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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

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vorigen Abend frühzeitig zu Bette gelegt und eine ziemliche
Zeit gelesen. Fünf bis sechs Stunden hatte er ruhig geschla-
fen. Als er den Morgen erwacht war hatte er eine lange
Weile im tiefem Nachdenken zugebracht, war darauf auf-
gestanden, hatte sich angekleidet, und mit dem Officier eine
ruhige Unterredung gehalten.

Jch traf ihn völlig so angekleidet, wie er nach dem
Richtplatz gehen wollte, auf seinem Kanapee liegend an.
Er las in Schlegels Passionspredigten, und empfieng
mich mit seiner gewöhnlichen ruhigen und freundlichen
Miene. Jch dachte gestern Abends, sagte er, daß es mir
vielleicht meinen Hingang zum Tode erleichtern könnte,
wenn ich nun meine Jmagination mit angenehmen Bildern
von der Ewigkeit und ihren Freuden erfüllte. Jch hätte
dazu Lavaters Aussichten gut gebrauchen können. Aber ich
habe es doch nicht wagen mögen. Jch halte es für besser,
daß ich meinen großen Schritt mit stiller Ueberlegung thue.
Die Einbildungskraft, wenn sie einmahl in Bewegung ge-
setzt ist, kann leicht eine falsche Wendung machen. Sie
könnte jene angenehme Bilder fahren lassen, und auf die
schrecklichen Umstände meines Todes fallen, und mich da-
durch um meine Fassung bringen. Jch will mich selbst unter-
weges ihr nicht überlassen, sondern meine Vernunft mit dem
Andenken an den Hingang Jesu zu seinem Tode und mit
Anwendungen daraus auf mich beschäfftigen.

Er bat mich hierauf in seinem Nahmen, wenn ich
es für nöthig hielte, nochmahls gehörigen Orts die Versi-
cherung zu geben, daß seine vor seinen Richtern geschehenen
Aussagen in allen Stücken der Wahrheit gemäß wären,
und daß er nichts vorsetzlich verhehlt hätte, was ihm selbst
oder andern zur Last fallen könnte.

Als ich diesen Morgen, sagte er, erwachte, und
sah, daß es Tag war, überfiel mich ein heftiges Zittern am
ganzen Leibe. Jch nahm aber gleich meine Zuflucht zum

Gebet,



vorigen Abend fruͤhzeitig zu Bette gelegt und eine ziemliche
Zeit geleſen. Fuͤnf bis ſechs Stunden hatte er ruhig geſchla-
fen. Als er den Morgen erwacht war hatte er eine lange
Weile im tiefem Nachdenken zugebracht, war darauf auf-
geſtanden, hatte ſich angekleidet, und mit dem Officier eine
ruhige Unterredung gehalten.

Jch traf ihn voͤllig ſo angekleidet, wie er nach dem
Richtplatz gehen wollte, auf ſeinem Kanapee liegend an.
Er las in Schlegels Paſſionspredigten, und empfieng
mich mit ſeiner gewoͤhnlichen ruhigen und freundlichen
Miene. Jch dachte geſtern Abends, ſagte er, daß es mir
vielleicht meinen Hingang zum Tode erleichtern koͤnnte,
wenn ich nun meine Jmagination mit angenehmen Bildern
von der Ewigkeit und ihren Freuden erfuͤllte. Jch haͤtte
dazu Lavaters Auſſichten gut gebrauchen koͤnnen. Aber ich
habe es doch nicht wagen moͤgen. Jch halte es fuͤr beſſer,
daß ich meinen großen Schritt mit ſtiller Ueberlegung thue.
Die Einbildungskraft, wenn ſie einmahl in Bewegung ge-
ſetzt iſt, kann leicht eine falſche Wendung machen. Sie
koͤnnte jene angenehme Bilder fahren laſſen, und auf die
ſchrecklichen Umſtaͤnde meines Todes fallen, und mich da-
durch um meine Faſſung bringen. Jch will mich ſelbſt unter-
weges ihr nicht uͤberlaſſen, ſondern meine Vernunft mit dem
Andenken an den Hingang Jeſu zu ſeinem Tode und mit
Anwendungen daraus auf mich beſchaͤfftigen.

Er bat mich hierauf in ſeinem Nahmen, wenn ich
es fuͤr noͤthig hielte, nochmahls gehoͤrigen Orts die Verſi-
cherung zu geben, daß ſeine vor ſeinen Richtern geſchehenen
Auſſagen in allen Stuͤcken der Wahrheit gemaͤß waͤren,
und daß er nichts vorſetzlich verhehlt haͤtte, was ihm ſelbſt
oder andern zur Laſt fallen koͤnnte.

Als ich dieſen Morgen, ſagte er, erwachte, und
ſah, daß es Tag war, uͤberfiel mich ein heftiges Zittern am
ganzen Leibe. Jch nahm aber gleich meine Zuflucht zum

Gebet,
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[271/0283] vorigen Abend fruͤhzeitig zu Bette gelegt und eine ziemliche Zeit geleſen. Fuͤnf bis ſechs Stunden hatte er ruhig geſchla- fen. Als er den Morgen erwacht war hatte er eine lange Weile im tiefem Nachdenken zugebracht, war darauf auf- geſtanden, hatte ſich angekleidet, und mit dem Officier eine ruhige Unterredung gehalten. Jch traf ihn voͤllig ſo angekleidet, wie er nach dem Richtplatz gehen wollte, auf ſeinem Kanapee liegend an. Er las in Schlegels Paſſionspredigten, und empfieng mich mit ſeiner gewoͤhnlichen ruhigen und freundlichen Miene. Jch dachte geſtern Abends, ſagte er, daß es mir vielleicht meinen Hingang zum Tode erleichtern koͤnnte, wenn ich nun meine Jmagination mit angenehmen Bildern von der Ewigkeit und ihren Freuden erfuͤllte. Jch haͤtte dazu Lavaters Auſſichten gut gebrauchen koͤnnen. Aber ich habe es doch nicht wagen moͤgen. Jch halte es fuͤr beſſer, daß ich meinen großen Schritt mit ſtiller Ueberlegung thue. Die Einbildungskraft, wenn ſie einmahl in Bewegung ge- ſetzt iſt, kann leicht eine falſche Wendung machen. Sie koͤnnte jene angenehme Bilder fahren laſſen, und auf die ſchrecklichen Umſtaͤnde meines Todes fallen, und mich da- durch um meine Faſſung bringen. Jch will mich ſelbſt unter- weges ihr nicht uͤberlaſſen, ſondern meine Vernunft mit dem Andenken an den Hingang Jeſu zu ſeinem Tode und mit Anwendungen daraus auf mich beſchaͤfftigen. Er bat mich hierauf in ſeinem Nahmen, wenn ich es fuͤr noͤthig hielte, nochmahls gehoͤrigen Orts die Verſi- cherung zu geben, daß ſeine vor ſeinen Richtern geſchehenen Auſſagen in allen Stuͤcken der Wahrheit gemaͤß waͤren, und daß er nichts vorſetzlich verhehlt haͤtte, was ihm ſelbſt oder andern zur Laſt fallen koͤnnte. Als ich dieſen Morgen, ſagte er, erwachte, und ſah, daß es Tag war, uͤberfiel mich ein heftiges Zittern am ganzen Leibe. Jch nahm aber gleich meine Zuflucht zum Gebet,

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Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/283>, abgerufen am 21.11.2024.