schmähen. Wir geben Gesetze, ohne Rücksicht auf ein großes, allen Naturen gemeinschaftliches Gesetz des Anziehens und Abstoßens, welches am zweckmäßigsten Liebe genannt wird, und wel- ches das Wesen der Religion ausmacht. --
Die Mehrheit unsrer Regierungen verschmä- het nicht gerade die Religion an sich, sie läßt sie vielleicht gar für eine nicht zu verachtende Ge- hülfin bei der Regierung gelten; aber immer -- wie von den Frauen und Königinnen, auch wohl von den Schriftstellern gesagt wird -- unter der Bedingung, daß sie sich in die eigentliche Politik nie mische. Solche, neben dem Staate her laufende, Religion mag dazu dienen, hier und dort ein Capital-Verbrechen zu verhüten, sie mag polizeilich mitwirken, daß manches böse Gelüst der Bürger im Zaum gehalten wird: in- deß hat sie nichts gemein mit der Religion, in deren Nahmen echte Gesetzgeber ihr ganzes Werk verrichteten. Es ist völlig in der Ordnung, daß ein überkluges Geschlecht, welches nichts Klare- res kennt, als seine Aufklärung, nichts Witzige- res als seinen eigenen Witz, nichts Erhabneres als die marktschreierische Größe seiner Helden -- nun auch alle Erleuchtung, alle Größe, allen Witz der Vorzeit nach dem eigenen Maßstabe beurtheilt. "Moses," heißt es da, "giebt vor,
ſchmaͤhen. Wir geben Geſetze, ohne Ruͤckſicht auf ein großes, allen Naturen gemeinſchaftliches Geſetz des Anziehens und Abſtoßens, welches am zweckmaͤßigſten Liebe genannt wird, und wel- ches das Weſen der Religion ausmacht. —
Die Mehrheit unſrer Regierungen verſchmaͤ- het nicht gerade die Religion an ſich, ſie laͤßt ſie vielleicht gar fuͤr eine nicht zu verachtende Ge- huͤlfin bei der Regierung gelten; aber immer — wie von den Frauen und Koͤniginnen, auch wohl von den Schriftſtellern geſagt wird — unter der Bedingung, daß ſie ſich in die eigentliche Politik nie miſche. Solche, neben dem Staate her laufende, Religion mag dazu dienen, hier und dort ein Capital-Verbrechen zu verhuͤten, ſie mag polizeilich mitwirken, daß manches boͤſe Geluͤſt der Buͤrger im Zaum gehalten wird: in- deß hat ſie nichts gemein mit der Religion, in deren Nahmen echte Geſetzgeber ihr ganzes Werk verrichteten. Es iſt voͤllig in der Ordnung, daß ein uͤberkluges Geſchlecht, welches nichts Klare- res kennt, als ſeine Aufklaͤrung, nichts Witzige- res als ſeinen eigenen Witz, nichts Erhabneres als die marktſchreieriſche Groͤße ſeiner Helden — nun auch alle Erleuchtung, alle Groͤße, allen Witz der Vorzeit nach dem eigenen Maßſtabe beurtheilt. „Moſes,” heißt es da, „giebt vor,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0036"n="28"/>ſchmaͤhen. Wir geben Geſetze, ohne Ruͤckſicht<lb/>
auf ein großes, allen Naturen gemeinſchaftliches<lb/>
Geſetz des Anziehens und Abſtoßens, welches<lb/>
am zweckmaͤßigſten <hirendition="#g">Liebe</hi> genannt wird, und wel-<lb/>
ches das Weſen der Religion ausmacht. —</p><lb/><p>Die Mehrheit unſrer Regierungen verſchmaͤ-<lb/>
het nicht gerade die Religion an ſich, ſie laͤßt ſie<lb/>
vielleicht gar fuͤr eine nicht zu verachtende Ge-<lb/>
huͤlfin bei der Regierung gelten; aber immer —<lb/>
wie von den Frauen und Koͤniginnen, auch wohl<lb/>
von den Schriftſtellern geſagt wird — unter<lb/>
der Bedingung, daß ſie ſich in die eigentliche<lb/>
Politik nie miſche. Solche, neben dem Staate<lb/>
her laufende, Religion mag dazu dienen, hier und<lb/>
dort ein Capital-Verbrechen zu verhuͤten, ſie<lb/>
mag polizeilich mitwirken, daß manches boͤſe<lb/>
Geluͤſt der Buͤrger im Zaum gehalten wird: in-<lb/>
deß hat ſie nichts gemein mit der Religion, in<lb/>
deren Nahmen echte Geſetzgeber ihr ganzes Werk<lb/>
verrichteten. Es iſt voͤllig in der Ordnung, daß<lb/>
ein uͤberkluges Geſchlecht, welches nichts Klare-<lb/>
res kennt, als ſeine Aufklaͤrung, nichts Witzige-<lb/>
res als ſeinen eigenen Witz, nichts Erhabneres<lb/>
als die marktſchreieriſche Groͤße ſeiner Helden —<lb/>
nun auch alle Erleuchtung, alle Groͤße, allen<lb/>
Witz der Vorzeit nach dem eigenen Maßſtabe<lb/>
beurtheilt. „Moſes,” heißt es da, „giebt vor,<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[28/0036]
ſchmaͤhen. Wir geben Geſetze, ohne Ruͤckſicht
auf ein großes, allen Naturen gemeinſchaftliches
Geſetz des Anziehens und Abſtoßens, welches
am zweckmaͤßigſten Liebe genannt wird, und wel-
ches das Weſen der Religion ausmacht. —
Die Mehrheit unſrer Regierungen verſchmaͤ-
het nicht gerade die Religion an ſich, ſie laͤßt ſie
vielleicht gar fuͤr eine nicht zu verachtende Ge-
huͤlfin bei der Regierung gelten; aber immer —
wie von den Frauen und Koͤniginnen, auch wohl
von den Schriftſtellern geſagt wird — unter
der Bedingung, daß ſie ſich in die eigentliche
Politik nie miſche. Solche, neben dem Staate
her laufende, Religion mag dazu dienen, hier und
dort ein Capital-Verbrechen zu verhuͤten, ſie
mag polizeilich mitwirken, daß manches boͤſe
Geluͤſt der Buͤrger im Zaum gehalten wird: in-
deß hat ſie nichts gemein mit der Religion, in
deren Nahmen echte Geſetzgeber ihr ganzes Werk
verrichteten. Es iſt voͤllig in der Ordnung, daß
ein uͤberkluges Geſchlecht, welches nichts Klare-
res kennt, als ſeine Aufklaͤrung, nichts Witzige-
res als ſeinen eigenen Witz, nichts Erhabneres
als die marktſchreieriſche Groͤße ſeiner Helden —
nun auch alle Erleuchtung, alle Groͤße, allen
Witz der Vorzeit nach dem eigenen Maßſtabe
beurtheilt. „Moſes,” heißt es da, „giebt vor,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/36>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.