Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite



Gegenwärtige nicht durch die Betrachtung des Zukünfti-
gen verbittern. Selbst in Lebensgefahren habe ich mich
immer vor der Aussicht in die Zukunft gehütet. Jch bin
einigemahl tödtlich krank gewesen, ich bin mit großer Ver-
wegenheit geritten, ich habe in dem letzten Sommer bey
einem Sturz mit dem Pferde den Arm zerbrochen, aber
nie ist es mir eingefallen nur einen Schritt über das Leben
hinauszudenken.

Jch bat ihn nun sorgfältig nachzudenken, ob noch
in seinen Gesinnungen etwas vorhanden sey, das Gott mis-
fällig seyn und noch gebessert werden könne. Jch sey zwar
über seine Zukunft gar nicht unruhig, aber ich wünschte daß
er so rein vom moralischen Uebel und so Gott gefällig, als
es unter seinen Umständen möglich wäre, in die Ewigkeit
eintreten möchte. Um desto besser würde auch dort sogleich
sein Zustand werden. Jch versichere Sie, antwortete er
mir, daß es mein einziges und liebstes Geschäfft ist, dieß
zu untersuchen. Jch beurtheile mich mit der größesten Ge-
nauigkeit. Unter andern habe ich mir einen Vorwurf darü-
ber gemacht, daß meine auf die Ewigkeit gerichteten Gesin-
nungen keinen größern Grad der Lebhaftigkeit haben. Aber
ich habe gefunden, daß ich nicht nöthig habe darüber unru-
hig und mistrauisch gegen mich zu seyn, da ichs mir bewußt
bin, daß ich nichts in der Welt so lebhaft oder lebhafter em-
pfinde. Ueber meine Staatsverwaltung gestehe ich gern ein,
daß sie vor Gott und meinem Gewissen, auch vor den
Menschen, wegen der schlechten Bewegungsgründe, des
Leichtsinns, der Eilfertigkeit, des Stolzes und Eigen-
nutzens, die mich dabey geleitet haben, sehr verwerflich
ist. Jn wie weit sie im Ganzen und stückweise betrachtet po-
litisch schlecht gewesen ist, das unterstehe ich mich nicht zu
beurtheilen, weil ich den Erfolg nicht erlebe, doch muß ich
vermuhten, daß ich in meinen politischen Grundsätzen, wie
in meinen Religionsmeynungen, werde geirret haben. Jch
überlasse willig die Entscheidung dieser Frage den Nachle-

benden,



Gegenwaͤrtige nicht durch die Betrachtung des Zukuͤnfti-
gen verbittern. Selbſt in Lebensgefahren habe ich mich
immer vor der Auſſicht in die Zukunft gehuͤtet. Jch bin
einigemahl toͤdtlich krank geweſen, ich bin mit großer Ver-
wegenheit geritten, ich habe in dem letzten Sommer bey
einem Sturz mit dem Pferde den Arm zerbrochen, aber
nie iſt es mir eingefallen nur einen Schritt uͤber das Leben
hinauszudenken.

Jch bat ihn nun ſorgfaͤltig nachzudenken, ob noch
in ſeinen Geſinnungen etwas vorhanden ſey, das Gott mis-
faͤllig ſeyn und noch gebeſſert werden koͤnne. Jch ſey zwar
uͤber ſeine Zukunft gar nicht unruhig, aber ich wuͤnſchte daß
er ſo rein vom moraliſchen Uebel und ſo Gott gefaͤllig, als
es unter ſeinen Umſtaͤnden moͤglich waͤre, in die Ewigkeit
eintreten moͤchte. Um deſto beſſer wuͤrde auch dort ſogleich
ſein Zuſtand werden. Jch verſichere Sie, antwortete er
mir, daß es mein einziges und liebſtes Geſchaͤfft iſt, dieß
zu unterſuchen. Jch beurtheile mich mit der groͤßeſten Ge-
nauigkeit. Unter andern habe ich mir einen Vorwurf daruͤ-
ber gemacht, daß meine auf die Ewigkeit gerichteten Geſin-
nungen keinen groͤßern Grad der Lebhaftigkeit haben. Aber
ich habe gefunden, daß ich nicht noͤthig habe daruͤber unru-
hig und mistrauiſch gegen mich zu ſeyn, da ichs mir bewußt
bin, daß ich nichts in der Welt ſo lebhaft oder lebhafter em-
pfinde. Ueber meine Staatsverwaltung geſtehe ich gern ein,
daß ſie vor Gott und meinem Gewiſſen, auch vor den
Menſchen, wegen der ſchlechten Bewegungsgruͤnde, des
Leichtſinns, der Eilfertigkeit, des Stolzes und Eigen-
nutzens, die mich dabey geleitet haben, ſehr verwerflich
iſt. Jn wie weit ſie im Ganzen und ſtuͤckweiſe betrachtet po-
litiſch ſchlecht geweſen iſt, das unterſtehe ich mich nicht zu
beurtheilen, weil ich den Erfolg nicht erlebe, doch muß ich
vermuhten, daß ich in meinen politiſchen Grundſaͤtzen, wie
in meinen Religionsmeynungen, werde geirret haben. Jch
uͤberlaſſe willig die Entſcheidung dieſer Frage den Nachle-

benden,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0270" n="258"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Gegenwa&#x0364;rtige nicht durch die Betrachtung des Zuku&#x0364;nfti-<lb/>
gen verbittern. Selb&#x017F;t in Lebensgefahren habe ich mich<lb/>
immer vor der Au&#x017F;&#x017F;icht in die Zukunft gehu&#x0364;tet. Jch bin<lb/>
einigemahl to&#x0364;dtlich krank gewe&#x017F;en, ich bin mit großer Ver-<lb/>
wegenheit geritten, ich habe in dem letzten Sommer bey<lb/>
einem Sturz mit dem Pferde den Arm zerbrochen, aber<lb/>
nie i&#x017F;t es mir eingefallen nur einen Schritt u&#x0364;ber das Leben<lb/>
hinauszudenken.</p><lb/>
        <p>Jch bat ihn nun &#x017F;orgfa&#x0364;ltig nachzudenken, ob noch<lb/>
in &#x017F;einen Ge&#x017F;innungen etwas vorhanden &#x017F;ey, das Gott mis-<lb/>
fa&#x0364;llig &#x017F;eyn und noch gebe&#x017F;&#x017F;ert werden ko&#x0364;nne. Jch &#x017F;ey zwar<lb/>
u&#x0364;ber &#x017F;eine Zukunft gar nicht unruhig, aber ich wu&#x0364;n&#x017F;chte daß<lb/>
er &#x017F;o rein vom morali&#x017F;chen Uebel und &#x017F;o Gott gefa&#x0364;llig, als<lb/>
es unter &#x017F;einen Um&#x017F;ta&#x0364;nden mo&#x0364;glich wa&#x0364;re, in die Ewigkeit<lb/>
eintreten mo&#x0364;chte. Um de&#x017F;to be&#x017F;&#x017F;er wu&#x0364;rde auch dort &#x017F;ogleich<lb/>
&#x017F;ein Zu&#x017F;tand werden. Jch ver&#x017F;ichere Sie, antwortete er<lb/>
mir, daß es mein einziges und lieb&#x017F;tes Ge&#x017F;cha&#x0364;fft i&#x017F;t, dieß<lb/>
zu unter&#x017F;uchen. Jch beurtheile mich mit der gro&#x0364;ße&#x017F;ten Ge-<lb/>
nauigkeit. Unter andern habe ich mir einen Vorwurf daru&#x0364;-<lb/>
ber gemacht, daß meine auf die Ewigkeit gerichteten Ge&#x017F;in-<lb/>
nungen keinen gro&#x0364;ßern Grad der Lebhaftigkeit haben. Aber<lb/>
ich habe gefunden, daß ich nicht no&#x0364;thig habe daru&#x0364;ber unru-<lb/>
hig und mistraui&#x017F;ch gegen mich zu &#x017F;eyn, da ichs mir bewußt<lb/>
bin, daß ich nichts in der Welt &#x017F;o lebhaft oder lebhafter em-<lb/>
pfinde. Ueber meine Staatsverwaltung ge&#x017F;tehe ich gern ein,<lb/>
daß &#x017F;ie vor Gott und meinem Gewi&#x017F;&#x017F;en, auch vor den<lb/>
Men&#x017F;chen, wegen der &#x017F;chlechten Bewegungsgru&#x0364;nde, des<lb/>
Leicht&#x017F;inns, der Eilfertigkeit, des Stolzes und Eigen-<lb/>
nutzens, die mich dabey geleitet haben, &#x017F;ehr verwerflich<lb/>
i&#x017F;t. Jn wie weit &#x017F;ie im Ganzen und &#x017F;tu&#x0364;ckwei&#x017F;e betrachtet po-<lb/>
liti&#x017F;ch &#x017F;chlecht gewe&#x017F;en i&#x017F;t, das unter&#x017F;tehe ich mich nicht zu<lb/>
beurtheilen, weil ich den Erfolg nicht erlebe, doch muß ich<lb/>
vermuhten, daß ich in meinen politi&#x017F;chen Grund&#x017F;a&#x0364;tzen, wie<lb/>
in meinen Religionsmeynungen, werde geirret haben. Jch<lb/>
u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;e willig die Ent&#x017F;cheidung die&#x017F;er Frage den Nachle-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">benden,</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[258/0270] Gegenwaͤrtige nicht durch die Betrachtung des Zukuͤnfti- gen verbittern. Selbſt in Lebensgefahren habe ich mich immer vor der Auſſicht in die Zukunft gehuͤtet. Jch bin einigemahl toͤdtlich krank geweſen, ich bin mit großer Ver- wegenheit geritten, ich habe in dem letzten Sommer bey einem Sturz mit dem Pferde den Arm zerbrochen, aber nie iſt es mir eingefallen nur einen Schritt uͤber das Leben hinauszudenken. Jch bat ihn nun ſorgfaͤltig nachzudenken, ob noch in ſeinen Geſinnungen etwas vorhanden ſey, das Gott mis- faͤllig ſeyn und noch gebeſſert werden koͤnne. Jch ſey zwar uͤber ſeine Zukunft gar nicht unruhig, aber ich wuͤnſchte daß er ſo rein vom moraliſchen Uebel und ſo Gott gefaͤllig, als es unter ſeinen Umſtaͤnden moͤglich waͤre, in die Ewigkeit eintreten moͤchte. Um deſto beſſer wuͤrde auch dort ſogleich ſein Zuſtand werden. Jch verſichere Sie, antwortete er mir, daß es mein einziges und liebſtes Geſchaͤfft iſt, dieß zu unterſuchen. Jch beurtheile mich mit der groͤßeſten Ge- nauigkeit. Unter andern habe ich mir einen Vorwurf daruͤ- ber gemacht, daß meine auf die Ewigkeit gerichteten Geſin- nungen keinen groͤßern Grad der Lebhaftigkeit haben. Aber ich habe gefunden, daß ich nicht noͤthig habe daruͤber unru- hig und mistrauiſch gegen mich zu ſeyn, da ichs mir bewußt bin, daß ich nichts in der Welt ſo lebhaft oder lebhafter em- pfinde. Ueber meine Staatsverwaltung geſtehe ich gern ein, daß ſie vor Gott und meinem Gewiſſen, auch vor den Menſchen, wegen der ſchlechten Bewegungsgruͤnde, des Leichtſinns, der Eilfertigkeit, des Stolzes und Eigen- nutzens, die mich dabey geleitet haben, ſehr verwerflich iſt. Jn wie weit ſie im Ganzen und ſtuͤckweiſe betrachtet po- litiſch ſchlecht geweſen iſt, das unterſtehe ich mich nicht zu beurtheilen, weil ich den Erfolg nicht erlebe, doch muß ich vermuhten, daß ich in meinen politiſchen Grundſaͤtzen, wie in meinen Religionsmeynungen, werde geirret haben. Jch uͤberlaſſe willig die Entſcheidung dieſer Frage den Nachle- benden,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/270
Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/270>, abgerufen am 22.11.2024.