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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

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Bey dem Anblick der großen Menge von Zuschau-
ern sagte ich ihm, daß gewiß unter diesen Tausenden auch
viele seyn würden, die Gott anriefen ihm gnädig zu seyn.
Das hoffe ich, sagte er, und dieser Gedanke erfreut mich.
Unmittelbar darauf setzte er hinzu: Es ist ein großer An-
blick so viele tausend Menschen beysammen zu sehen. Aber
was sind diese tausende, wenn man sie mit der ganzen Sum-
me der Geschöpfe Gottes vergleicht? Und wie sogar nichts
wird in dieser Vergleichung ein einzelner Mensch? Gleich-
wohl liebt Gott einen jeden einzelnen Menschen so sehr, daß
er durch die Aufopferung seines Sohns die Seeligkeit dessel-
ben veranstaltet hat. Welch eine Liebe Gottes!

Sie sehen mich itzt, fuhr er fort, äußerlich gerade
so, wie ich innerlich bin. "Jch fand ihn während dieser
Unterredung im Wagen weiter nicht verändert, als daß
er blaß war, und daß es ihn mehr Mühe kostete zu denken
und zu reden als sonst, und noch diesen Morgen. Er war
übrigens völlig gegenwärtig, erkannte unter den Umstehen-
den diesen und jenen, grüßte sie mit Abziehung des Huts,
einige auch mit einer freundlichen Miene. "Meine Ruhe,
setzte er hinzu, ist nicht erzwungen. Und ich bin mir keine
Ursache derselben bewußt, die Gott misfallen könnte. Jch
denke gar nicht daran bey Menschen Ehre einzulegen. Jch
verspreche auch nicht, daß ich auf dem Schafot keine Unru-
he werde blicken lassen. Sinnliche unangenehme Empfin-
dungen habe ich itzt, ich werde sie dort noch mehr haben,
und sie nicht zu verhehlen suchen. Aber seyn Sie versichert,
meine Seele wird mit Ruhe und Hoffnung über den Tod
hinaussehen. Und wie wenig ist es auch, was ich zu leiden
habe, wenn ich es mit den Leiden Jesu bey seinem Tode ver-
gleiche. Erinnern Sie sich an seine Worte: Mein Gott,
mein Gott, warum hast du mich verlassen? Und stellen Sie
sich vor, welche unsägliche Schmerzen ihm, bloß das Hän-
gen am Kreuz einige Stunden lang, muß verursacht haben.
Jch ermahnte ihn ja bey seinem Vorsatz zu bleiben, und in

den
S 3


Bey dem Anblick der großen Menge von Zuſchau-
ern ſagte ich ihm, daß gewiß unter dieſen Tauſenden auch
viele ſeyn wuͤrden, die Gott anriefen ihm gnaͤdig zu ſeyn.
Das hoffe ich, ſagte er, und dieſer Gedanke erfreut mich.
Unmittelbar darauf ſetzte er hinzu: Es iſt ein großer An-
blick ſo viele tauſend Menſchen beyſammen zu ſehen. Aber
was ſind dieſe tauſende, wenn man ſie mit der ganzen Sum-
me der Geſchoͤpfe Gottes vergleicht? Und wie ſogar nichts
wird in dieſer Vergleichung ein einzelner Menſch? Gleich-
wohl liebt Gott einen jeden einzelnen Menſchen ſo ſehr, daß
er durch die Aufopferung ſeines Sohns die Seeligkeit deſſel-
ben veranſtaltet hat. Welch eine Liebe Gottes!

Sie ſehen mich itzt, fuhr er fort, aͤußerlich gerade
ſo, wie ich innerlich bin. “Jch fand ihn waͤhrend dieſer
Unterredung im Wagen weiter nicht veraͤndert, als daß
er blaß war, und daß es ihn mehr Muͤhe koſtete zu denken
und zu reden als ſonſt, und noch dieſen Morgen. Er war
uͤbrigens voͤllig gegenwaͤrtig, erkannte unter den Umſtehen-
den dieſen und jenen, gruͤßte ſie mit Abziehung des Huts,
einige auch mit einer freundlichen Miene. „Meine Ruhe,
ſetzte er hinzu, iſt nicht erzwungen. Und ich bin mir keine
Urſache derſelben bewußt, die Gott misfallen koͤnnte. Jch
denke gar nicht daran bey Menſchen Ehre einzulegen. Jch
verſpreche auch nicht, daß ich auf dem Schafot keine Unru-
he werde blicken laſſen. Sinnliche unangenehme Empfin-
dungen habe ich itzt, ich werde ſie dort noch mehr haben,
und ſie nicht zu verhehlen ſuchen. Aber ſeyn Sie verſichert,
meine Seele wird mit Ruhe und Hoffnung uͤber den Tod
hinausſehen. Und wie wenig iſt es auch, was ich zu leiden
habe, wenn ich es mit den Leiden Jeſu bey ſeinem Tode ver-
gleiche. Erinnern Sie ſich an ſeine Worte: Mein Gott,
mein Gott, warum haſt du mich verlaſſen? Und ſtellen Sie
ſich vor, welche unſaͤgliche Schmerzen ihm, bloß das Haͤn-
gen am Kreuz einige Stunden lang, muß verurſacht haben.
Jch ermahnte ihn ja bey ſeinem Vorſatz zu bleiben, und in

den
S 3
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[277/0289] Bey dem Anblick der großen Menge von Zuſchau- ern ſagte ich ihm, daß gewiß unter dieſen Tauſenden auch viele ſeyn wuͤrden, die Gott anriefen ihm gnaͤdig zu ſeyn. Das hoffe ich, ſagte er, und dieſer Gedanke erfreut mich. Unmittelbar darauf ſetzte er hinzu: Es iſt ein großer An- blick ſo viele tauſend Menſchen beyſammen zu ſehen. Aber was ſind dieſe tauſende, wenn man ſie mit der ganzen Sum- me der Geſchoͤpfe Gottes vergleicht? Und wie ſogar nichts wird in dieſer Vergleichung ein einzelner Menſch? Gleich- wohl liebt Gott einen jeden einzelnen Menſchen ſo ſehr, daß er durch die Aufopferung ſeines Sohns die Seeligkeit deſſel- ben veranſtaltet hat. Welch eine Liebe Gottes! Sie ſehen mich itzt, fuhr er fort, aͤußerlich gerade ſo, wie ich innerlich bin. “Jch fand ihn waͤhrend dieſer Unterredung im Wagen weiter nicht veraͤndert, als daß er blaß war, und daß es ihn mehr Muͤhe koſtete zu denken und zu reden als ſonſt, und noch dieſen Morgen. Er war uͤbrigens voͤllig gegenwaͤrtig, erkannte unter den Umſtehen- den dieſen und jenen, gruͤßte ſie mit Abziehung des Huts, einige auch mit einer freundlichen Miene. „Meine Ruhe, ſetzte er hinzu, iſt nicht erzwungen. Und ich bin mir keine Urſache derſelben bewußt, die Gott misfallen koͤnnte. Jch denke gar nicht daran bey Menſchen Ehre einzulegen. Jch verſpreche auch nicht, daß ich auf dem Schafot keine Unru- he werde blicken laſſen. Sinnliche unangenehme Empfin- dungen habe ich itzt, ich werde ſie dort noch mehr haben, und ſie nicht zu verhehlen ſuchen. Aber ſeyn Sie verſichert, meine Seele wird mit Ruhe und Hoffnung uͤber den Tod hinausſehen. Und wie wenig iſt es auch, was ich zu leiden habe, wenn ich es mit den Leiden Jeſu bey ſeinem Tode ver- gleiche. Erinnern Sie ſich an ſeine Worte: Mein Gott, mein Gott, warum haſt du mich verlaſſen? Und ſtellen Sie ſich vor, welche unſaͤgliche Schmerzen ihm, bloß das Haͤn- gen am Kreuz einige Stunden lang, muß verurſacht haben. Jch ermahnte ihn ja bey ſeinem Vorſatz zu bleiben, und in den S 3

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Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/289>, abgerufen am 21.11.2024.