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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

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Staatswissenschaft, welche nur auf die Er-
fahrungen ganzer Jahrhunderte achtet, nichts
gelten.

Das Eigenthum also ist kein todter Begriff,
kein starres, krampfhaftes Festhalten, welches
mit der unaufhörlichen, regsamen Gegenseitigkeit
der persönlichen Verhältnisse im Staat übel har-
moniren würde, sondern es ist eine lebendige
Idee, ein wechselseitiges Besitzen und Beses-
sen-werden zwischen den Menschen und den
Sachen. Das Object des Privat-Eigenthums
ist nicht etwa eine todte, aus dem allgemeinen
Zusammenhange der bürgerlichen Gesellschaft her-
ausgeschnittene, eximirte Sache, sondern der le-
bendige Verkehr mit den nutzbaren Eigenschaf-
ten dieser Sache, oder ihr Gebrauch. -- Jede
Sache, wie jedes Gesetz, wie jede Person im
Staate, hat ihre Eigenheit, ihre Persönlichkeit,
die sie geltend macht und mit der ihr eigenthüm-
lichen Freiheit behauptet; aus dem gemeinschaft-
lichen freien Streben aller dieser Individuen ent-
wickelt sich ein allgemeines gegenseitiges Vertra-
gen und Vergleichen, und in diesem unendlichen
Contrahiren der Personen unter einander, und
der Personen mit Sachen, wächst die Idee des
Rechtes heran.

In den bisherigen Rechtslehren nun hat man

Staatswiſſenſchaft, welche nur auf die Er-
fahrungen ganzer Jahrhunderte achtet, nichts
gelten.

Das Eigenthum alſo iſt kein todter Begriff,
kein ſtarres, krampfhaftes Feſthalten, welches
mit der unaufhoͤrlichen, regſamen Gegenſeitigkeit
der perſoͤnlichen Verhaͤltniſſe im Staat uͤbel har-
moniren wuͤrde, ſondern es iſt eine lebendige
Idee, ein wechſelſeitiges Beſitzen und Beſeſ-
ſen-werden zwiſchen den Menſchen und den
Sachen. Das Object des Privat-Eigenthums
iſt nicht etwa eine todte, aus dem allgemeinen
Zuſammenhange der buͤrgerlichen Geſellſchaft her-
ausgeſchnittene, eximirte Sache, ſondern der le-
bendige Verkehr mit den nutzbaren Eigenſchaf-
ten dieſer Sache, oder ihr Gebrauch. — Jede
Sache, wie jedes Geſetz, wie jede Perſon im
Staate, hat ihre Eigenheit, ihre Perſoͤnlichkeit,
die ſie geltend macht und mit der ihr eigenthuͤm-
lichen Freiheit behauptet; aus dem gemeinſchaft-
lichen freien Streben aller dieſer Individuen ent-
wickelt ſich ein allgemeines gegenſeitiges Vertra-
gen und Vergleichen, und in dieſem unendlichen
Contrahiren der Perſonen unter einander, und
der Perſonen mit Sachen, waͤchſt die Idee des
Rechtes heran.

In den bisherigen Rechtslehren nun hat man

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[230/0264] Staatswiſſenſchaft, welche nur auf die Er- fahrungen ganzer Jahrhunderte achtet, nichts gelten. Das Eigenthum alſo iſt kein todter Begriff, kein ſtarres, krampfhaftes Feſthalten, welches mit der unaufhoͤrlichen, regſamen Gegenſeitigkeit der perſoͤnlichen Verhaͤltniſſe im Staat uͤbel har- moniren wuͤrde, ſondern es iſt eine lebendige Idee, ein wechſelſeitiges Beſitzen und Beſeſ- ſen-werden zwiſchen den Menſchen und den Sachen. Das Object des Privat-Eigenthums iſt nicht etwa eine todte, aus dem allgemeinen Zuſammenhange der buͤrgerlichen Geſellſchaft her- ausgeſchnittene, eximirte Sache, ſondern der le- bendige Verkehr mit den nutzbaren Eigenſchaf- ten dieſer Sache, oder ihr Gebrauch. — Jede Sache, wie jedes Geſetz, wie jede Perſon im Staate, hat ihre Eigenheit, ihre Perſoͤnlichkeit, die ſie geltend macht und mit der ihr eigenthuͤm- lichen Freiheit behauptet; aus dem gemeinſchaft- lichen freien Streben aller dieſer Individuen ent- wickelt ſich ein allgemeines gegenſeitiges Vertra- gen und Vergleichen, und in dieſem unendlichen Contrahiren der Perſonen unter einander, und der Perſonen mit Sachen, waͤchſt die Idee des Rechtes heran. In den bisherigen Rechtslehren nun hat man

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/264>, abgerufen am 22.11.2024.