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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809.

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nach dem Gesetze spräche: so wäre das bürger-
liche Leben zu Ende, alle Kraft todt, d. h.
alle Freiheit, oder alles Gesetz todt. Das leben-
dige Leben kann todten Schranken ewig nicht
unterworfen werden, und in dieser Hinsicht wäre
es völlig gleich, ob die Willkühr eines Tyrannen
oder der starre Buchstabe des weisesten Gesetzes,
Regel für die unterworfenen Naturen wäre; der
Widerspruch würde gleich groß seyn. Daß dem
einen sowohl als dem anderen Bewegung fehlte,
d. h. Streit, oder Freiheit, oder die Liebe, wie
der göttliche Paulus sagt, das wäre ihre Eine
große Gebrechlichkeit. Man berechne die künst-
lichsten Verfassungen, (wie denn in neueren Zei-
ten viele Rechenmeister sich darauf gelegt haben,
um jede Leidenschaft der Regierenden abzuleiten,
um die Gesetzgeber und Richter gänzlich zu neu-
tralisiren und die erhabene Kunst des Herrschens
vollständig zu mechanisiren) --: so hat man nun
erst das Unglück der Welt in ein System ge-
bracht; denn der Tod ist zum Richter über
das Leben gesetzt
.

Ein uraltes Germanisches Gesetz, welches in
die Brittische Verfassung und in viele Ordens-
Statute des Mittelalters übergegangen ist, sagt:
"Der Edelgeborne kann nur von Seinesgleichen,
von seinem Pair, gerichtet werden." Eben so

nach dem Geſetze ſpraͤche: ſo waͤre das buͤrger-
liche Leben zu Ende, alle Kraft todt, d. h.
alle Freiheit, oder alles Geſetz todt. Das leben-
dige Leben kann todten Schranken ewig nicht
unterworfen werden, und in dieſer Hinſicht waͤre
es voͤllig gleich, ob die Willkuͤhr eines Tyrannen
oder der ſtarre Buchſtabe des weiſeſten Geſetzes,
Regel fuͤr die unterworfenen Naturen waͤre; der
Widerſpruch wuͤrde gleich groß ſeyn. Daß dem
einen ſowohl als dem anderen Bewegung fehlte,
d. h. Streit, oder Freiheit, oder die Liebe, wie
der goͤttliche Paulus ſagt, das waͤre ihre Eine
große Gebrechlichkeit. Man berechne die kuͤnſt-
lichſten Verfaſſungen, (wie denn in neueren Zei-
ten viele Rechenmeiſter ſich darauf gelegt haben,
um jede Leidenſchaft der Regierenden abzuleiten,
um die Geſetzgeber und Richter gaͤnzlich zu neu-
traliſiren und die erhabene Kunſt des Herrſchens
vollſtaͤndig zu mechaniſiren) —: ſo hat man nun
erſt das Ungluͤck der Welt in ein Syſtem ge-
bracht; denn der Tod iſt zum Richter uͤber
das Leben geſetzt
.

Ein uraltes Germaniſches Geſetz, welches in
die Brittiſche Verfaſſung und in viele Ordens-
Statute des Mittelalters uͤbergegangen iſt, ſagt:
„Der Edelgeborne kann nur von Seinesgleichen,
von ſeinem Pair, gerichtet werden.” Eben ſo

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[243/0277] nach dem Geſetze ſpraͤche: ſo waͤre das buͤrger- liche Leben zu Ende, alle Kraft todt, d. h. alle Freiheit, oder alles Geſetz todt. Das leben- dige Leben kann todten Schranken ewig nicht unterworfen werden, und in dieſer Hinſicht waͤre es voͤllig gleich, ob die Willkuͤhr eines Tyrannen oder der ſtarre Buchſtabe des weiſeſten Geſetzes, Regel fuͤr die unterworfenen Naturen waͤre; der Widerſpruch wuͤrde gleich groß ſeyn. Daß dem einen ſowohl als dem anderen Bewegung fehlte, d. h. Streit, oder Freiheit, oder die Liebe, wie der goͤttliche Paulus ſagt, das waͤre ihre Eine große Gebrechlichkeit. Man berechne die kuͤnſt- lichſten Verfaſſungen, (wie denn in neueren Zei- ten viele Rechenmeiſter ſich darauf gelegt haben, um jede Leidenſchaft der Regierenden abzuleiten, um die Geſetzgeber und Richter gaͤnzlich zu neu- traliſiren und die erhabene Kunſt des Herrſchens vollſtaͤndig zu mechaniſiren) —: ſo hat man nun erſt das Ungluͤck der Welt in ein Syſtem ge- bracht; denn der Tod iſt zum Richter uͤber das Leben geſetzt. Ein uraltes Germaniſches Geſetz, welches in die Brittiſche Verfaſſung und in viele Ordens- Statute des Mittelalters uͤbergegangen iſt, ſagt: „Der Edelgeborne kann nur von Seinesgleichen, von ſeinem Pair, gerichtet werden.” Eben ſo

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/277>, abgerufen am 22.11.2024.