Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

Bild:
<< vorherige Seite

seus Vater, als Landmann eine solche Mütze aus Zie-
genfellen trägt 1. Die Alten unterschieden nämlich ge-
nau zwischen der Landtracht und städtischen Kleidung.
Als daher die Sikyonischen Tyrannen das müssige Volk,
dessen Menge sie fürchteten, an das Landleben gewöh-
nen wollten, zogen sie ihnen die katonake an, welche
unten einen Vorstoß von Fellen hatte 2. Auch die Pei-
sistratiden 3 nahmen genau dieselbe Maaßregel. So be-
schreibt auch Theognis die Landbauer von Megara -- über
deren Aufnahme unter die Bürgerschaft er sich beklagt --
als die Seite mit abgeriebenen Ziegenfellen deckend,
und scheuen Hirschen gleich um die Stadt wohnend 4.
Und so bezeichnete denn also auch die Diphthera der
Heloten nichts Schmählicheres und Schimpflicheres als
die Bestimmung zur Landarbeit. Da aber Myron diese
so augenfällig mißdeutete, so mag es sich eben so mit
seinen übrigen Vorwürfen und ähnlichen Anklagen an-
derer Schriftsteller verhalten. Wenn Plutarch erzählt,
daß die Heloten zur Warnung der Spartiatischen Ju-
gend sich betrinken und unanständige Tänze tanzen
mußten 5: so sträubt sich der natürliche Sinn gegen
eine so wahnwitzige Erziehungsmethode. Wie konnte
man denn Menschen so entwürdigen, die man als Pä-
dagogen über die jüngeren Knaben setzte; Helotinnen
waren auch im königlichen Hause die Ammen 6, und
genossen sicher aller Pietät, mit der das Alterthum
die Wärterinnen der frühesten Jugend ehret. Daß aber

1 Od. 24, 230.
2 Pollux 7, 4, 68. vgl. Hesych, Suid.
s. v. katonake. Theopomp und Menächmos en tois Sikuoniakois
bei Athen. 6, 271 d. (vgl. Schweigh.) kennen die Katonako-
phoroi als Sikyonische Leibeigene. Vgl. Ruhnken. ad Tim. p. 212.
3 Aristoph. Lysistr. 1157. vgl. Palmer. Exercit. p. 506.
4 V. 53 Bekk.
5 Lykurg 28. u. sonst.
6 Duris
bei Plut. Ages. 3.

ſeus Vater, als Landmann eine ſolche Muͤtze aus Zie-
genfellen traͤgt 1. Die Alten unterſchieden naͤmlich ge-
nau zwiſchen der Landtracht und ſtaͤdtiſchen Kleidung.
Als daher die Sikyoniſchen Tyrannen das muͤſſige Volk,
deſſen Menge ſie fuͤrchteten, an das Landleben gewoͤh-
nen wollten, zogen ſie ihnen die κατωνάκη an, welche
unten einen Vorſtoß von Fellen hatte 2. Auch die Pei-
ſiſtratiden 3 nahmen genau dieſelbe Maaßregel. So be-
ſchreibt auch Theognis die Landbauer von Megara — uͤber
deren Aufnahme unter die Buͤrgerſchaft er ſich beklagt —
als die Seite mit abgeriebenen Ziegenfellen deckend,
und ſcheuen Hirſchen gleich um die Stadt wohnend 4.
Und ſo bezeichnete denn alſo auch die Diphthera der
Heloten nichts Schmaͤhlicheres und Schimpflicheres als
die Beſtimmung zur Landarbeit. Da aber Myron dieſe
ſo augenfaͤllig mißdeutete, ſo mag es ſich eben ſo mit
ſeinen uͤbrigen Vorwuͤrfen und aͤhnlichen Anklagen an-
derer Schriftſteller verhalten. Wenn Plutarch erzaͤhlt,
daß die Heloten zur Warnung der Spartiatiſchen Ju-
gend ſich betrinken und unanſtaͤndige Taͤnze tanzen
mußten 5: ſo ſtraͤubt ſich der natuͤrliche Sinn gegen
eine ſo wahnwitzige Erziehungsmethode. Wie konnte
man denn Menſchen ſo entwuͤrdigen, die man als Paͤ-
dagogen uͤber die juͤngeren Knaben ſetzte; Helotinnen
waren auch im koͤniglichen Hauſe die Ammen 6, und
genoſſen ſicher aller Pietaͤt, mit der das Alterthum
die Waͤrterinnen der fruͤheſten Jugend ehret. Daß aber

1 Od. 24, 230.
2 Pollux 7, 4, 68. vgl. Heſych, Suid.
s. v. κατωνάκη. Theopomp und Menaͤchmos ἐν τοῖς Σικυωνιακοῖς
bei Athen. 6, 271 d. (vgl. Schweigh.) kennen die Κατωνακο-
φόϱοι als Sikyoniſche Leibeigene. Vgl. Ruhnken. ad Tim. p. 212.
3 Ariſtoph. Lyſiſtr. 1157. vgl. Palmer. Exercit. p. 506.
4 V. 53 Bekk.
5 Lykurg 28. u. ſonſt.
6 Duris
bei Plut. Ageſ. 3.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0047" n="41"/>
&#x017F;eus Vater, als Landmann eine &#x017F;olche Mu&#x0364;tze aus Zie-<lb/>
genfellen tra&#x0364;gt <note place="foot" n="1">Od. 24, 230.</note>. Die Alten unter&#x017F;chieden na&#x0364;mlich ge-<lb/>
nau zwi&#x017F;chen der Landtracht und &#x017F;ta&#x0364;dti&#x017F;chen Kleidung.<lb/>
Als daher die Sikyoni&#x017F;chen Tyrannen das mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;ige Volk,<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en Menge &#x017F;ie fu&#x0364;rchteten, an das Landleben gewo&#x0364;h-<lb/>
nen wollten, zogen &#x017F;ie ihnen die &#x03BA;&#x03B1;&#x03C4;&#x03C9;&#x03BD;&#x03AC;&#x03BA;&#x03B7; an, welche<lb/>
unten einen Vor&#x017F;toß von Fellen hatte <note place="foot" n="2">Pollux 7, 4, 68. vgl. He&#x017F;ych, Suid.<lb/><hi rendition="#aq">s. v.</hi> &#x03BA;&#x03B1;&#x03C4;&#x03C9;&#x03BD;&#x03AC;&#x03BA;&#x03B7;. Theopomp und Mena&#x0364;chmos &#x1F10;&#x03BD; &#x03C4;&#x03BF;&#x1FD6;&#x03C2; &#x03A3;&#x03B9;&#x03BA;&#x03C5;&#x03C9;&#x03BD;&#x03B9;&#x03B1;&#x03BA;&#x03BF;&#x1FD6;&#x03C2;<lb/>
bei Athen. 6, 271 <hi rendition="#aq">d.</hi> (vgl. Schweigh.) kennen die &#x039A;&#x03B1;&#x03C4;&#x03C9;&#x03BD;&#x03B1;&#x03BA;&#x03BF;-<lb/>
&#x03C6;&#x03CC;&#x03F1;&#x03BF;&#x03B9; als Sikyoni&#x017F;che Leibeigene. Vgl. Ruhnken. <hi rendition="#aq">ad Tim. p.</hi> 212.</note>. Auch die Pei-<lb/>
&#x017F;i&#x017F;tratiden <note place="foot" n="3">Ari&#x017F;toph. Ly&#x017F;i&#x017F;tr. 1157. vgl. Palmer. <hi rendition="#aq">Exercit. p.</hi> 506.</note> nahmen genau die&#x017F;elbe Maaßregel. So be-<lb/>
&#x017F;chreibt auch Theognis die Landbauer von Megara &#x2014; u&#x0364;ber<lb/>
deren Aufnahme unter die Bu&#x0364;rger&#x017F;chaft er &#x017F;ich beklagt &#x2014;<lb/>
als die Seite mit abgeriebenen Ziegenfellen deckend,<lb/>
und &#x017F;cheuen Hir&#x017F;chen gleich um die Stadt wohnend <note place="foot" n="4">V. 53 Bekk.</note>.<lb/>
Und &#x017F;o bezeichnete denn al&#x017F;o auch die Diphthera der<lb/>
Heloten nichts Schma&#x0364;hlicheres und Schimpflicheres als<lb/>
die Be&#x017F;timmung zur Landarbeit. Da aber Myron die&#x017F;e<lb/>
&#x017F;o augenfa&#x0364;llig mißdeutete, &#x017F;o mag es &#x017F;ich eben &#x017F;o mit<lb/>
&#x017F;einen u&#x0364;brigen Vorwu&#x0364;rfen und a&#x0364;hnlichen Anklagen an-<lb/>
derer Schrift&#x017F;teller verhalten. Wenn Plutarch erza&#x0364;hlt,<lb/>
daß die Heloten zur Warnung der Spartiati&#x017F;chen Ju-<lb/>
gend &#x017F;ich betrinken und unan&#x017F;ta&#x0364;ndige Ta&#x0364;nze tanzen<lb/>
mußten <note place="foot" n="5">Lykurg 28. u. &#x017F;on&#x017F;t.</note>: &#x017F;o &#x017F;tra&#x0364;ubt &#x017F;ich der natu&#x0364;rliche Sinn gegen<lb/>
eine &#x017F;o wahnwitzige Erziehungsmethode. Wie konnte<lb/>
man denn Men&#x017F;chen &#x017F;o entwu&#x0364;rdigen, die man als Pa&#x0364;-<lb/>
dagogen u&#x0364;ber die ju&#x0364;ngeren Knaben &#x017F;etzte; Helotinnen<lb/>
waren auch im ko&#x0364;niglichen Hau&#x017F;e die Ammen <note place="foot" n="6">Duris<lb/>
bei Plut. Age&#x017F;. 3.</note>, und<lb/>
geno&#x017F;&#x017F;en &#x017F;icher aller Pieta&#x0364;t, mit der das Alterthum<lb/>
die Wa&#x0364;rterinnen der fru&#x0364;he&#x017F;ten Jugend ehret. Daß aber<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[41/0047] ſeus Vater, als Landmann eine ſolche Muͤtze aus Zie- genfellen traͤgt 1. Die Alten unterſchieden naͤmlich ge- nau zwiſchen der Landtracht und ſtaͤdtiſchen Kleidung. Als daher die Sikyoniſchen Tyrannen das muͤſſige Volk, deſſen Menge ſie fuͤrchteten, an das Landleben gewoͤh- nen wollten, zogen ſie ihnen die κατωνάκη an, welche unten einen Vorſtoß von Fellen hatte 2. Auch die Pei- ſiſtratiden 3 nahmen genau dieſelbe Maaßregel. So be- ſchreibt auch Theognis die Landbauer von Megara — uͤber deren Aufnahme unter die Buͤrgerſchaft er ſich beklagt — als die Seite mit abgeriebenen Ziegenfellen deckend, und ſcheuen Hirſchen gleich um die Stadt wohnend 4. Und ſo bezeichnete denn alſo auch die Diphthera der Heloten nichts Schmaͤhlicheres und Schimpflicheres als die Beſtimmung zur Landarbeit. Da aber Myron dieſe ſo augenfaͤllig mißdeutete, ſo mag es ſich eben ſo mit ſeinen uͤbrigen Vorwuͤrfen und aͤhnlichen Anklagen an- derer Schriftſteller verhalten. Wenn Plutarch erzaͤhlt, daß die Heloten zur Warnung der Spartiatiſchen Ju- gend ſich betrinken und unanſtaͤndige Taͤnze tanzen mußten 5: ſo ſtraͤubt ſich der natuͤrliche Sinn gegen eine ſo wahnwitzige Erziehungsmethode. Wie konnte man denn Menſchen ſo entwuͤrdigen, die man als Paͤ- dagogen uͤber die juͤngeren Knaben ſetzte; Helotinnen waren auch im koͤniglichen Hauſe die Ammen 6, und genoſſen ſicher aller Pietaͤt, mit der das Alterthum die Waͤrterinnen der fruͤheſten Jugend ehret. Daß aber 1 Od. 24, 230. 2 Pollux 7, 4, 68. vgl. Heſych, Suid. s. v. κατωνάκη. Theopomp und Menaͤchmos ἐν τοῖς Σικυωνιακοῖς bei Athen. 6, 271 d. (vgl. Schweigh.) kennen die Κατωνακο- φόϱοι als Sikyoniſche Leibeigene. Vgl. Ruhnken. ad Tim. p. 212. 3 Ariſtoph. Lyſiſtr. 1157. vgl. Palmer. Exercit. p. 506. 4 V. 53 Bekk. 5 Lykurg 28. u. ſonſt. 6 Duris bei Plut. Ageſ. 3.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/47
Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/47>, abgerufen am 21.11.2024.