Gesellschaft ganz oberflächlich betrachtet, so sind die hervorstechendsten Unterschiede der einzelnen Individuen, welche man bemerkt, und auf den ersten Blick bemerkt: Alter und Jugend, und männliche und weibliche Individuen. Diese Unter- schiede sind den Menschen unter allen Zonen ge- meinschaftlich; sie sind nothwendige Bedingungen, und nothwendige Folgen davon, daß es über- haupt Menschen giebt. -- In ihnen ruhet die ewig unabänderliche große Ungleichheit der Men- schen; alle anderen Unterschiede, Reiche und Arme, Vornehme und Geringe, sind abgeleitete und unwesentliche; jene sind in der ersten Fami- lie (dem ersten und einfachsten Staate), so gut wie in dem entwickeltsten, zusammengesetztesten, reichsten Staate, die vorwaltenden. Alle Staats- lehre muß demnach mit ihrer Darstellung, oder -- was dasselbe sagen will -- mit der Theorie der Familie, anfangen.
Die Ungleichheit von Alter und Jugend ist eine Ungleichheit in der Zeit, oder eine Ungleich- heit unter den Raumgenossen; alle Ungleichheit auf Erden ist dazu da, daß sie auf eine zugleich natürliche und schöne Weise vom Menschen auf- gehoben, alle Dissonanz, daß sie vom Menschen gelös't werden soll; die Natur reicht dem Men- schen unaufhörlich ungleiche Dinge hin, damit
Geſellſchaft ganz oberflaͤchlich betrachtet, ſo ſind die hervorſtechendſten Unterſchiede der einzelnen Individuen, welche man bemerkt, und auf den erſten Blick bemerkt: Alter und Jugend, und maͤnnliche und weibliche Individuen. Dieſe Unter- ſchiede ſind den Menſchen unter allen Zonen ge- meinſchaftlich; ſie ſind nothwendige Bedingungen, und nothwendige Folgen davon, daß es uͤber- haupt Menſchen giebt. — In ihnen ruhet die ewig unabaͤnderliche große Ungleichheit der Men- ſchen; alle anderen Unterſchiede, Reiche und Arme, Vornehme und Geringe, ſind abgeleitete und unweſentliche; jene ſind in der erſten Fami- lie (dem erſten und einfachſten Staate), ſo gut wie in dem entwickeltſten, zuſammengeſetzteſten, reichſten Staate, die vorwaltenden. Alle Staats- lehre muß demnach mit ihrer Darſtellung, oder — was daſſelbe ſagen will — mit der Theorie der Familie, anfangen.
Die Ungleichheit von Alter und Jugend iſt eine Ungleichheit in der Zeit, oder eine Ungleich- heit unter den Raumgenoſſen; alle Ungleichheit auf Erden iſt dazu da, daß ſie auf eine zugleich natuͤrliche und ſchoͤne Weiſe vom Menſchen auf- gehoben, alle Diſſonanz, daß ſie vom Menſchen geloͤſ’t werden ſoll; die Natur reicht dem Men- ſchen unaufhoͤrlich ungleiche Dinge hin, damit
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Geſellſchaft ganz oberflaͤchlich betrachtet, ſo ſind
die hervorſtechendſten Unterſchiede der einzelnen
Individuen, welche man bemerkt, und auf den
erſten Blick bemerkt: Alter und Jugend, und
maͤnnliche und weibliche Individuen. Dieſe Unter-
ſchiede ſind den Menſchen unter allen Zonen ge-
meinſchaftlich; ſie ſind nothwendige Bedingungen,
und nothwendige Folgen davon, daß es uͤber-
haupt Menſchen giebt. — In ihnen ruhet die
ewig unabaͤnderliche große Ungleichheit der Men-
ſchen; alle anderen Unterſchiede, Reiche und
Arme, Vornehme und Geringe, ſind abgeleitete
und unweſentliche; jene ſind in der erſten Fami-
lie (dem erſten und einfachſten Staate), ſo gut
wie in dem entwickeltſten, zuſammengeſetzteſten,
reichſten Staate, die vorwaltenden. Alle Staats-
lehre muß demnach mit ihrer Darſtellung, oder
— was daſſelbe ſagen will — mit der Theorie
der Familie, anfangen.
Die Ungleichheit von Alter und Jugend iſt
eine Ungleichheit in der Zeit, oder eine Ungleich-
heit unter den Raumgenoſſen; alle Ungleichheit
auf Erden iſt dazu da, daß ſie auf eine zugleich
natuͤrliche und ſchoͤne Weiſe vom Menſchen auf-
gehoben, alle Diſſonanz, daß ſie vom Menſchen
geloͤſ’t werden ſoll; die Natur reicht dem Men-
ſchen unaufhoͤrlich ungleiche Dinge hin, damit
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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/175>, abgerufen am 24.11.2024.
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