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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809.

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Reitzungen des Irdischen zu blenden, keine welt-
liche Politik, die unser auf den Dienst gemeiner
Zwecke gerichtetes und angewiesenes Zeitalter
großarti[g]en Handlungsweisen unterzulegen pflegt,
lag bei diesem Betragen zum Grunde; in diesem
Falle spricht die Geschichte zu laut, und sind
die Lebenszwecke des Cardinals zu unverkenn-
bar. --

Ungeheure Mißbräuche hatten sich in dem
Dienst der Kirche eingeschlichen; dies darf man
wohl, ohne ihrer Hoheit etwas zu vergeben, ein-
gestehen, da das Tridentinische Concilium selbst
sie eingestanden hat. Zwischen dem weltlichen
Betragen der Geistlichkeit, und ihrer geistigen
Bestimmung war ein schreiendes Mißverhältniß.
Der katholische Glaube stand unangefochten, wie
er noch jetzt steht; aber die Idee von der Herr-
schaft, welche die Stellvertreter dieses Glaubens
hatten, und von ihrem geistigen Einflusse auf
das bürgerliche Leben, war allmählich zum Be-
griff herab gesunken; das Regiment der Kirche
war verderbt.

Gegen das Ende solcher großen Institute hin
pflegt die alte Idee derselben vor dem Verlöschen
noch einmal in einzelnen Charakteren wieder aufzu-
flammen: so der Geist der Römischen Freiheit
in Tacitus, so der Geist des kirchlichen Regi-

Reitzungen des Irdiſchen zu blenden, keine welt-
liche Politik, die unſer auf den Dienſt gemeiner
Zwecke gerichtetes und angewieſenes Zeitalter
großarti[g]en Handlungsweiſen unterzulegen pflegt,
lag bei dieſem Betragen zum Grunde; in dieſem
Falle ſpricht die Geſchichte zu laut, und ſind
die Lebenszwecke des Cardinals zu unverkenn-
bar. —

Ungeheure Mißbraͤuche hatten ſich in dem
Dienſt der Kirche eingeſchlichen; dies darf man
wohl, ohne ihrer Hoheit etwas zu vergeben, ein-
geſtehen, da das Tridentiniſche Concilium ſelbſt
ſie eingeſtanden hat. Zwiſchen dem weltlichen
Betragen der Geiſtlichkeit, und ihrer geiſtigen
Beſtimmung war ein ſchreiendes Mißverhaͤltniß.
Der katholiſche Glaube ſtand unangefochten, wie
er noch jetzt ſteht; aber die Idee von der Herr-
ſchaft, welche die Stellvertreter dieſes Glaubens
hatten, und von ihrem geiſtigen Einfluſſe auf
das buͤrgerliche Leben, war allmaͤhlich zum Be-
griff herab geſunken; das Regiment der Kirche
war verderbt.

Gegen das Ende ſolcher großen Inſtitute hin
pflegt die alte Idee derſelben vor dem Verloͤſchen
noch einmal in einzelnen Charakteren wieder aufzu-
flammen: ſo der Geiſt der Roͤmiſchen Freiheit
in Tacitus, ſo der Geiſt des kirchlichen Regi-

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[101/0109] Reitzungen des Irdiſchen zu blenden, keine welt- liche Politik, die unſer auf den Dienſt gemeiner Zwecke gerichtetes und angewieſenes Zeitalter großartigen Handlungsweiſen unterzulegen pflegt, lag bei dieſem Betragen zum Grunde; in dieſem Falle ſpricht die Geſchichte zu laut, und ſind die Lebenszwecke des Cardinals zu unverkenn- bar. — Ungeheure Mißbraͤuche hatten ſich in dem Dienſt der Kirche eingeſchlichen; dies darf man wohl, ohne ihrer Hoheit etwas zu vergeben, ein- geſtehen, da das Tridentiniſche Concilium ſelbſt ſie eingeſtanden hat. Zwiſchen dem weltlichen Betragen der Geiſtlichkeit, und ihrer geiſtigen Beſtimmung war ein ſchreiendes Mißverhaͤltniß. Der katholiſche Glaube ſtand unangefochten, wie er noch jetzt ſteht; aber die Idee von der Herr- ſchaft, welche die Stellvertreter dieſes Glaubens hatten, und von ihrem geiſtigen Einfluſſe auf das buͤrgerliche Leben, war allmaͤhlich zum Be- griff herab geſunken; das Regiment der Kirche war verderbt. Gegen das Ende ſolcher großen Inſtitute hin pflegt die alte Idee derſelben vor dem Verloͤſchen noch einmal in einzelnen Charakteren wieder aufzu- flammen: ſo der Geiſt der Roͤmiſchen Freiheit in Tacitus, ſo der Geiſt des kirchlichen Regi-

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/109>, abgerufen am 21.11.2024.