Bekehrung gewesen ist. Er erinnerte sich hier mit Dank- barkeit an die mächtigen Eindrücke, die viele Stellen in den gelesenen Büchern, zumahl in der Lebensgeschichte Jesu, auf sein Herz gemacht hätten, und gestand, daß dadurch seine Neigung die Wahrheit zu suchen und anzu- nehmen von Zeit zu Zeit wäre gestärkt worden. --
Jch bin nun mit mir selbst darüber einig worden, sagte der Graf noch kurz vorher, ehe ich ihn verließ, wie ich mich in Ansehung meiner Defension verhalten will. Mein Leben kann nicht erhalten werden, und rechtfertigen kann ich meine Handlungen auch nicht. Doch glaube ich zeigen zu können, daß einige derselben nicht so sehr böse sind, als sie zu seyn scheinen. Denn Sie wissen, es ist zweyerley, sein Verhalten moralisch und politisch, vor Gott und vor der Welt beurtheilen. Jch weiß, wie schlecht alle die meinigen in jener Absicht gewesen sind, aber es folgt nicht, daß eine Sache, die moralisch sehr böse ist, es von der politischen Seite betrachtet in eben dem Grade auch seyn müsse. Jch will zufrieden seyn zu zeigen, und mehr kann ich auch nicht, daß meine politi- schen Fehler Früchte des Jrrthums, der Uebereilung und der Begierden, aber keine Folgen eines Vorsatzes Unglück zu stiften gewesen sind. Jch glaube dieses mir, der Wahr- heit und selbst der Religion schuldig zu seyn, in so fern ihr durch meine Bekehrung Vortheil oder Schaden zu- wachsen kann. Gebe ich es gleichsam stillschweigend zu, daß ich böse Absichten gehabt habe, da ich mich ihrer doch nicht bewußt bin, so kann man leicht meine Bekeh- rung für Schwachheit oder Gemühtsverwirrung halten, da sie doch das Resultat einer ernstlichen vernunftmäßigen Untersuchung ist. Man kann sagen, derjenige, dem es gleichgültig ist, ob man ihn für einen durch Jrrthum und Begierden verführten Menschen, oder für einen er- klärten Bösewicht hält, kann auch wohl seine Religions-
meynungen
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Bekehrung geweſen iſt. Er erinnerte ſich hier mit Dank- barkeit an die maͤchtigen Eindruͤcke, die viele Stellen in den geleſenen Buͤchern, zumahl in der Lebensgeſchichte Jesu, auf ſein Herz gemacht haͤtten, und geſtand, daß dadurch ſeine Neigung die Wahrheit zu ſuchen und anzu- nehmen von Zeit zu Zeit waͤre geſtaͤrkt worden. —
Jch bin nun mit mir ſelbſt daruͤber einig worden, ſagte der Graf noch kurz vorher, ehe ich ihn verließ, wie ich mich in Anſehung meiner Defenſion verhalten will. Mein Leben kann nicht erhalten werden, und rechtfertigen kann ich meine Handlungen auch nicht. Doch glaube ich zeigen zu koͤnnen, daß einige derſelben nicht ſo ſehr boͤſe ſind, als ſie zu ſeyn ſcheinen. Denn Sie wiſſen, es iſt zweyerley, ſein Verhalten moraliſch und politiſch, vor Gott und vor der Welt beurtheilen. Jch weiß, wie ſchlecht alle die meinigen in jener Abſicht geweſen ſind, aber es folgt nicht, daß eine Sache, die moraliſch ſehr boͤſe iſt, es von der politiſchen Seite betrachtet in eben dem Grade auch ſeyn muͤſſe. Jch will zufrieden ſeyn zu zeigen, und mehr kann ich auch nicht, daß meine politi- ſchen Fehler Fruͤchte des Jrrthums, der Uebereilung und der Begierden, aber keine Folgen eines Vorſatzes Ungluͤck zu ſtiften geweſen ſind. Jch glaube dieſes mir, der Wahr- heit und ſelbſt der Religion ſchuldig zu ſeyn, in ſo fern ihr durch meine Bekehrung Vortheil oder Schaden zu- wachſen kann. Gebe ich es gleichſam ſtillſchweigend zu, daß ich boͤſe Abſichten gehabt habe, da ich mich ihrer doch nicht bewußt bin, ſo kann man leicht meine Bekeh- rung fuͤr Schwachheit oder Gemuͤhtsverwirrung halten, da ſie doch das Reſultat einer ernſtlichen vernunftmaͤßigen Unterſuchung iſt. Man kann ſagen, derjenige, dem es gleichguͤltig iſt, ob man ihn fuͤr einen durch Jrrthum und Begierden verfuͤhrten Menſchen, oder fuͤr einen er- klaͤrten Boͤſewicht haͤlt, kann auch wohl ſeine Religions-
meynungen
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Bekehrung geweſen iſt. Er erinnerte ſich hier mit Dank-
barkeit an die maͤchtigen Eindruͤcke, die viele Stellen in
den geleſenen Buͤchern, zumahl in der Lebensgeſchichte
Jesu, auf ſein Herz gemacht haͤtten, und geſtand, daß
dadurch ſeine Neigung die Wahrheit zu ſuchen und anzu-
nehmen von Zeit zu Zeit waͤre geſtaͤrkt worden. —
Jch bin nun mit mir ſelbſt daruͤber einig worden,
ſagte der Graf noch kurz vorher, ehe ich ihn verließ, wie
ich mich in Anſehung meiner Defenſion verhalten will.
Mein Leben kann nicht erhalten werden, und rechtfertigen
kann ich meine Handlungen auch nicht. Doch glaube ich
zeigen zu koͤnnen, daß einige derſelben nicht ſo ſehr boͤſe
ſind, als ſie zu ſeyn ſcheinen. Denn Sie wiſſen, es iſt
zweyerley, ſein Verhalten moraliſch und politiſch, vor
Gott und vor der Welt beurtheilen. Jch weiß, wie
ſchlecht alle die meinigen in jener Abſicht geweſen ſind,
aber es folgt nicht, daß eine Sache, die moraliſch ſehr
boͤſe iſt, es von der politiſchen Seite betrachtet in eben
dem Grade auch ſeyn muͤſſe. Jch will zufrieden ſeyn zu
zeigen, und mehr kann ich auch nicht, daß meine politi-
ſchen Fehler Fruͤchte des Jrrthums, der Uebereilung und
der Begierden, aber keine Folgen eines Vorſatzes Ungluͤck
zu ſtiften geweſen ſind. Jch glaube dieſes mir, der Wahr-
heit und ſelbſt der Religion ſchuldig zu ſeyn, in ſo fern
ihr durch meine Bekehrung Vortheil oder Schaden zu-
wachſen kann. Gebe ich es gleichſam ſtillſchweigend zu,
daß ich boͤſe Abſichten gehabt habe, da ich mich ihrer
doch nicht bewußt bin, ſo kann man leicht meine Bekeh-
rung fuͤr Schwachheit oder Gemuͤhtsverwirrung halten,
da ſie doch das Reſultat einer ernſtlichen vernunftmaͤßigen
Unterſuchung iſt. Man kann ſagen, derjenige, dem es
gleichguͤltig iſt, ob man ihn fuͤr einen durch Jrrthum
und Begierden verfuͤhrten Menſchen, oder fuͤr einen er-
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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/211>, abgerufen am 16.02.2025.
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