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Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830.

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Zur Theorie der Kunst.
auf die Sprache angewandt und durch diesen Stoff bedingt ist die
Metrik.


20. Eine andere Reihe von Künsten nimmt zur Zeit1
den Raum, zu dem Maaß der Bewegung die Art und
Weise, die Qualität derselben, hinzu. Auf diese Weise,
in Raum und Zeit zugleich, kann der Mensch nur durch
seinen eignen Körper darstellen. Diese Reihe von Kün-2
sten erreicht ihren Gipfel in einer mimischen Orche-
stik
, einer ausdrucksvollen Tanzkunst, in der außer dem
Rhythmus der Bewegung die Art derselben, die schöne
und bedeutungsvolle Geberde, Kunstform ist. Aber Aeu-3
ßerungen einer solchen Kunstthätigkeit durchdringen, in
höherem oder geringerem Maaße, nach den Anlagen von
Individuen und Nationen, das ganze Leben, und verbin-
den sich mit verschiedenen Künsten.

3. Unwillkührlich spricht jede Bewegung und Geberde an uns.
Diese unwillkührliche Darstellung zu regeln, war Hauptsache der
Griechischen Erziehung. Der Jüngling wird ein Bild der
sophrosune, kalokagathia. Auch die Gymnastik war zum Theil
darstellender Art (Pentathlon). In größerm Maaßstabe zeigt sich
diese Kunstthätigkeit bei der Bewegung von Pompen, von Kriegs-
heeren zu Fuß und Pferde. Die Anordnung einer Menschenmasse
für ein Fest ist eine Aufgabe, wobei sich der Kunstsinn vollkommen
bewähren kann; Architekten müssen oft ihre Gebäude hauptsächlich
als Grundlage eines solchen lebendigen Kunstwerks ansehn. Diese
lebendige Plastik hängt sehr eng mit der am todten Stoffe
darstellenden zusammen, und muß sie vorbereiten. -- Die Mi-
mik an sich mit redenden Künsten verbunden wird Declama-
tion
(semeia, skhemata).


21. Die allein im Raum darstellenden (zeich-1
nenden) Künste können nicht durch die reine (arithme-
tische) Größe, das blos Quantitative, darstellen, wie die
Musik, indem das Räumliche immer zugleich als Figur,
also qualitativ, bestimmt werden muß. Sie haben nur2
zwei Mittel darzustellen, die geometrisch bestimmbare

Zur Theorie der Kunſt.
auf die Sprache angewandt und durch dieſen Stoff bedingt iſt die
Metrik.


20. Eine andere Reihe von Kuͤnſten nimmt zur Zeit1
den Raum, zu dem Maaß der Bewegung die Art und
Weiſe, die Qualitaͤt derſelben, hinzu. Auf dieſe Weiſe,
in Raum und Zeit zugleich, kann der Menſch nur durch
ſeinen eignen Koͤrper darſtellen. Dieſe Reihe von Kuͤn-2
ſten erreicht ihren Gipfel in einer mimiſchen Orche-
ſtik
, einer ausdrucksvollen Tanzkunſt, in der außer dem
Rhythmus der Bewegung die Art derſelben, die ſchoͤne
und bedeutungsvolle Geberde, Kunſtform iſt. Aber Aeu-3
ßerungen einer ſolchen Kunſtthaͤtigkeit durchdringen, in
hoͤherem oder geringerem Maaße, nach den Anlagen von
Individuen und Nationen, das ganze Leben, und verbin-
den ſich mit verſchiedenen Kuͤnſten.

3. Unwillkührlich ſpricht jede Bewegung und Geberde an uns.
Dieſe unwillkührliche Darſtellung zu regeln, war Hauptſache der
Griechiſchen Erziehung. Der Jüngling wird ein Bild der
σωφροσύνη, καλοκαγαϑία. Auch die Gymnaſtik war zum Theil
darſtellender Art (Pentathlon). In größerm Maaßſtabe zeigt ſich
dieſe Kunſtthätigkeit bei der Bewegung von Pompen, von Kriegs-
heeren zu Fuß und Pferde. Die Anordnung einer Menſchenmaſſe
für ein Feſt iſt eine Aufgabe, wobei ſich der Kunſtſinn vollkommen
bewähren kann; Architekten müſſen oft ihre Gebäude hauptſächlich
als Grundlage eines ſolchen lebendigen Kunſtwerks anſehn. Dieſe
lebendige Plaſtik hängt ſehr eng mit der am todten Stoffe
darſtellenden zuſammen, und muß ſie vorbereiten. — Die Mi-
mik an ſich mit redenden Künſten verbunden wird Declama-
tion
(σημεῖα, σχήματα).


21. Die allein im Raum darſtellenden (zeich-1
nenden) Kuͤnſte koͤnnen nicht durch die reine (arithme-
tiſche) Groͤße, das blos Quantitative, darſtellen, wie die
Muſik, indem das Raͤumliche immer zugleich als Figur,
alſo qualitativ, beſtimmt werden muß. Sie haben nur2
zwei Mittel darzuſtellen, die geometriſch beſtimmbare

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[9/0031] Zur Theorie der Kunſt. auf die Sprache angewandt und durch dieſen Stoff bedingt iſt die Metrik. 20. Eine andere Reihe von Kuͤnſten nimmt zur Zeit den Raum, zu dem Maaß der Bewegung die Art und Weiſe, die Qualitaͤt derſelben, hinzu. Auf dieſe Weiſe, in Raum und Zeit zugleich, kann der Menſch nur durch ſeinen eignen Koͤrper darſtellen. Dieſe Reihe von Kuͤn- ſten erreicht ihren Gipfel in einer mimiſchen Orche- ſtik, einer ausdrucksvollen Tanzkunſt, in der außer dem Rhythmus der Bewegung die Art derſelben, die ſchoͤne und bedeutungsvolle Geberde, Kunſtform iſt. Aber Aeu- ßerungen einer ſolchen Kunſtthaͤtigkeit durchdringen, in hoͤherem oder geringerem Maaße, nach den Anlagen von Individuen und Nationen, das ganze Leben, und verbin- den ſich mit verſchiedenen Kuͤnſten. 1 2 3 3. Unwillkührlich ſpricht jede Bewegung und Geberde an uns. Dieſe unwillkührliche Darſtellung zu regeln, war Hauptſache der Griechiſchen Erziehung. Der Jüngling wird ein Bild der σωφροσύνη, καλοκαγαϑία. Auch die Gymnaſtik war zum Theil darſtellender Art (Pentathlon). In größerm Maaßſtabe zeigt ſich dieſe Kunſtthätigkeit bei der Bewegung von Pompen, von Kriegs- heeren zu Fuß und Pferde. Die Anordnung einer Menſchenmaſſe für ein Feſt iſt eine Aufgabe, wobei ſich der Kunſtſinn vollkommen bewähren kann; Architekten müſſen oft ihre Gebäude hauptſächlich als Grundlage eines ſolchen lebendigen Kunſtwerks anſehn. Dieſe lebendige Plaſtik hängt ſehr eng mit der am todten Stoffe darſtellenden zuſammen, und muß ſie vorbereiten. — Die Mi- mik an ſich mit redenden Künſten verbunden wird Declama- tion (σημεῖα, σχήματα). 21. Die allein im Raum darſtellenden (zeich- nenden) Kuͤnſte koͤnnen nicht durch die reine (arithme- tiſche) Groͤße, das blos Quantitative, darſtellen, wie die Muſik, indem das Raͤumliche immer zugleich als Figur, alſo qualitativ, beſtimmt werden muß. Sie haben nur zwei Mittel darzuſtellen, die geometriſch beſtimmbare 1 2

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_kunst_1830/31>, abgerufen am 23.11.2024.