der freier Selbstthätigkeit wieder erobert werden muß, so würde nicht in so viele, selbst muthige, Seelen jene Scheu vor dem Kriege, als etwas absolut Unnatürlichem und Unrechtmäßigem, als einer mit Hunger und Pest in gleicher Linie ste- henden National-Calamität, gekommen seyn. Man würde empfunden haben 1), daß, je deut- licher, lebendiger, persönlicher, der einzelne Bür- ger den Staat als ein Ganzes vor sich sehe, um so mehr das Recht im Gange sey und trium- phire; 2) daß nichts so sehr, als ein wahrer Krieg, jeden Einzelnen mit der Existenz und der Natur der ganzen Staats-Verbindung erfüllen und durchdringen könne; daß demnach 3) die ungeheure Bewegung, welche wir "Krieg" nennen, dem Gedeihen und der schönsten Blüthe des wahren Rechtes eben so zuträglich sey, wie alle jene künstlichen Friedens-Institute, die wir, weil sie stillstehen und angestellt werden, Rechts- anstalten nennen.
Man glaubte, der Krieg sey hors de la loi; das ganze Verhältniß zu benachbarten Staaten sey ein nothwendiges Uebel; der Staat müsse vornehmlich nach politischer Selbstzufriedenheit und Selbstgenügsamkeit trachten; auch der aus- wärtige Handel sey zwar nicht zu verwerfen, wenn er viel Geld und rohe Producte herein
der freier Selbſtthaͤtigkeit wieder erobert werden muß, ſo wuͤrde nicht in ſo viele, ſelbſt muthige, Seelen jene Scheu vor dem Kriege, als etwas abſolut Unnatuͤrlichem und Unrechtmaͤßigem, als einer mit Hunger und Peſt in gleicher Linie ſte- henden National-Calamitaͤt, gekommen ſeyn. Man wuͤrde empfunden haben 1), daß, je deut- licher, lebendiger, perſoͤnlicher, der einzelne Buͤr- ger den Staat als ein Ganzes vor ſich ſehe, um ſo mehr das Recht im Gange ſey und trium- phire; 2) daß nichts ſo ſehr, als ein wahrer Krieg, jeden Einzelnen mit der Exiſtenz und der Natur der ganzen Staats-Verbindung erfuͤllen und durchdringen koͤnne; daß demnach 3) die ungeheure Bewegung, welche wir „Krieg“ nennen, dem Gedeihen und der ſchoͤnſten Bluͤthe des wahren Rechtes eben ſo zutraͤglich ſey, wie alle jene kuͤnſtlichen Friedens-Inſtitute, die wir, weil ſie ſtillſtehen und angeſtellt werden, Rechts- anſtalten nennen.
Man glaubte, der Krieg ſey hors de la loi; das ganze Verhaͤltniß zu benachbarten Staaten ſey ein nothwendiges Uebel; der Staat muͤſſe vornehmlich nach politiſcher Selbſtzufriedenheit und Selbſtgenuͤgſamkeit trachten; auch der aus- waͤrtige Handel ſey zwar nicht zu verwerfen, wenn er viel Geld und rohe Producte herein
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der freier Selbſtthaͤtigkeit wieder erobert werden
muß, ſo wuͤrde nicht in ſo viele, ſelbſt muthige,
Seelen jene Scheu vor dem Kriege, als etwas
abſolut Unnatuͤrlichem und Unrechtmaͤßigem, als
einer mit Hunger und Peſt in gleicher Linie ſte-
henden National-Calamitaͤt, gekommen ſeyn.
Man wuͤrde empfunden haben 1), daß, je deut-
licher, lebendiger, perſoͤnlicher, der einzelne Buͤr-
ger den Staat als ein Ganzes vor ſich ſehe, um
ſo mehr das Recht im Gange ſey und trium-
phire; 2) daß nichts ſo ſehr, als ein wahrer
Krieg, jeden Einzelnen mit der Exiſtenz und der
Natur der ganzen Staats-Verbindung erfuͤllen
und durchdringen koͤnne; daß demnach 3) die
ungeheure Bewegung, welche wir „Krieg“
nennen, dem Gedeihen und der ſchoͤnſten Bluͤthe
des wahren Rechtes eben ſo zutraͤglich ſey, wie
alle jene kuͤnſtlichen Friedens-Inſtitute, die wir,
weil ſie ſtillſtehen und angeſtellt werden, Rechts-
anſtalten nennen.
Man glaubte, der Krieg ſey hors de la loi;
das ganze Verhaͤltniß zu benachbarten Staaten
ſey ein nothwendiges Uebel; der Staat muͤſſe
vornehmlich nach politiſcher Selbſtzufriedenheit
und Selbſtgenuͤgſamkeit trachten; auch der aus-
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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/154>, abgerufen am 23.11.2024.
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