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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824.

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Dorischen Cyklus mit herüber erhielten, und ist durch-
aus ethisch zu fassen 1. Wen ergreift nicht der Gedanke,
wie der edle Zeussohn, der die inwohnende Fülle der
Kraft mit so unverwüstlicher Ausdauer zum Edlen,
Großen, Schönen lenkt, so unendliche Mühsale für das
Wohl Anderer durchringt, doch unter der Gewalt einer
ihm von der Gottheit verhängten Ate steht, die im
unbewachten Augenblicke das Kraftgefühl zum Ueber-
muthe, den edlen Zorn zur Wuth anfacht; worauf der
Held dann, das innere Herz niederbändigend, und den
Stolz der Natur zum Staube beugend, selbst jegliches
Leid und Trübsal über sich nehmen muß. In der Böo-
tischen Sage nun war es ein düsterer Wahnsinn, in
dem Herakles, selbst das Liebste nicht kennend, seine
Kinder mordete und sogar seinen Vater tödten wollte 2,
der die lange Kuechtschaft nach sich zog. Der von tie-
fer Schwermuth niedergedrückte Held wendet sich nun
an den sühnenden Gott Apollon, und zwar entweder
an den einheimischen des Ismenions, (wo man unter
dem Altar einen Besänftigungsstein, lithos sophroni-
ster, zeigte, der ihm die Besinnung wiedergegeben) 3
oder an den Pythischen 4. Der Gott befiehlt ihm als
Knecht zu dienen, wie er selbst nach Pythons Ermor-
dung gedient hatte. Hieran knüpften nun die Dichter,
die einen Zusammenhang in die verschiedenen Sagen-
kreise zu bringen suchten, die Knechtschaft bei Eury-
stheus, wie sie auf den Mord des Iphitos eine Lydi-

1 Die mania kam auch in den Kupriois epesi vor nach
Proklos Auszug, aber wurde dort, wenn ich den Zusammenhang
recht fasse, durch eine Liebe und Entführung des Heros motivirt.
2 Eurip. Rasend. Her. Paus. 9, 11, 1.
3 P. 9, 11, 5.
4 Darauf gehen die Verse des Panyasis bei Paus. 10, 8, 1.,
wo Her. über den Parnaß zur Kastalia kommt.

Doriſchen Cyklus mit heruͤber erhielten, und iſt durch-
aus ethiſch zu faſſen 1. Wen ergreift nicht der Gedanke,
wie der edle Zeusſohn, der die inwohnende Fuͤlle der
Kraft mit ſo unverwuͤſtlicher Ausdauer zum Edlen,
Großen, Schoͤnen lenkt, ſo unendliche Muͤhſale fuͤr das
Wohl Anderer durchringt, doch unter der Gewalt einer
ihm von der Gottheit verhaͤngten Ate ſteht, die im
unbewachten Augenblicke das Kraftgefuͤhl zum Ueber-
muthe, den edlen Zorn zur Wuth anfacht; worauf der
Held dann, das innere Herz niederbaͤndigend, und den
Stolz der Natur zum Staube beugend, ſelbſt jegliches
Leid und Truͤbſal uͤber ſich nehmen muß. In der Boͤo-
tiſchen Sage nun war es ein duͤſterer Wahnſinn, in
dem Herakles, ſelbſt das Liebſte nicht kennend, ſeine
Kinder mordete und ſogar ſeinen Vater toͤdten wollte 2,
der die lange Kuechtſchaft nach ſich zog. Der von tie-
fer Schwermuth niedergedruͤckte Held wendet ſich nun
an den ſuͤhnenden Gott Apollon, und zwar entweder
an den einheimiſchen des Ismenions, (wo man unter
dem Altar einen Beſaͤnftigungsſtein, λίϑος σωφρονι-
στὴρ, zeigte, der ihm die Beſinnung wiedergegeben) 3
oder an den Pythiſchen 4. Der Gott befiehlt ihm als
Knecht zu dienen, wie er ſelbſt nach Pythons Ermor-
dung gedient hatte. Hieran knuͤpften nun die Dichter,
die einen Zuſammenhang in die verſchiedenen Sagen-
kreiſe zu bringen ſuchten, die Knechtſchaft bei Eury-
ſtheus, wie ſie auf den Mord des Iphitos eine Lydi-

1 Die μανία kam auch in den Κυπϱίοις ἔπεσι vor nach
Proklos Auszug, aber wurde dort, wenn ich den Zuſammenhang
recht faſſe, durch eine Liebe und Entfuͤhrung des Heros motivirt.
2 Eurip. Raſend. Her. Pauſ. 9, 11, 1.
3 P. 9, 11, 5.
4 Darauf gehen die Verſe des Panyaſis bei Pauſ. 10, 8, 1.,
wo Her. uͤber den Parnaß zur Kaſtalia kommt.
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[436/0466] Doriſchen Cyklus mit heruͤber erhielten, und iſt durch- aus ethiſch zu faſſen 1. Wen ergreift nicht der Gedanke, wie der edle Zeusſohn, der die inwohnende Fuͤlle der Kraft mit ſo unverwuͤſtlicher Ausdauer zum Edlen, Großen, Schoͤnen lenkt, ſo unendliche Muͤhſale fuͤr das Wohl Anderer durchringt, doch unter der Gewalt einer ihm von der Gottheit verhaͤngten Ate ſteht, die im unbewachten Augenblicke das Kraftgefuͤhl zum Ueber- muthe, den edlen Zorn zur Wuth anfacht; worauf der Held dann, das innere Herz niederbaͤndigend, und den Stolz der Natur zum Staube beugend, ſelbſt jegliches Leid und Truͤbſal uͤber ſich nehmen muß. In der Boͤo- tiſchen Sage nun war es ein duͤſterer Wahnſinn, in dem Herakles, ſelbſt das Liebſte nicht kennend, ſeine Kinder mordete und ſogar ſeinen Vater toͤdten wollte 2, der die lange Kuechtſchaft nach ſich zog. Der von tie- fer Schwermuth niedergedruͤckte Held wendet ſich nun an den ſuͤhnenden Gott Apollon, und zwar entweder an den einheimiſchen des Ismenions, (wo man unter dem Altar einen Beſaͤnftigungsſtein, λίϑος σωφρονι- στὴρ, zeigte, der ihm die Beſinnung wiedergegeben) 3 oder an den Pythiſchen 4. Der Gott befiehlt ihm als Knecht zu dienen, wie er ſelbſt nach Pythons Ermor- dung gedient hatte. Hieran knuͤpften nun die Dichter, die einen Zuſammenhang in die verſchiedenen Sagen- kreiſe zu bringen ſuchten, die Knechtſchaft bei Eury- ſtheus, wie ſie auf den Mord des Iphitos eine Lydi- 1 Die μανία kam auch in den Κυπϱίοις ἔπεσι vor nach Proklos Auszug, aber wurde dort, wenn ich den Zuſammenhang recht faſſe, durch eine Liebe und Entfuͤhrung des Heros motivirt. 2 Eurip. Raſend. Her. Pauſ. 9, 11, 1. 3 P. 9, 11, 5. 4 Darauf gehen die Verſe des Panyaſis bei Pauſ. 10, 8, 1., wo Her. uͤber den Parnaß zur Kaſtalia kommt.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/466>, abgerufen am 27.11.2024.