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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

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glaubte, mit dem gutgemeinten Geschäfte auch
wirklich zu Stande gekommen zu seyn, nachdem
man allen Verträgen einen gemeinschaftlichen
Urvertrag, und allem Rechte ein allgemeines
Menschenrecht zum Grunde gelegt hatte. Die
Historie schien dieser wackern und strengen An-
sicht der Dinge allenthalben zu widersprechen; es
schien, als habe bloße Gewalt die Staaten ge-
gründet, und dem wilden, bösen Stamme sey
nur bei fortschreitender Cultur hier und dort ein
juristisches Reis eingeimpft worden.

Wiewohl wir nun dieser historischen Ansicht
von dem Ursprunge der Staaten keinesweges
das Wort reden wollen, so geben wir doch gern
zu, daß kein Staat in Folge eines wirklich ab-
geschlossenen contrat social entstanden sey. Höchst
charakteristisch für unser ganzes Zeitalter war
es, daß die philosophische Voraussetzung eines
absolut rechtlichen Ursprunges mit der größten
Hartnäckigkeit gerade von eben Denen durchge-
fochten wurde, welche die historische Ueberzeu-
gung von dem wilden, absolut unrechtlichen,
wirklichen Ursprunge der Staaten am eifrigsten
nährten, und daß man demnach der politischen
Geschichte ein philosophisches Princip aufzwang,
in demselben Augenblicke, da man fester als
je einzusehen glaubte, daß die Gesellschaft eine

glaubte, mit dem gutgemeinten Geſchaͤfte auch
wirklich zu Stande gekommen zu ſeyn, nachdem
man allen Vertraͤgen einen gemeinſchaftlichen
Urvertrag, und allem Rechte ein allgemeines
Menſchenrecht zum Grunde gelegt hatte. Die
Hiſtorie ſchien dieſer wackern und ſtrengen An-
ſicht der Dinge allenthalben zu widerſprechen; es
ſchien, als habe bloße Gewalt die Staaten ge-
gruͤndet, und dem wilden, boͤſen Stamme ſey
nur bei fortſchreitender Cultur hier und dort ein
juriſtiſches Reis eingeimpft worden.

Wiewohl wir nun dieſer hiſtoriſchen Anſicht
von dem Urſprunge der Staaten keinesweges
das Wort reden wollen, ſo geben wir doch gern
zu, daß kein Staat in Folge eines wirklich ab-
geſchloſſenen contrât social entſtanden ſey. Hoͤchſt
charakteriſtiſch fuͤr unſer ganzes Zeitalter war
es, daß die philoſophiſche Vorausſetzung eines
abſolut rechtlichen Urſprunges mit der groͤßten
Hartnaͤckigkeit gerade von eben Denen durchge-
fochten wurde, welche die hiſtoriſche Ueberzeu-
gung von dem wilden, abſolut unrechtlichen,
wirklichen Urſprunge der Staaten am eifrigſten
naͤhrten, und daß man demnach der politiſchen
Geſchichte ein philoſophiſches Princip aufzwang,
in demſelben Augenblicke, da man feſter als
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[181/0215] glaubte, mit dem gutgemeinten Geſchaͤfte auch wirklich zu Stande gekommen zu ſeyn, nachdem man allen Vertraͤgen einen gemeinſchaftlichen Urvertrag, und allem Rechte ein allgemeines Menſchenrecht zum Grunde gelegt hatte. Die Hiſtorie ſchien dieſer wackern und ſtrengen An- ſicht der Dinge allenthalben zu widerſprechen; es ſchien, als habe bloße Gewalt die Staaten ge- gruͤndet, und dem wilden, boͤſen Stamme ſey nur bei fortſchreitender Cultur hier und dort ein juriſtiſches Reis eingeimpft worden. Wiewohl wir nun dieſer hiſtoriſchen Anſicht von dem Urſprunge der Staaten keinesweges das Wort reden wollen, ſo geben wir doch gern zu, daß kein Staat in Folge eines wirklich ab- geſchloſſenen contrât social entſtanden ſey. Hoͤchſt charakteriſtiſch fuͤr unſer ganzes Zeitalter war es, daß die philoſophiſche Vorausſetzung eines abſolut rechtlichen Urſprunges mit der groͤßten Hartnaͤckigkeit gerade von eben Denen durchge- fochten wurde, welche die hiſtoriſche Ueberzeu- gung von dem wilden, abſolut unrechtlichen, wirklichen Urſprunge der Staaten am eifrigſten naͤhrten, und daß man demnach der politiſchen Geſchichte ein philoſophiſches Princip aufzwang, in demſelben Augenblicke, da man feſter als je einzuſehen glaubte, daß die Geſellſchaft eine

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/215>, abgerufen am 19.05.2024.