und in dem erhabenen Gleichgewichte zwischen Kaiser und Papst, welches nachher so verunstaltet worden ist, auch sichtbar und handgreiflich, daß es in allen menschlichen Angelegenheiten auf ein gleichmäßiges Fortschreiten zweier unaufhörlich in einander greifenden und sich gegenseitig bedin- genden Wesen, eines sichtbaren weltlichen und eines unsichtbaren geistigen Interesse, ankommt, und daß alle Gesetzgebung, die sich bloß auf das rohe, leibhaftige Aeußere, auf den todten Buch- staben, auf ein einseitiges starres Festhalten des Besitzes gründet, auch in sich selbst erstarren und untergehen muß.
Eine Legislation, die nicht in allen ihren Theilen von dem hier beschriebenen weiblichen, religiösen Geiste getränkt und durchdrungen ist, kann auf Suveränetät keinen Anspruch machen; denn es ist eine halbe Gesetzgebung, und so kann sie über ganze und vollständige Menschen nicht herrschen. Der zartere, schönere Theil der Menschheit, d. h. nicht bloß das weibliche Ge- schlecht, sondern die verborgenen, unsichtbaren Mächte im Innern jedes Menschen, mit aller ihrer Gewalt und ihrem unaufhörlichen Einfluß auf Handeln und Leben, fallen immerfort aus ihrem Sprengel heraus, stehen hors de la loi; und mit ihnen wird dem Staate unaufhörlich,
und in dem erhabenen Gleichgewichte zwiſchen Kaiſer und Papſt, welches nachher ſo verunſtaltet worden iſt, auch ſichtbar und handgreiflich, daß es in allen menſchlichen Angelegenheiten auf ein gleichmaͤßiges Fortſchreiten zweier unaufhoͤrlich in einander greifenden und ſich gegenſeitig bedin- genden Weſen, eines ſichtbaren weltlichen und eines unſichtbaren geiſtigen Intereſſe, ankommt, und daß alle Geſetzgebung, die ſich bloß auf das rohe, leibhaftige Aeußere, auf den todten Buch- ſtaben, auf ein einſeitiges ſtarres Feſthalten des Beſitzes gruͤndet, auch in ſich ſelbſt erſtarren und untergehen muß.
Eine Legislation, die nicht in allen ihren Theilen von dem hier beſchriebenen weiblichen, religioͤſen Geiſte getraͤnkt und durchdrungen iſt, kann auf Suveraͤnetaͤt keinen Anſpruch machen; denn es iſt eine halbe Geſetzgebung, und ſo kann ſie uͤber ganze und vollſtaͤndige Menſchen nicht herrſchen. Der zartere, ſchoͤnere Theil der Menſchheit, d. h. nicht bloß das weibliche Ge- ſchlecht, ſondern die verborgenen, unſichtbaren Maͤchte im Innern jedes Menſchen, mit aller ihrer Gewalt und ihrem unaufhoͤrlichen Einfluß auf Handeln und Leben, fallen immerfort aus ihrem Sprengel heraus, ſtehen hors de la loi; und mit ihnen wird dem Staate unaufhoͤrlich,
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und in dem erhabenen Gleichgewichte zwiſchen
Kaiſer und Papſt, welches nachher ſo verunſtaltet
worden iſt, auch ſichtbar und handgreiflich, daß
es in allen menſchlichen Angelegenheiten auf ein
gleichmaͤßiges Fortſchreiten zweier unaufhoͤrlich
in einander greifenden und ſich gegenſeitig bedin-
genden Weſen, eines ſichtbaren weltlichen und
eines unſichtbaren geiſtigen Intereſſe, ankommt,
und daß alle Geſetzgebung, die ſich bloß auf das
rohe, leibhaftige Aeußere, auf den todten Buch-
ſtaben, auf ein einſeitiges ſtarres Feſthalten des
Beſitzes gruͤndet, auch in ſich ſelbſt erſtarren und
untergehen muß.
Eine Legislation, die nicht in allen ihren
Theilen von dem hier beſchriebenen weiblichen,
religioͤſen Geiſte getraͤnkt und durchdrungen iſt,
kann auf Suveraͤnetaͤt keinen Anſpruch machen;
denn es iſt eine halbe Geſetzgebung, und ſo kann
ſie uͤber ganze und vollſtaͤndige Menſchen nicht
herrſchen. Der zartere, ſchoͤnere Theil der
Menſchheit, d. h. nicht bloß das weibliche Ge-
ſchlecht, ſondern die verborgenen, unſichtbaren
Maͤchte im Innern jedes Menſchen, mit aller
ihrer Gewalt und ihrem unaufhoͤrlichen Einfluß
auf Handeln und Leben, fallen immerfort aus
ihrem Sprengel heraus, ſtehen hors de la loi;
und mit ihnen wird dem Staate unaufhoͤrlich,
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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/183>, abgerufen am 24.11.2024.
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