indeß sicher weit größer war als in Athen; im zweiten hatte sie in allen Criminalsachen das höchste Urtheil, und durfte mit Ehrlosigkeit und Tod strafen 1. Da aber in beiden Richtungen die Auktorität des Raths allmälig mit der Gewalt der Ephoren in Conflict kam, so kann erst die Untersuchung über diese auch über die Ausdehnung jener in verschiedenen Zeitaltern Auskunft geben. Was indeß über das Wesen dieser Obrigkeit noch besondern Aufschluß verspricht, ist die damit ver- bundene Aufsicht über die Sitten der Bürger 2; worin sie besonders große Aehnlichkeit mit dem altattischen Gericht auf dem Areopagos zeigt. Wie jeder Greis das Recht hatte, die Sitten jedes Jünglings mit Schärfe zu tadeln; so ist gleichsam jeder Bürger ein Junger vor diesen greisen Vätern der Stadt. Daher die Scheu und Ehrfurcht, mit der ihnen allgemein zu Sparta begegnet wurde. Wenn aber einem Attischen Redner in demokratischer Zeit die Gerusie nach alle dem eine Despotie zu sein schien: so ist dies in so weit wahr, als dieselbe Einrichtung nach Athen verpflanzt nothwen- dig tyrannische Willkühr herbeiführen mußte. Aber in Sparta hört man so wenig von irgend einem der Frei- heit gefährlichen Gewaltbeschlusse der Gerouten, daß im Gegentheil die Verfassung dadurch sank, daß die Ge- genbehörde derselben, nämlich die Ephorie, es an Ein- fluß und Macht über sie gewann. Wirklich war ein- mal die Einrichtung der Gerusie in den Hauptzügen
Dion. Hal. Archäol. 2, 14. e gerousia pan eikh[ - 1 Zeichen fehlt] ton koinon ta kratoe. vgl. Paus. 3, 11, 2. Cie. de senect. 6. amplissimus magistratus.
1 Xen. a. O. 10, 2. Aristot. 3, 1. 4, 9. Plut. Lyk. 26. Lac. apophth. p. 197. unten K. 7, 11.
2arbitri et magistri disciplinae publicae, Gell. N. A. 18, 3. vgl. Aeschines a. O. Daher sophrosune von ihnen selbst besonders gefordert.
indeß ſicher weit groͤßer war als in Athen; im zweiten hatte ſie in allen Criminalſachen das hoͤchſte Urtheil, und durfte mit Ehrloſigkeit und Tod ſtrafen 1. Da aber in beiden Richtungen die Auktoritaͤt des Raths allmaͤlig mit der Gewalt der Ephoren in Conflict kam, ſo kann erſt die Unterſuchung uͤber dieſe auch uͤber die Ausdehnung jener in verſchiedenen Zeitaltern Auskunft geben. Was indeß uͤber das Weſen dieſer Obrigkeit noch beſondern Aufſchluß verſpricht, iſt die damit ver- bundene Aufſicht uͤber die Sitten der Buͤrger 2; worin ſie beſonders große Aehnlichkeit mit dem altattiſchen Gericht auf dem Areopagos zeigt. Wie jeder Greis das Recht hatte, die Sitten jedes Juͤnglings mit Schaͤrfe zu tadeln; ſo iſt gleichſam jeder Buͤrger ein Junger vor dieſen greiſen Vaͤtern der Stadt. Daher die Scheu und Ehrfurcht, mit der ihnen allgemein zu Sparta begegnet wurde. Wenn aber einem Attiſchen Redner in demokratiſcher Zeit die Geruſie nach alle dem eine Deſpotie zu ſein ſchien: ſo iſt dies in ſo weit wahr, als dieſelbe Einrichtung nach Athen verpflanzt nothwen- dig tyranniſche Willkuͤhr herbeifuͤhren mußte. Aber in Sparta hoͤrt man ſo wenig von irgend einem der Frei- heit gefaͤhrlichen Gewaltbeſchluſſe der Gerouten, daß im Gegentheil die Verfaſſung dadurch ſank, daß die Ge- genbehoͤrde derſelben, naͤmlich die Ephorie, es an Ein- fluß und Macht uͤber ſie gewann. Wirklich war ein- mal die Einrichtung der Geruſie in den Hauptzuͤgen
1 Xen. a. O. 10, 2. Ariſtot. 3, 1. 4, 9. Plut. Lyk. 26. Lac. apophth. p. 197. unten K. 7, 11.
2arbitri et magistri disciplinae publicae, Gell. N. A. 18, 3. vgl. Aeſchines a. O. Daher σωφϱοσύνη von ihnen ſelbſt beſonders gefordert.
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indeß ſicher weit groͤßer war als in Athen; im zweiten
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aber in beiden Richtungen die Auktoritaͤt des Raths
allmaͤlig mit der Gewalt der Ephoren in Conflict kam,
ſo kann erſt die Unterſuchung uͤber dieſe auch uͤber die
Ausdehnung jener in verſchiedenen Zeitaltern Auskunft
geben. Was indeß uͤber das Weſen dieſer Obrigkeit
noch beſondern Aufſchluß verſpricht, iſt die damit ver-
bundene Aufſicht uͤber die Sitten der Buͤrger 2; worin
ſie beſonders große Aehnlichkeit mit dem altattiſchen
Gericht auf dem Areopagos zeigt. Wie jeder Greis
das Recht hatte, die Sitten jedes Juͤnglings mit Schaͤrfe
zu tadeln; ſo iſt gleichſam jeder Buͤrger ein Junger vor
dieſen greiſen Vaͤtern der Stadt. Daher die Scheu
und Ehrfurcht, mit der ihnen allgemein zu Sparta
begegnet wurde. Wenn aber einem Attiſchen Redner
in demokratiſcher Zeit die Geruſie nach alle dem eine
Deſpotie zu ſein ſchien: ſo iſt dies in ſo weit wahr,
als dieſelbe Einrichtung nach Athen verpflanzt nothwen-
dig tyranniſche Willkuͤhr herbeifuͤhren mußte. Aber in
Sparta hoͤrt man ſo wenig von irgend einem der Frei-
heit gefaͤhrlichen Gewaltbeſchluſſe der Gerouten, daß im
Gegentheil die Verfaſſung dadurch ſank, daß die Ge-
genbehoͤrde derſelben, naͤmlich die Ephorie, es an Ein-
fluß und Macht uͤber ſie gewann. Wirklich war ein-
mal die Einrichtung der Geruſie in den Hauptzuͤgen
2
1 Xen. a. O. 10, 2. Ariſtot. 3, 1. 4, 9. Plut. Lyk. 26.
Lac. apophth. p. 197. unten K. 7, 11.
2 arbitri et magistri
disciplinae publicae, Gell. N. A. 18, 3. vgl. Aeſchines a. O.
Daher σωφϱοσύνη von ihnen ſelbſt beſonders gefordert.
2 Dion. Hal. Archaͤol. 2, 14. ἡ γεϱουσία πᾶν εἰχ_ τῶν κοινῶν τὰ
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magistratus.
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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/101>, abgerufen am 21.11.2024.
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