vom Staate, wie von uns selbst, losreißen. Nur die verworfenste, kern- und herzloseste Wissen- schaft, nur die nichtswürdigste Speculation, kann thun, als stände sie in gar keiner Beziehung auf den Staat; und die hervorstechendste, in der bishe- rigen Theorie zu leicht angeschlagene oder ganz übersehene Eigenschaft des Staates ist seine Be- wegung, weshalb er sich nur ideenweise erken- nen läßt.
Wir betreten jetzt ein neues Feld unserer Un- tersuchung, und betrachten den Staat, wie er sich den Sinnen darstellt.
Wie verhält sich also die menschliche oder bürgerliche Gesellschaft -- was, nach meinen Voraussetzungen, dasselbe sagen will -- zu ih- rem Wohnsitze, der Erde? Der Planet, den wir bewohnen, hat alle Zeichen größerer Dauerhaf- tigkeit; er ist älter als das menschliche Ge- schlecht, und wird wahrscheinlich das menschliche Geschlecht auch überleben. Mit diesem Planeten ist das menschliche Geschlecht in Kampf: es sucht ihm abzugewinnen, was es nur vermag; es sucht ihn zu zähmen, und alle seine Erzeug- nisse, alle seine Kräfte in das Interesse der bür- gerlichen Gesellschaft hinein zu ziehen.
In diesem Streit entwickelt sich die Kraft der Gesellschaft; sie verbreitet und concentrirt
vom Staate, wie von uns ſelbſt, losreißen. Nur die verworfenſte, kern- und herzloſeſte Wiſſen- ſchaft, nur die nichtswuͤrdigſte Speculation, kann thun, als ſtaͤnde ſie in gar keiner Beziehung auf den Staat; und die hervorſtechendſte, in der bishe- rigen Theorie zu leicht angeſchlagene oder ganz uͤberſehene Eigenſchaft des Staates iſt ſeine Be- wegung, weshalb er ſich nur ideenweiſe erken- nen laͤßt.
Wir betreten jetzt ein neues Feld unſerer Un- terſuchung, und betrachten den Staat, wie er ſich den Sinnen darſtellt.
Wie verhaͤlt ſich alſo die menſchliche oder buͤrgerliche Geſellſchaft — was, nach meinen Vorausſetzungen, daſſelbe ſagen will — zu ih- rem Wohnſitze, der Erde? Der Planet, den wir bewohnen, hat alle Zeichen groͤßerer Dauerhaf- tigkeit; er iſt aͤlter als das menſchliche Ge- ſchlecht, und wird wahrſcheinlich das menſchliche Geſchlecht auch uͤberleben. Mit dieſem Planeten iſt das menſchliche Geſchlecht in Kampf: es ſucht ihm abzugewinnen, was es nur vermag; es ſucht ihn zu zaͤhmen, und alle ſeine Erzeug- niſſe, alle ſeine Kraͤfte in das Intereſſe der buͤr- gerlichen Geſellſchaft hinein zu ziehen.
In dieſem Streit entwickelt ſich die Kraft der Geſellſchaft; ſie verbreitet und concentrirt
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vom Staate, wie von uns ſelbſt, losreißen. Nur
die verworfenſte, kern- und herzloſeſte Wiſſen-
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thun, als ſtaͤnde ſie in gar keiner Beziehung auf
den Staat; und die hervorſtechendſte, in der bishe-
rigen Theorie zu leicht angeſchlagene oder ganz
uͤberſehene Eigenſchaft des Staates iſt ſeine Be-
wegung, weshalb er ſich nur ideenweiſe erken-
nen laͤßt.
Wir betreten jetzt ein neues Feld unſerer Un-
terſuchung, und betrachten den Staat, wie er
ſich den Sinnen darſtellt.
Wie verhaͤlt ſich alſo die menſchliche oder
buͤrgerliche Geſellſchaft — was, nach meinen
Vorausſetzungen, daſſelbe ſagen will — zu ih-
rem Wohnſitze, der Erde? Der Planet, den wir
bewohnen, hat alle Zeichen groͤßerer Dauerhaf-
tigkeit; er iſt aͤlter als das menſchliche Ge-
ſchlecht, und wird wahrſcheinlich das menſchliche
Geſchlecht auch uͤberleben. Mit dieſem Planeten
iſt das menſchliche Geſchlecht in Kampf: es
ſucht ihm abzugewinnen, was es nur vermag;
es ſucht ihn zu zaͤhmen, und alle ſeine Erzeug-
niſſe, alle ſeine Kraͤfte in das Intereſſe der buͤr-
gerlichen Geſellſchaft hinein zu ziehen.
In dieſem Streit entwickelt ſich die Kraft
der Geſellſchaft; ſie verbreitet und concentrirt
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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/110>, abgerufen am 22.11.2024.
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