tet <note place="foot" n="3">Il. 2, 657.</note>.<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[420/0450] nothwendig auch die Goͤtter: woraus aber nichts we- niger als ein eigentlicher Religionskrieg folgt. Auf der andern Seite iſt der Mythus auch nicht rein ſymbo- liſch zu faſſen, ſo daß Herakles etwa blos als Tod- bezwinger, als ein die Schrecken der Unterwelt mil- dernder und loͤſender Daͤmon im Cultus neben Hades geſtanden haͤtte. Dann muͤßte wirkliche Rebeneinander- ſtellung, gemeinſame Verehrung nachgewieſen werden: und wie kommt dann die Eroberung von Ephyra da- mit zuſammen? Sondern dieſer Mythus hat, wie faſt alle aͤlteſten, nicht blos ein geiſtiges Weſen, ſondern auch Fleiſch und Bein, Beziehung auf wirklich vorhan- dene Gegenſtaͤnde, eine warme Lokalfarbe, ein vollſtaͤn- diges Leben. — Als ein Zeichen jenes Sieges, das Herakles vom Acheron oder aus der Unterwelt zuruͤck- gebracht, ſah man den Kranz der weißen Pappel an 1 — die auch Homer als am Acheron einheimiſch und in den Hainen der Perſephone wachſend erwaͤhnt 2, und Herakles verpflanzte — nach Sage der Aetoliſchen Eleer — den Baum von da auch nach Olympia, wo die Sieger einen Zweig davon zu tragen pflegten. 4. Dieſen halbſymboliſchen Charakter verliert die Mythe gaͤnzlich, indem ſie von der Eroberung von Ephy- ra die Geburt mehrerer Doriſchen Helden ableitet, die, wenn auch außerhalb der Geſchichte, doch nichts weni- ger als Symbole oder Ideen ſind. Erſtens zeugt He- rakles den Tlepolemos mit der Aſtyocheia, die er nach Homer von Ephyra am Selleeis gefuͤhrt, nach- dem er viele Staͤdte gottgenaͤhrter Maͤnner verwuͤſtet 3. 1 Pauſ. 5, 14, 3. Etym. M. Ἀχεϱωΐς 180, 50. Schol. Theokr. 2, 121. Aa. 2 Il. 13, 389. 16, 482. vgl. Schol. zur erſtern Stelle. — Daß in Homers Nekyia mehrmals Epirotiſches Lokal hineinſpielt, iſt keinem Zweifel unterworfen. 3 Il. 2, 657.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/450
Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/450>, abgerufen am 22.11.2024.