Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830.II. Bildende Kunst. Formen. auf der alten Bühne, gespart; die Figuren werden, ab-gesehn von den Erzeugnissen eines spätern Geschmacks am Ueberladnen, in dem größten Theil ihrer Umrisse ge- trennt gehalten (vgl. §. 133, 3.) Massen von Men-3 schen darzustellen, ist ganz gegen den Geist der antiken Kunst, welche auch dafür ideelle Figuren (Städte, Völker als einzelne Personen) zu brauchen pflegt. Dagegen4 erlaubt die zusammenziehende Darstellungsweise der alten Kunst, verschiedne Zeitmomente, welche aber in der Einheit einer Haupthandlung zusammenfließen müssen, in dem Bezirk eines Kunstwerkes nebeneinanderzustellen, oft so, daß es schwer ist, die verschiednen Momente mit den dazu gehörenden Figuren scharf von einander zu trennen. -- Je älter das Kunstwerk, um desto mehr5 verlangt der Griechische Kunstsinn eine augenfällige Sym- metrie in der Zahl, Stellung und Gestalt der combi- nirten Figuren, welche die innern Beziehungen von Satz und Gegensatz, von Beginn, Mitte, und Schluß der Handlung und Aehnliches auch sichtlich darstelle (vgl. §. 93. 134). Erst nach und nach wird die Composition freier, die Symmetrie versteckter; die Einheit gestattet eine grö- ßere Verschiedenheit in den untergeordneten Theilen; die Hauptgruppen zerfallen selbst wieder in verschiedenartige kleinere Gruppen: aber eine absichtliche Unruhe und Ver- wirrung in der Gruppirung gehört erst den Zeiten eines späten, gesunkenen Geschmacks. Die äußeren Bedingun-6 gen, welche dem plastischen Kunstwerk die Bestimmung für den Schmuck eines Gebäudes oder andere Lebenszwecke setzen, erscheinen nie als ein Zwang, als ein die Kunst- idee einschränkendes und ihre volle Entwicklung störendes äußeres Gesetz; vielmehr werden diese äußern Be- dingungen gleich in den Keim des Kunstwerks mit auf- genommen, und wachsen mit der innersten und tiefsten Idee desselben in ein untrennbares Ganze zusammen. 1. Vgl. Winckelm. iv. S. 178. 28*
II. Bildende Kunſt. Formen. auf der alten Buͤhne, geſpart; die Figuren werden, ab-geſehn von den Erzeugniſſen eines ſpaͤtern Geſchmacks am Ueberladnen, in dem groͤßten Theil ihrer Umriſſe ge- trennt gehalten (vgl. §. 133, 3.) Maſſen von Men-3 ſchen darzuſtellen, iſt ganz gegen den Geiſt der antiken Kunſt, welche auch dafuͤr ideelle Figuren (Staͤdte, Voͤlker als einzelne Perſonen) zu brauchen pflegt. Dagegen4 erlaubt die zuſammenziehende Darſtellungsweiſe der alten Kunſt, verſchiedne Zeitmomente, welche aber in der Einheit einer Haupthandlung zuſammenfließen muͤſſen, in dem Bezirk eines Kunſtwerkes nebeneinanderzuſtellen, oft ſo, daß es ſchwer iſt, die verſchiednen Momente mit den dazu gehoͤrenden Figuren ſcharf von einander zu trennen. — Je aͤlter das Kunſtwerk, um deſto mehr5 verlangt der Griechiſche Kunſtſinn eine augenfaͤllige Sym- metrie in der Zahl, Stellung und Geſtalt der combi- nirten Figuren, welche die innern Beziehungen von Satz und Gegenſatz, von Beginn, Mitte, und Schluß der Handlung und Aehnliches auch ſichtlich darſtelle (vgl. §. 93. 134). Erſt nach und nach wird die Compoſition freier, die Symmetrie verſteckter; die Einheit geſtattet eine groͤ- ßere Verſchiedenheit in den untergeordneten Theilen; die Hauptgruppen zerfallen ſelbſt wieder in verſchiedenartige kleinere Gruppen: aber eine abſichtliche Unruhe und Ver- wirrung in der Gruppirung gehoͤrt erſt den Zeiten eines ſpaͤten, geſunkenen Geſchmacks. Die aͤußeren Bedingun-6 gen, welche dem plaſtiſchen Kunſtwerk die Beſtimmung fuͤr den Schmuck eines Gebaͤudes oder andere Lebenszwecke ſetzen, erſcheinen nie als ein Zwang, als ein die Kunſt- idee einſchraͤnkendes und ihre volle Entwicklung ſtoͤrendes aͤußeres Geſetz; vielmehr werden dieſe aͤußern Be- dingungen gleich in den Keim des Kunſtwerks mit auf- genommen, und wachſen mit der innerſten und tiefſten Idee deſſelben in ein untrennbares Ganze zuſammen. 1. Vgl. Winckelm. iv. S. 178. 28*
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II. Bildende Kunſt. Formen.
auf der alten Buͤhne, geſpart; die Figuren werden, ab-
geſehn von den Erzeugniſſen eines ſpaͤtern Geſchmacks
am Ueberladnen, in dem groͤßten Theil ihrer Umriſſe ge-
trennt gehalten (vgl. §. 133, 3.) Maſſen von Men-
ſchen darzuſtellen, iſt ganz gegen den Geiſt der antiken
Kunſt, welche auch dafuͤr ideelle Figuren (Staͤdte, Voͤlker
als einzelne Perſonen) zu brauchen pflegt. Dagegen
erlaubt die zuſammenziehende Darſtellungsweiſe der alten
Kunſt, verſchiedne Zeitmomente, welche aber in
der Einheit einer Haupthandlung zuſammenfließen muͤſſen,
in dem Bezirk eines Kunſtwerkes nebeneinanderzuſtellen,
oft ſo, daß es ſchwer iſt, die verſchiednen Momente
mit den dazu gehoͤrenden Figuren ſcharf von einander zu
trennen. — Je aͤlter das Kunſtwerk, um deſto mehr
verlangt der Griechiſche Kunſtſinn eine augenfaͤllige Sym-
metrie in der Zahl, Stellung und Geſtalt der combi-
nirten Figuren, welche die innern Beziehungen von Satz und
Gegenſatz, von Beginn, Mitte, und Schluß der Handlung
und Aehnliches auch ſichtlich darſtelle (vgl. §. 93. 134).
Erſt nach und nach wird die Compoſition freier, die
Symmetrie verſteckter; die Einheit geſtattet eine groͤ-
ßere Verſchiedenheit in den untergeordneten Theilen; die
Hauptgruppen zerfallen ſelbſt wieder in verſchiedenartige
kleinere Gruppen: aber eine abſichtliche Unruhe und Ver-
wirrung in der Gruppirung gehoͤrt erſt den Zeiten eines
ſpaͤten, geſunkenen Geſchmacks. Die aͤußeren Bedingun-
gen, welche dem plaſtiſchen Kunſtwerk die Beſtimmung
fuͤr den Schmuck eines Gebaͤudes oder andere Lebenszwecke
ſetzen, erſcheinen nie als ein Zwang, als ein die Kunſt-
idee einſchraͤnkendes und ihre volle Entwicklung ſtoͤrendes
aͤußeres Geſetz; vielmehr werden dieſe aͤußern Be-
dingungen gleich in den Keim des Kunſtwerks mit auf-
genommen, und wachſen mit der innerſten und tiefſten
Idee deſſelben in ein untrennbares Ganze zuſammen.
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1. Vgl. Winckelm. iv. S. 178.
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