Kriegeszustand nicht außerhalb seiner Staats- lehre, als etwas damit Unverträgliches und Un- natürliches, stehen lassen, sondern er soll machen, daß die ganze Lehre gänzlich von dem Ge- danken des Krieges allgegenwärtig durchdrungen und beseelt werde. Nie soll er den Frieden ohne den Krieg, nie die Ruhe ohne die Bewegung darstellen. Diese Ergänzung der Wissenschaft ist ihr Hauptgewinn bei allen traurigen, nur aus unrichtiger Ansicht des Krieges und der Staats- bewegung hergeflossenen, Erfahrungen der Zeit.
Eben so soll die Staatskunst, die ich meine, den Staat im Fluge, im Leben, in der Bewe- gung behandeln, nicht bloß Gesetze hinein wer- fen und hinein würfeln, und dann müßig zuse- hen, wie es gehen wird. Der Staatsmann soll die allgegenwärtige Seele der bürgerlichen Ge- sellschaft seyn, und kriegerisch und friedlich zu- gleich handeln. Je größer die Bewegung des Mee- res ist, um so mehr wird die Ruhe des Steuer- mannes gerühmt. Kraft und Ruhe müssen zu- sammentreten, wenn ein Künstler werden soll. Vornehmlich bedarf der Staatskünstler beider; sein Stoff, das Volk, fordert beides, hat eine Art von Sehnsucht so gut nach Frieden, wie nach Krieg. Es ist nur Täuschung, wenn man glaubt, daß die Völker mehr den Frieden begehr-
Kriegeszuſtand nicht außerhalb ſeiner Staats- lehre, als etwas damit Unvertraͤgliches und Un- natuͤrliches, ſtehen laſſen, ſondern er ſoll machen, daß die ganze Lehre gaͤnzlich von dem Ge- danken des Krieges allgegenwaͤrtig durchdrungen und beſeelt werde. Nie ſoll er den Frieden ohne den Krieg, nie die Ruhe ohne die Bewegung darſtellen. Dieſe Ergaͤnzung der Wiſſenſchaft iſt ihr Hauptgewinn bei allen traurigen, nur aus unrichtiger Anſicht des Krieges und der Staats- bewegung hergefloſſenen, Erfahrungen der Zeit.
Eben ſo ſoll die Staatskunſt, die ich meine, den Staat im Fluge, im Leben, in der Bewe- gung behandeln, nicht bloß Geſetze hinein wer- fen und hinein wuͤrfeln, und dann muͤßig zuſe- hen, wie es gehen wird. Der Staatsmann ſoll die allgegenwaͤrtige Seele der buͤrgerlichen Ge- ſellſchaft ſeyn, und kriegeriſch und friedlich zu- gleich handeln. Je groͤßer die Bewegung des Mee- res iſt, um ſo mehr wird die Ruhe des Steuer- mannes geruͤhmt. Kraft und Ruhe muͤſſen zu- ſammentreten, wenn ein Kuͤnſtler werden ſoll. Vornehmlich bedarf der Staatskuͤnſtler beider; ſein Stoff, das Volk, fordert beides, hat eine Art von Sehnſucht ſo gut nach Frieden, wie nach Krieg. Es iſt nur Taͤuſchung, wenn man glaubt, daß die Voͤlker mehr den Frieden begehr-
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Kriegeszuſtand nicht außerhalb ſeiner Staats-
lehre, als etwas damit Unvertraͤgliches und Un-
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daß die ganze Lehre gaͤnzlich von dem Ge-
danken des Krieges allgegenwaͤrtig durchdrungen
und beſeelt werde. Nie ſoll er den Frieden ohne
den Krieg, nie die Ruhe ohne die Bewegung
darſtellen. Dieſe Ergaͤnzung der Wiſſenſchaft iſt
ihr Hauptgewinn bei allen traurigen, nur aus
unrichtiger Anſicht des Krieges und der Staats-
bewegung hergefloſſenen, Erfahrungen der Zeit.
Eben ſo ſoll die Staatskunſt, die ich meine,
den Staat im Fluge, im Leben, in der Bewe-
gung behandeln, nicht bloß Geſetze hinein wer-
fen und hinein wuͤrfeln, und dann muͤßig zuſe-
hen, wie es gehen wird. Der Staatsmann ſoll
die allgegenwaͤrtige Seele der buͤrgerlichen Ge-
ſellſchaft ſeyn, und kriegeriſch und friedlich zu-
gleich handeln. Je groͤßer die Bewegung des Mee-
res iſt, um ſo mehr wird die Ruhe des Steuer-
mannes geruͤhmt. Kraft und Ruhe muͤſſen zu-
ſammentreten, wenn ein Kuͤnſtler werden ſoll.
Vornehmlich bedarf der Staatskuͤnſtler beider;
ſein Stoff, das Volk, fordert beides, hat eine
Art von Sehnſucht ſo gut nach Frieden, wie
nach Krieg. Es iſt nur Taͤuſchung, wenn man
glaubt, daß die Voͤlker mehr den Frieden begehr-
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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 1. Berlin, 1809, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst01_1809/49>, abgerufen am 21.11.2024.
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