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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

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richtige Verhältniß, das übereinstimmende Maaß, die
Ordnung, in der jeder Theil den andern, und alle
das Ganze trägt, für das Beste und Höchste hält,
und daß zweitens diese Grundansicht durch Studien
der Mathematik und besonders der Musik Nahrung
und Stoff erhielt, um die eigenthümliche Weltweisheit
hervorzubringen, in der das Leben und Sein der Dinge
in das Maaß und die Zahl gesetzt wird, die Zahl
selbst aber nicht im Geringsten als ein blos Abtheilen-
des, Begränzendes, sondern als das innerste Wesen
der Dinge und das Göttliche selbst erscheint 1.

Wie sehr übrigens damals die Philosophie bei den Do-
riern in Aufnahme gewesen, so lange sie nach alterthüm-
licher Weise mit Begeisterung aussprach, was den nach
Umfassung ringenden Geist innerlich erfüllte, und ehe
sie durch die Sophistik verunstaltet und verwirrt worden
war, um wieder durch Attische Dialektik gereinigt
und zum Gipfel der Vollendung geführt zu werden,
beweist Sparta. Hier fanden besonders die enthusi-
astischen und priesterlichen Weisen, wie Abaris 2, Epi-
menides 3, Pherekydes 4, freundliche Aufnahme; auch

1 Empedokles von Akragas verhält sich etwa zu dieser Schu-
le, wie seine gastliche Vaterstadt (xeinon aidoioi limenes sagt er
selbst von ihr) zu Kroton; er verfolgt nicht einen so strengen Weg
der Spekulation, sondern scheint in großartigem Sinne mancherlei
Anregungen aufgenommen und verarbeitet zu haben.
2 Paus.
3, 13, 2. vgl. oben Bd. 2. S. 69, 1.
3 Sosibios bei Diog.
1, 10, 12. Paus. 2, 21, 4. 3, 11, 8. 12, 9. Klem. Alex. Str.
1. p. 399. Pott. Heinr. Epim. S. 128. Epim. soll den Sp. eine
Niederlage bei Orchomenos verkündet haben, Diog. L. 1, 115., von
der sonst Nichts verlautet.
4 Plut. Agis 10. Diog. L. 1, 117.
aus Theopomp. Creuzer Init. phil. Plat. 2. p. 164. Die Sage
von der Haut des Epim. oder Pherek. (oder auch des Weissagers
Anthes, Steph. B. Anthana) ist sehr räthselhaft.

richtige Verhaͤltniß, das uͤbereinſtimmende Maaß, die
Ordnung, in der jeder Theil den andern, und alle
das Ganze traͤgt, fuͤr das Beſte und Hoͤchſte haͤlt,
und daß zweitens dieſe Grundanſicht durch Studien
der Mathematik und beſonders der Muſik Nahrung
und Stoff erhielt, um die eigenthuͤmliche Weltweisheit
hervorzubringen, in der das Leben und Sein der Dinge
in das Maaß und die Zahl geſetzt wird, die Zahl
ſelbſt aber nicht im Geringſten als ein blos Abtheilen-
des, Begraͤnzendes, ſondern als das innerſte Weſen
der Dinge und das Goͤttliche ſelbſt erſcheint 1.

Wie ſehr uͤbrigens damals die Philoſophie bei den Do-
riern in Aufnahme geweſen, ſo lange ſie nach alterthuͤm-
licher Weiſe mit Begeiſterung ausſprach, was den nach
Umfaſſung ringenden Geiſt innerlich erfuͤllte, und ehe
ſie durch die Sophiſtik verunſtaltet und verwirrt worden
war, um wieder durch Attiſche Dialektik gereinigt
und zum Gipfel der Vollendung gefuͤhrt zu werden,
beweist Sparta. Hier fanden beſonders die enthuſi-
aſtiſchen und prieſterlichen Weiſen, wie Abaris 2, Epi-
menides 3, Pherekydes 4, freundliche Aufnahme; auch

1 Empedokles von Akragas verhaͤlt ſich etwa zu dieſer Schu-
le, wie ſeine gaſtliche Vaterſtadt (ξείνων αἰδοῖοι λιμένες ſagt er
ſelbſt von ihr) zu Kroton; er verfolgt nicht einen ſo ſtrengen Weg
der Spekulation, ſondern ſcheint in großartigem Sinne mancherlei
Anregungen aufgenommen und verarbeitet zu haben.
2 Pauſ.
3, 13, 2. vgl. oben Bd. 2. S. 69, 1.
3 Soſibios bei Diog.
1, 10, 12. Pauſ. 2, 21, 4. 3, 11, 8. 12, 9. Klem. Alex. Str.
1. p. 399. Pott. Heinr. Epim. S. 128. Epim. ſoll den Sp. eine
Niederlage bei Orchomenos verkuͤndet haben, Diog. L. 1, 115., von
der ſonſt Nichts verlautet.
4 Plut. Agis 10. Diog. L. 1, 117.
aus Theopomp. Creuzer Init. phil. Plat. 2. p. 164. Die Sage
von der Haut des Epim. oder Pherek. (oder auch des Weiſſagers
Anthes, Steph. B. Ἀνϑάνα) iſt ſehr raͤthſelhaft.
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[395/0401] richtige Verhaͤltniß, das uͤbereinſtimmende Maaß, die Ordnung, in der jeder Theil den andern, und alle das Ganze traͤgt, fuͤr das Beſte und Hoͤchſte haͤlt, und daß zweitens dieſe Grundanſicht durch Studien der Mathematik und beſonders der Muſik Nahrung und Stoff erhielt, um die eigenthuͤmliche Weltweisheit hervorzubringen, in der das Leben und Sein der Dinge in das Maaß und die Zahl geſetzt wird, die Zahl ſelbſt aber nicht im Geringſten als ein blos Abtheilen- des, Begraͤnzendes, ſondern als das innerſte Weſen der Dinge und das Goͤttliche ſelbſt erſcheint 1. Wie ſehr uͤbrigens damals die Philoſophie bei den Do- riern in Aufnahme geweſen, ſo lange ſie nach alterthuͤm- licher Weiſe mit Begeiſterung ausſprach, was den nach Umfaſſung ringenden Geiſt innerlich erfuͤllte, und ehe ſie durch die Sophiſtik verunſtaltet und verwirrt worden war, um wieder durch Attiſche Dialektik gereinigt und zum Gipfel der Vollendung gefuͤhrt zu werden, beweist Sparta. Hier fanden beſonders die enthuſi- aſtiſchen und prieſterlichen Weiſen, wie Abaris 2, Epi- menides 3, Pherekydes 4, freundliche Aufnahme; auch 1 Empedokles von Akragas verhaͤlt ſich etwa zu dieſer Schu- le, wie ſeine gaſtliche Vaterſtadt (ξείνων αἰδοῖοι λιμένες ſagt er ſelbſt von ihr) zu Kroton; er verfolgt nicht einen ſo ſtrengen Weg der Spekulation, ſondern ſcheint in großartigem Sinne mancherlei Anregungen aufgenommen und verarbeitet zu haben. 2 Pauſ. 3, 13, 2. vgl. oben Bd. 2. S. 69, 1. 3 Soſibios bei Diog. 1, 10, 12. Pauſ. 2, 21, 4. 3, 11, 8. 12, 9. Klem. Alex. Str. 1. p. 399. Pott. Heinr. Epim. S. 128. Epim. ſoll den Sp. eine Niederlage bei Orchomenos verkuͤndet haben, Diog. L. 1, 115., von der ſonſt Nichts verlautet. 4 Plut. Agis 10. Diog. L. 1, 117. aus Theopomp. Creuzer Init. phil. Plat. 2. p. 164. Die Sage von der Haut des Epim. oder Pherek. (oder auch des Weiſſagers Anthes, Steph. B. Ἀνϑάνα) iſt ſehr raͤthſelhaft.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/401>, abgerufen am 24.11.2024.