Müller-Freienfels, Richard: Poetik. Leipzig u. a., 1914.pmu_039.001 Dabei erstreckt sich der Bereich der sich ausdrückenden Gefühle von der pmu_039.009 14. Es war, wie schon oben betont wurde, bei der Aufstellung aller dieser pmu_039.018 Dabei ist natürlich weiter zu bemerken, daß, wenn wir die einzelnen pmu_039.027 Um zwei Beispiele solcher Synthese zu geben, suchen wir an zweien der pmu_039.001 Dabei erstreckt sich der Bereich der sich ausdrückenden Gefühle von der pmu_039.009 14. Es war, wie schon oben betont wurde, bei der Aufstellung aller dieser pmu_039.018 Dabei ist natürlich weiter zu bemerken, daß, wenn wir die einzelnen pmu_039.027 Um zwei Beispiele solcher Synthese zu geben, suchen wir an zweien der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0049" n="39"/><lb n="pmu_039.001"/> Affekt. Die unglückliche Liebe ist wohl noch produktiver als die glückliche. <lb n="pmu_039.002"/> Die Vereinigung mit der Geliebten ist ja sicherlich nicht der günstigste <lb n="pmu_039.003"/> Zivilstand für den Dichter. Nur die wenigsten Liebeslieder gelten <lb n="pmu_039.004"/> der Gattin, die meisten der Braut, der spröden und verschmähenden Geliebten <lb n="pmu_039.005"/> oder der Gattin eines andern. Jn der mittelalterlichen Minnepoesie <lb n="pmu_039.006"/> war es sogar zur Konvention erstarrt, nur der Gattin eines andern <lb n="pmu_039.007"/> seine Lieder zu weihen.</p> <lb n="pmu_039.008"/> <p> Dabei erstreckt sich der Bereich der sich ausdrückenden Gefühle von der <lb n="pmu_039.009"/> robustesten Sinnenbrunst bis hinauf zu den sublimsten, ätherischsten Stimmungen. <lb n="pmu_039.010"/> Mit Recht hat man darauf hingewiesen, daß die Liebe in jener <lb n="pmu_039.011"/> Vergeistigung, wie sie gerade bei den edelsten Menschen sich findet, eine <lb n="pmu_039.012"/> Schöpfung der Poesie sei. — Daß auch in unsern Zeiten wieder die Erotik <lb n="pmu_039.013"/> in ihrer brutalsten Form das Hauptmotiv für manche Dichter geworden <lb n="pmu_039.014"/> ist, illustriert am besten Wedekind, wie es denn überhaupt ein Charakteristikum <lb n="pmu_039.015"/> einer überspitzten Kultur ist, daß auch alle möglichen Pervertierungen <lb n="pmu_039.016"/> Aussprache suchen in poetischer Form.</p> <lb n="pmu_039.017"/> </div> <div n="3"> <p> 14. Es war, wie schon oben betont wurde, bei der Aufstellung aller dieser <lb n="pmu_039.018"/> Typen nicht bloß die Absicht, ein Klassifikationsschema zu geben, für <lb n="pmu_039.019"/> uns leitend. Vielmehr haben wir, indem wir die besonders markanten <lb n="pmu_039.020"/> Fälle herausstellten, damit zugleich eine Übersicht über die wichtigsten <lb n="pmu_039.021"/> Formen des Erlebens gegeben, wie es sich in den Dichtungen ausdrückt. <lb n="pmu_039.022"/> Jndem wir die Typen des Phantasiedichters, des Speziellsehers, des Dichters <lb n="pmu_039.023"/> der Sympathie kennzeichneten, haben wir zugleich dartun wollen, <lb n="pmu_039.024"/> wie sich die freie Phantasie, die Fähigkeit des exakten Schauens, des Affektes <lb n="pmu_039.025"/> der Sympathie in den Dichterpersönlichkeiten zum Ausdruck bringen.</p> <lb n="pmu_039.026"/> <p> Dabei ist natürlich weiter zu bemerken, daß, wenn wir die einzelnen <lb n="pmu_039.027"/> Dichter oben einem bestimmten Typus zugeordnet haben, dies stets nur <lb n="pmu_039.028"/> im Hinblick auf das Überwiegen der gerade in Frage stehenden psychologischen <lb n="pmu_039.029"/> Funktion geschah. Jn Wirklichkeit ist jede, auch die einfachste <lb n="pmu_039.030"/> Dichterindividualität viel zu kompliziert, um in ein einziges solches Schema <lb n="pmu_039.031"/> gepreßt werden zu können. Das war aber auch nicht die Absicht. Wir <lb n="pmu_039.032"/> wollten vielmehr mit der Aufstellung jener typischen Verschiedenheiten <lb n="pmu_039.033"/> Handhaben geben, um die einzelnen Dichterindividualitäten zu analysieren. <lb n="pmu_039.034"/> Und indem wir die wichtigsten Möglichkeiten herausgestellt haben <lb n="pmu_039.035"/> (Vollständigkeit ist leider ein in weiter Ferne liegendes Jdeal), kann man <lb n="pmu_039.036"/> damit wohl leichter bei der Analyse sich orientieren und danach auch synthetisch <lb n="pmu_039.037"/> ein Bild gewinnen.</p> <lb n="pmu_039.038"/> <p> Um zwei Beispiele solcher Synthese zu geben, suchen wir an zweien der </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [39/0049]
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Affekt. Die unglückliche Liebe ist wohl noch produktiver als die glückliche. pmu_039.002
Die Vereinigung mit der Geliebten ist ja sicherlich nicht der günstigste pmu_039.003
Zivilstand für den Dichter. Nur die wenigsten Liebeslieder gelten pmu_039.004
der Gattin, die meisten der Braut, der spröden und verschmähenden Geliebten pmu_039.005
oder der Gattin eines andern. Jn der mittelalterlichen Minnepoesie pmu_039.006
war es sogar zur Konvention erstarrt, nur der Gattin eines andern pmu_039.007
seine Lieder zu weihen.
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Dabei erstreckt sich der Bereich der sich ausdrückenden Gefühle von der pmu_039.009
robustesten Sinnenbrunst bis hinauf zu den sublimsten, ätherischsten Stimmungen. pmu_039.010
Mit Recht hat man darauf hingewiesen, daß die Liebe in jener pmu_039.011
Vergeistigung, wie sie gerade bei den edelsten Menschen sich findet, eine pmu_039.012
Schöpfung der Poesie sei. — Daß auch in unsern Zeiten wieder die Erotik pmu_039.013
in ihrer brutalsten Form das Hauptmotiv für manche Dichter geworden pmu_039.014
ist, illustriert am besten Wedekind, wie es denn überhaupt ein Charakteristikum pmu_039.015
einer überspitzten Kultur ist, daß auch alle möglichen Pervertierungen pmu_039.016
Aussprache suchen in poetischer Form.
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14. Es war, wie schon oben betont wurde, bei der Aufstellung aller dieser pmu_039.018
Typen nicht bloß die Absicht, ein Klassifikationsschema zu geben, für pmu_039.019
uns leitend. Vielmehr haben wir, indem wir die besonders markanten pmu_039.020
Fälle herausstellten, damit zugleich eine Übersicht über die wichtigsten pmu_039.021
Formen des Erlebens gegeben, wie es sich in den Dichtungen ausdrückt. pmu_039.022
Jndem wir die Typen des Phantasiedichters, des Speziellsehers, des Dichters pmu_039.023
der Sympathie kennzeichneten, haben wir zugleich dartun wollen, pmu_039.024
wie sich die freie Phantasie, die Fähigkeit des exakten Schauens, des Affektes pmu_039.025
der Sympathie in den Dichterpersönlichkeiten zum Ausdruck bringen.
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Dabei ist natürlich weiter zu bemerken, daß, wenn wir die einzelnen pmu_039.027
Dichter oben einem bestimmten Typus zugeordnet haben, dies stets nur pmu_039.028
im Hinblick auf das Überwiegen der gerade in Frage stehenden psychologischen pmu_039.029
Funktion geschah. Jn Wirklichkeit ist jede, auch die einfachste pmu_039.030
Dichterindividualität viel zu kompliziert, um in ein einziges solches Schema pmu_039.031
gepreßt werden zu können. Das war aber auch nicht die Absicht. Wir pmu_039.032
wollten vielmehr mit der Aufstellung jener typischen Verschiedenheiten pmu_039.033
Handhaben geben, um die einzelnen Dichterindividualitäten zu analysieren. pmu_039.034
Und indem wir die wichtigsten Möglichkeiten herausgestellt haben pmu_039.035
(Vollständigkeit ist leider ein in weiter Ferne liegendes Jdeal), kann man pmu_039.036
damit wohl leichter bei der Analyse sich orientieren und danach auch synthetisch pmu_039.037
ein Bild gewinnen.
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Um zwei Beispiele solcher Synthese zu geben, suchen wir an zweien der
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