Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830.Historischer Theil. schmücken. Bei sitzenden herrscht die völligste Ruhe undRegelmäßigkeit der Stellung; stehende schreiten auf eine 3steife Weise; die Arme liegen dem Körper an. Die Größe ist oft sehr colossal; auch der Transport dieser Colosse 4war eine schwierige Aufgabe. Die Behandlung der Form geht stets ins Allgemeine; sie hat darin eine gewisse Richtigkeit, und macht durch den einfachen Schwung der Hauptlinien einen großen Eindruck; aber die Formen sind mehr geometrische als organische, und durchaus mangelt das Leben und die Wärme in der Auffassung des Ein- 5zelnen. Ueberall herrscht ein nationaler Grundtypus; die Aegyptischen Künstler folgten einem festen System der 6Proportionen; obwohl man doch nach verschiednen Ge- 7genden und Zeiten einige Abweichungen bemerkt. Die Formen der Geschlechter werden gut unterschieden; dage- gen hat sich von Charakteristik verschiedenartiger Perso- nen durch Modification der Gestalt, von einer bestimm- ten Unterscheidung in der Bildung der Götter und Kö- nige, von Porträtirung bis jetzt noch nichts Sichres 8nachweisen lassen. Die Aegyptische Kunst unterscheidet durch Farbe, durch Bekleidung, welche mit Sorgfalt, aber Steifheit behandelt ist, besonders durch die man- nigfachen Arten des Kopfputzes, endlich durch Anfügung von 9Thier-Köpfen, Flügeln und andern Theilen. Lebendiger und tiefer als die Menschengestalt ist die Thiergestalt auf- gefaßt, zu deren bewunderungsvoller Beobachtung die Aegyptier ihre natürliche Neigung von Anfang an hin- trieb, wie ihre Religion beweist; auch die Verschmel- zungen verschiedner Thierfiguren sind oft sehr glücklich, oft freilich auch im höchsten Grade phantastisch und bizarr. 3. Der Coloss im Osymandyeion wird aus den Fragmenten 5. Nach Diodor i, 98. theilten die Aeg. Künstler den mensch- Hiſtoriſcher Theil. ſchmuͤcken. Bei ſitzenden herrſcht die voͤlligſte Ruhe undRegelmaͤßigkeit der Stellung; ſtehende ſchreiten auf eine 3ſteife Weiſe; die Arme liegen dem Koͤrper an. Die Groͤße iſt oft ſehr coloſſal; auch der Transport dieſer Coloſſe 4war eine ſchwierige Aufgabe. Die Behandlung der Form geht ſtets ins Allgemeine; ſie hat darin eine gewiſſe Richtigkeit, und macht durch den einfachen Schwung der Hauptlinien einen großen Eindruck; aber die Formen ſind mehr geometriſche als organiſche, und durchaus mangelt das Leben und die Waͤrme in der Auffaſſung des Ein- 5zelnen. Ueberall herrſcht ein nationaler Grundtypus; die Aegyptiſchen Kuͤnſtler folgten einem feſten Syſtem der 6Proportionen; obwohl man doch nach verſchiednen Ge- 7genden und Zeiten einige Abweichungen bemerkt. Die Formen der Geſchlechter werden gut unterſchieden; dage- gen hat ſich von Charakteriſtik verſchiedenartiger Perſo- nen durch Modification der Geſtalt, von einer beſtimm- ten Unterſcheidung in der Bildung der Goͤtter und Koͤ- nige, von Portraͤtirung bis jetzt noch nichts Sichres 8nachweiſen laſſen. Die Aegyptiſche Kunſt unterſcheidet durch Farbe, durch Bekleidung, welche mit Sorgfalt, aber Steifheit behandelt iſt, beſonders durch die man- nigfachen Arten des Kopfputzes, endlich durch Anfuͤgung von 9Thier-Koͤpfen, Fluͤgeln und andern Theilen. Lebendiger und tiefer als die Menſchengeſtalt iſt die Thiergeſtalt auf- gefaßt, zu deren bewunderungsvoller Beobachtung die Aegyptier ihre natuͤrliche Neigung von Anfang an hin- trieb, wie ihre Religion beweist; auch die Verſchmel- zungen verſchiedner Thierfiguren ſind oft ſehr gluͤcklich, oft freilich auch im hoͤchſten Grade phantaſtiſch und bizarr. 3. Der Coloſſ im Oſymandyeion wird aus den Fragmenten 5. Nach Diodor i, 98. theilten die Aeg. 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Hiſtoriſcher Theil.
ſchmuͤcken. Bei ſitzenden herrſcht die voͤlligſte Ruhe und
Regelmaͤßigkeit der Stellung; ſtehende ſchreiten auf eine
ſteife Weiſe; die Arme liegen dem Koͤrper an. Die Groͤße
iſt oft ſehr coloſſal; auch der Transport dieſer Coloſſe
war eine ſchwierige Aufgabe. Die Behandlung der Form
geht ſtets ins Allgemeine; ſie hat darin eine gewiſſe
Richtigkeit, und macht durch den einfachen Schwung der
Hauptlinien einen großen Eindruck; aber die Formen ſind
mehr geometriſche als organiſche, und durchaus mangelt
das Leben und die Waͤrme in der Auffaſſung des Ein-
zelnen. Ueberall herrſcht ein nationaler Grundtypus; die
Aegyptiſchen Kuͤnſtler folgten einem feſten Syſtem der
Proportionen; obwohl man doch nach verſchiednen Ge-
genden und Zeiten einige Abweichungen bemerkt. Die
Formen der Geſchlechter werden gut unterſchieden; dage-
gen hat ſich von Charakteriſtik verſchiedenartiger Perſo-
nen durch Modification der Geſtalt, von einer beſtimm-
ten Unterſcheidung in der Bildung der Goͤtter und Koͤ-
nige, von Portraͤtirung bis jetzt noch nichts Sichres
nachweiſen laſſen. Die Aegyptiſche Kunſt unterſcheidet
durch Farbe, durch Bekleidung, welche mit Sorgfalt,
aber Steifheit behandelt iſt, beſonders durch die man-
nigfachen Arten des Kopfputzes, endlich durch Anfuͤgung von
Thier-Koͤpfen, Fluͤgeln und andern Theilen. Lebendiger
und tiefer als die Menſchengeſtalt iſt die Thiergeſtalt auf-
gefaßt, zu deren bewunderungsvoller Beobachtung die
Aegyptier ihre natuͤrliche Neigung von Anfang an hin-
trieb, wie ihre Religion beweist; auch die Verſchmel-
zungen verſchiedner Thierfiguren ſind oft ſehr gluͤcklich, oft
freilich auch im hoͤchſten Grade phantaſtiſch und bizarr.
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3. Der Coloſſ im Oſymandyeion wird aus den Fragmenten
(ziemlich übereinſtimmend mit Diodor) auf 53 Par. Fuß 10 Zoll
berechnet. Ueber die Art der Fortbringung belehrt das The-
bäiſche Relief bei Minutoli Tf. 13.
5. Nach Diodor i, 98. theilten die Aeg. Künſtler den menſch-
lichen Körper, d. h. die Länge, in 21¼ Theile. Iſt die Naſen-
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