390. Die Dionysischen Züge und Schwärme auf al-1 ten Kunstwerken muß man gewiß aus sehr verschiednen Gesichtspunkten betrachten. Theils als reine Vor-2 gänge der Phantasie, etwa wie die Mänaden bei dem Trieterischen Feste auf dem Parnaß die Satyrn zu erbli- cken und ihre Musik zu vernehmen glaubten, als ideale Darstellungen Bacchischer Ekstase in allen Abstufungen. Theils als Scenen aus Dionysischen Festen, welche überall3 in Griechenland mit mannigfachen Mummereien, beson- ders Repräsentationen des Dionysos und seiner Thiaso- ten, verbunden waren, die an den Makedonischen Höfen, wie in Alexandria, mit dem unmäßigsten Luxus ausge- führt wurden. Während auf Reliefs die Darstellung der4 Dionysischen Pompa vorherrscht, wobei der Gott auf dem Wagen gefahren wird, auch wohl Komodia oder wenig- stens ihre Masken auf einem Karren nachfahren: kann5 man aus den Vasengemählden eine lange Reihe solcher Repräsentationen von sehr verschiedner Art zusammenstel- len, indem man Jünglinge bald in gewöhnlichem Costüm, mit Kränzen, Fackeln, Flötenspielerinnen, halb wandelnd halb tanzend, den trunknen Komos aufführen, bald aber auch das aus Masken und Leibbinde bestehende Satyrco- stüm annehmen, und in solcher Vermummung einen von ihnen als Dionysos begleiten und umtanzen sieht, woran sich dann orchestische Darstellungen der Liebe des Diony- sos zur Ariadne natürlich anschließen. Endlich sehen wir6 die auch bei solchen Zügen vorkommenden Skurren oder Phlyaken, mit ihren bizarren Masken, ausgestopften, bun- ten Jacken und Hosen und phallischen Abzeichen, in re- gelmäßiger Bühnendarstellung mythologische Scenen tra- vestiren, wodurch uns die ganze Gestalt der ältesten Ko- mödie deutlich vor Augen gebracht wird.
2. Macr. S. i, 18. Solche Darstellungen in Reliefs, auf mehrern Urnen, wie der herrlichen Borghesischen V. Borgh. St.
II. Bildende Kunſt. Gegenſtaͤnde.
7. Dionyſos Thiaſos im Ganzen.
390. Die Dionyſiſchen Zuͤge und Schwaͤrme auf al-1 ten Kunſtwerken muß man gewiß aus ſehr verſchiednen Geſichtspunkten betrachten. Theils als reine Vor-2 gaͤnge der Phantaſie, etwa wie die Maͤnaden bei dem Trieteriſchen Feſte auf dem Parnaß die Satyrn zu erbli- cken und ihre Muſik zu vernehmen glaubten, als ideale Darſtellungen Bacchiſcher Ekſtaſe in allen Abſtufungen. Theils als Scenen aus Dionyſiſchen Feſten, welche uͤberall3 in Griechenland mit mannigfachen Mummereien, beſon- ders Repraͤſentationen des Dionyſos und ſeiner Thiaſo- ten, verbunden waren, die an den Makedoniſchen Hoͤfen, wie in Alexandria, mit dem unmaͤßigſten Luxus ausge- fuͤhrt wurden. Waͤhrend auf Reliefs die Darſtellung der4 Dionyſiſchen Pompa vorherrſcht, wobei der Gott auf dem Wagen gefahren wird, auch wohl Komodia oder wenig- ſtens ihre Masken auf einem Karren nachfahren: kann5 man aus den Vaſengemaͤhlden eine lange Reihe ſolcher Repraͤſentationen von ſehr verſchiedner Art zuſammenſtel- len, indem man Juͤnglinge bald in gewoͤhnlichem Coſtuͤm, mit Kraͤnzen, Fackeln, Floͤtenſpielerinnen, halb wandelnd halb tanzend, den trunknen Komos auffuͤhren, bald aber auch das aus Masken und Leibbinde beſtehende Satyrco- ſtuͤm annehmen, und in ſolcher Vermummung einen von ihnen als Dionyſos begleiten und umtanzen ſieht, woran ſich dann orcheſtiſche Darſtellungen der Liebe des Diony- ſos zur Ariadne natuͤrlich anſchließen. Endlich ſehen wir6 die auch bei ſolchen Zuͤgen vorkommenden Skurren oder Phlyaken, mit ihren bizarren Masken, ausgeſtopften, bun- ten Jacken und Hoſen und phalliſchen Abzeichen, in re- gelmaͤßiger Buͤhnendarſtellung mythologiſche Scenen tra- veſtiren, wodurch uns die ganze Geſtalt der aͤlteſten Ko- moͤdie deutlich vor Augen gebracht wird.
2. Macr. S. i, 18. Solche Darſtellungen in Reliefs, auf mehrern Urnen, wie der herrlichen Borgheſiſchen V. Borgh. St.
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II. Bildende Kunſt. Gegenſtaͤnde.
7. Dionyſos Thiaſos im Ganzen.
390. Die Dionyſiſchen Zuͤge und Schwaͤrme auf al-
ten Kunſtwerken muß man gewiß aus ſehr verſchiednen
Geſichtspunkten betrachten. Theils als reine Vor-
gaͤnge der Phantaſie, etwa wie die Maͤnaden bei dem
Trieteriſchen Feſte auf dem Parnaß die Satyrn zu erbli-
cken und ihre Muſik zu vernehmen glaubten, als ideale
Darſtellungen Bacchiſcher Ekſtaſe in allen Abſtufungen.
Theils als Scenen aus Dionyſiſchen Feſten, welche uͤberall
in Griechenland mit mannigfachen Mummereien, beſon-
ders Repraͤſentationen des Dionyſos und ſeiner Thiaſo-
ten, verbunden waren, die an den Makedoniſchen Hoͤfen,
wie in Alexandria, mit dem unmaͤßigſten Luxus ausge-
fuͤhrt wurden. Waͤhrend auf Reliefs die Darſtellung der
Dionyſiſchen Pompa vorherrſcht, wobei der Gott auf dem
Wagen gefahren wird, auch wohl Komodia oder wenig-
ſtens ihre Masken auf einem Karren nachfahren: kann
man aus den Vaſengemaͤhlden eine lange Reihe ſolcher
Repraͤſentationen von ſehr verſchiedner Art zuſammenſtel-
len, indem man Juͤnglinge bald in gewoͤhnlichem Coſtuͤm,
mit Kraͤnzen, Fackeln, Floͤtenſpielerinnen, halb wandelnd
halb tanzend, den trunknen Komos auffuͤhren, bald aber
auch das aus Masken und Leibbinde beſtehende Satyrco-
ſtuͤm annehmen, und in ſolcher Vermummung einen von
ihnen als Dionyſos begleiten und umtanzen ſieht, woran
ſich dann orcheſtiſche Darſtellungen der Liebe des Diony-
ſos zur Ariadne natuͤrlich anſchließen. Endlich ſehen wir
die auch bei ſolchen Zuͤgen vorkommenden Skurren oder
Phlyaken, mit ihren bizarren Masken, ausgeſtopften, bun-
ten Jacken und Hoſen und phalliſchen Abzeichen, in re-
gelmaͤßiger Buͤhnendarſtellung mythologiſche Scenen tra-
veſtiren, wodurch uns die ganze Geſtalt der aͤlteſten Ko-
moͤdie deutlich vor Augen gebracht wird.
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Müller, Karl Otfried: Handbuch der Archäologie der Kunst. Breslau, 1830, S. 525. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_kunst_1830/547>, abgerufen am 22.11.2024.
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