vermuthen, daß jener angebliche Ausdruck Theopomps auch mehr die spätere Bestimmung der Ephoren, wie sie sich nach und nach gebildet, als ihre ursprüngliche angebe. Der König Kleomenes III. ignorirte wenig- stens diesen Begriff derselben, da er, nach Aufhebung dieses Magistrats, dem Volke in einer Rede vorstellte, wie im Anfange die Ephoren -- als sie im ersten Mes- senischen Kriege gewählt worden wären -- nur Stell- vertreter und Gehülfen des Königs gewesen seien. Worin sich freilich wieder eine sehr einseitige Ansicht ausspricht: denn seinen Stellvertreter wählt sich wohl im Ganzen ein jeder Magistrat selbst: wogegen die demokratische Wahl der Ephoren, wie wir bald sehen werden, zu ihrem Wesen gehört. Wir nehmen aus dem Beige- brachten indessen nicht viel mehr ab, als wie schwan- kend die Ansichten, und wie ungeschichtlich die Anga- ben über den anfänglichen Zweck der Ephorie waren.
2.
In der Lykurgischen Verfassung, wie sie bis hieher entwickelt worden ist, wäre in der That die spätere Ephoria eine nicht überflüssige, sondern stören- de Zugabe gewesen. Denn jene hatte im Königthume, der Gerusia und dem Volke schon die Hauptgewalten des Staates aufgestellt, und in ihrem Verhältnisse zu einander bestimmt; sie mußte erwarten, daß das orga- nisch Entstandene sich auch organisch fortbewegen, und jeder Theil des Staats, wenn er einmal sein eigenthümliches Leben und seine ihm zukommende Thä- tigkeit gefunden hatte, sich derselben fort und fort er- freuen werde: sie mußte glauben, daß, wenn das Rechte einmal dasteht, es sich auch eben durch sein Dasein erhalten werde. Eine Gegenbehörde, wie die Ephorie, in der das Mißtrauen des Volkes sich auf tyrannische Weise ausspricht, lag der naiven Einfach- heit und Unschuld jener Verfassung fern, und konnte erst
III. 8
vermuthen, daß jener angebliche Ausdruck Theopomps auch mehr die ſpaͤtere Beſtimmung der Ephoren, wie ſie ſich nach und nach gebildet, als ihre urſpruͤngliche angebe. Der Koͤnig Kleomenes III. ignorirte wenig- ſtens dieſen Begriff derſelben, da er, nach Aufhebung dieſes Magiſtrats, dem Volke in einer Rede vorſtellte, wie im Anfange die Ephoren — als ſie im erſten Meſ- ſeniſchen Kriege gewaͤhlt worden waͤren — nur Stell- vertreter und Gehuͤlfen des Koͤnigs geweſen ſeien. Worin ſich freilich wieder eine ſehr einſeitige Anſicht ausſpricht: denn ſeinen Stellvertreter waͤhlt ſich wohl im Ganzen ein jeder Magiſtrat ſelbſt: wogegen die demokratiſche Wahl der Ephoren, wie wir bald ſehen werden, zu ihrem Weſen gehoͤrt. Wir nehmen aus dem Beige- brachten indeſſen nicht viel mehr ab, als wie ſchwan- kend die Anſichten, und wie ungeſchichtlich die Anga- ben uͤber den anfaͤnglichen Zweck der Ephorie waren.
2.
In der Lykurgiſchen Verfaſſung, wie ſie bis hieher entwickelt worden iſt, waͤre in der That die ſpaͤtere Ephoria eine nicht uͤberfluͤſſige, ſondern ſtoͤren- de Zugabe geweſen. Denn jene hatte im Koͤnigthume, der Geruſia und dem Volke ſchon die Hauptgewalten des Staates aufgeſtellt, und in ihrem Verhaͤltniſſe zu einander beſtimmt; ſie mußte erwarten, daß das orga- niſch Entſtandene ſich auch organiſch fortbewegen, und jeder Theil des Staats, wenn er einmal ſein eigenthuͤmliches Leben und ſeine ihm zukommende Thaͤ- tigkeit gefunden hatte, ſich derſelben fort und fort er- freuen werde: ſie mußte glauben, daß, wenn das Rechte einmal daſteht, es ſich auch eben durch ſein Daſein erhalten werde. Eine Gegenbehoͤrde, wie die Ephorie, in der das Mißtrauen des Volkes ſich auf tyranniſche Weiſe ausſpricht, lag der naiven Einfach- heit und Unſchuld jener Verfaſſung fern, und konnte erſt
III. 8
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vermuthen, daß jener angebliche Ausdruck Theopomps
auch mehr die ſpaͤtere Beſtimmung der Ephoren, wie
ſie ſich nach und nach gebildet, als ihre urſpruͤngliche
angebe. Der Koͤnig Kleomenes III. ignorirte wenig-
ſtens dieſen Begriff derſelben, da er, nach Aufhebung
dieſes Magiſtrats, dem Volke in einer Rede vorſtellte,
wie im Anfange die Ephoren — als ſie im erſten Meſ-
ſeniſchen Kriege gewaͤhlt worden waͤren — nur Stell-
vertreter und Gehuͤlfen des Koͤnigs geweſen ſeien. Worin
ſich freilich wieder eine ſehr einſeitige Anſicht ausſpricht:
denn ſeinen Stellvertreter waͤhlt ſich wohl im Ganzen
ein jeder Magiſtrat ſelbſt: wogegen die demokratiſche
Wahl der Ephoren, wie wir bald ſehen werden, zu
ihrem Weſen gehoͤrt. Wir nehmen aus dem Beige-
brachten indeſſen nicht viel mehr ab, als wie ſchwan-
kend die Anſichten, und wie ungeſchichtlich die Anga-
ben uͤber den anfaͤnglichen Zweck der Ephorie waren.
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In der Lykurgiſchen Verfaſſung, wie ſie bis
hieher entwickelt worden iſt, waͤre in der That die
ſpaͤtere Ephoria eine nicht uͤberfluͤſſige, ſondern ſtoͤren-
de Zugabe geweſen. Denn jene hatte im Koͤnigthume,
der Geruſia und dem Volke ſchon die Hauptgewalten
des Staates aufgeſtellt, und in ihrem Verhaͤltniſſe zu
einander beſtimmt; ſie mußte erwarten, daß das orga-
niſch Entſtandene ſich auch organiſch fortbewegen,
und jeder Theil des Staats, wenn er einmal ſein
eigenthuͤmliches Leben und ſeine ihm zukommende Thaͤ-
tigkeit gefunden hatte, ſich derſelben fort und fort er-
freuen werde: ſie mußte glauben, daß, wenn das
Rechte einmal daſteht, es ſich auch eben durch ſein
Daſein erhalten werde. Eine Gegenbehoͤrde, wie die
Ephorie, in der das Mißtrauen des Volkes ſich auf
tyranniſche Weiſe ausſpricht, lag der naiven Einfach-
heit und Unſchuld jener Verfaſſung fern, und konnte erſt
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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/119>, abgerufen am 21.11.2024.
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