Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.
einem Christen, der eine lange Reihe von Jahren her- durch, ein wahrer Christ gewesen ist, und zwischen sich, so wie Sie noch ein Christ werden können. So wenig es Jhnen selbst wahrscheinlich seyn wird, daß Sie, auch bey der aufrichtigsten Bekehrung, einer der ersten unter den Seeligen werden würden; so wenig können Sie sich auch die Freudigkeit im Tode versprechen, die vielleicht nur das Erbtheil der geprüftesten Christen ist. Ach, sagte er hierauf, wie wankend ist doch mein bisheriges System gewesen, und wie habe ich gleichwohl mich so sehr von der Wahrheit desselben überreden können! Jch hatte mir nach demselben vorgenommen, wenn ich sterben sollte, meinen Grundsätzen treu zu bleiben, sie als ausgemacht vorauszusetzen, und ohne alle weitere Untersuchung den Tod zu erwarten. Deswegen hatte ich es mir auch ver- beten einen Geistlichen zu sehen. "Sie sehen hieraus, Herr Graf, was für ein Unterschied zwischen Wahrheit und Jrrthum ist. So dachten Sie noch vor acht Tagen. Und nun lesen Sie den Jerusalem mit solchem Fleiß, ob er gleich Jhren Grundsätzen durchaus widerspricht." O antwortete er, es ist ein vortreffliches Buch! Wollen Sie mir nicht die folgenden Theile bringen? "Wie sehr mußte ich es nicht beklagen, daß noch kein folgender Theil da ist!" Könnten Sie denn nicht dieß Buch, fuhr er fort, diesem und jenem von meinen Freunden, die so über die Religion denken, als ich gedacht habe, und die vielleicht durch mein Exempel und Reden dazu veranlaßt worden sind, zu lesen geben? Jch versprach ihm, dazu Gelegenheit zu suchen. Jch durfte ihn nun nach und nach auf das Ge- mensch- D
einem Chriſten, der eine lange Reihe von Jahren her- durch, ein wahrer Chriſt geweſen iſt, und zwiſchen ſich, ſo wie Sie noch ein Chriſt werden koͤnnen. So wenig es Jhnen ſelbſt wahrſcheinlich ſeyn wird, daß Sie, auch bey der aufrichtigſten Bekehrung, einer der erſten unter den Seeligen werden wuͤrden; ſo wenig koͤnnen Sie ſich auch die Freudigkeit im Tode verſprechen, die vielleicht nur das Erbtheil der gepruͤfteſten Chriſten iſt. Ach, ſagte er hierauf, wie wankend iſt doch mein bisheriges Syſtem geweſen, und wie habe ich gleichwohl mich ſo ſehr von der Wahrheit deſſelben uͤberreden koͤnnen! Jch hatte mir nach demſelben vorgenommen, wenn ich ſterben ſollte, meinen Grundſaͤtzen treu zu bleiben, ſie als ausgemacht vorauszuſetzen, und ohne alle weitere Unterſuchung den Tod zu erwarten. Deswegen hatte ich es mir auch ver- beten einen Geiſtlichen zu ſehen. “Sie ſehen hieraus, Herr Graf, was fuͤr ein Unterſchied zwiſchen Wahrheit und Jrrthum iſt. So dachten Sie noch vor acht Tagen. Und nun leſen Sie den Jeruſalem mit ſolchem Fleiß, ob er gleich Jhren Grundſaͤtzen durchaus widerſpricht.„ O antwortete er, es iſt ein vortreffliches Buch! Wollen Sie mir nicht die folgenden Theile bringen? “Wie ſehr mußte ich es nicht beklagen, daß noch kein folgender Theil da iſt!„ Koͤnnten Sie denn nicht dieß Buch, fuhr er fort, dieſem und jenem von meinen Freunden, die ſo uͤber die Religion denken, als ich gedacht habe, und die vielleicht durch mein Exempel und Reden dazu veranlaßt worden ſind, zu leſen geben? Jch verſprach ihm, dazu Gelegenheit zu ſuchen. Jch durfte ihn nun nach und nach auf das Ge- menſch- D
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0061" n="49"/><lb/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> einem Chriſten, der eine lange Reihe von Jahren her-<lb/> durch, ein wahrer Chriſt geweſen iſt, und zwiſchen ſich,<lb/> ſo wie Sie noch ein Chriſt werden koͤnnen. So wenig<lb/> es Jhnen ſelbſt wahrſcheinlich ſeyn wird, daß Sie, auch<lb/> bey der aufrichtigſten Bekehrung, einer der erſten unter<lb/> den Seeligen werden wuͤrden; ſo wenig koͤnnen Sie ſich<lb/> auch die Freudigkeit im Tode verſprechen, die vielleicht<lb/> nur das Erbtheil der gepruͤfteſten Chriſten iſt. Ach, ſagte<lb/> er hierauf, wie wankend iſt doch mein bisheriges Syſtem<lb/> geweſen, und wie habe ich gleichwohl mich ſo ſehr von<lb/> der Wahrheit deſſelben uͤberreden koͤnnen! Jch hatte mir<lb/> nach demſelben vorgenommen, wenn ich ſterben ſollte,<lb/> meinen Grundſaͤtzen treu zu bleiben, ſie als ausgemacht<lb/> vorauszuſetzen, und ohne alle weitere Unterſuchung den<lb/> Tod zu erwarten. Deswegen hatte ich es mir auch ver-<lb/> beten einen Geiſtlichen zu ſehen. “Sie ſehen hieraus,<lb/> Herr Graf, was fuͤr ein Unterſchied zwiſchen Wahrheit<lb/> und Jrrthum iſt. So dachten Sie noch vor acht Tagen.<lb/> Und nun leſen Sie den Jeruſalem mit ſolchem Fleiß, ob<lb/> er gleich Jhren Grundſaͤtzen durchaus widerſpricht.„<lb/> O antwortete er, es iſt ein vortreffliches Buch! Wollen<lb/> Sie mir nicht die folgenden Theile bringen? “Wie ſehr<lb/> mußte ich es nicht beklagen, daß noch kein folgender Theil<lb/> da iſt!„ Koͤnnten Sie denn nicht dieß Buch, fuhr er<lb/> fort, dieſem und jenem von meinen Freunden, die ſo<lb/> uͤber die Religion denken, als ich gedacht habe, und die<lb/> vielleicht durch mein Exempel und Reden dazu veranlaßt<lb/> worden ſind, zu leſen geben? Jch verſprach ihm, dazu<lb/> Gelegenheit zu ſuchen.</p><lb/> <p>Jch durfte ihn nun nach und nach auf das Ge-<lb/> biet des Chriſtenthums fuͤhren, denn an der Graͤnze<lb/> deſſelben ſtand er ſchon. Von der moraliſchen Seite<lb/> mußte ich es ihm zuerſt bekannt machen, denn wie un-<lb/> widerſtehlich dringt es ſich nicht auf dieſer Seite der<lb/> <fw place="bottom" type="sig">D</fw><fw place="bottom" type="catch">menſch-</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [49/0061]
einem Chriſten, der eine lange Reihe von Jahren her-
durch, ein wahrer Chriſt geweſen iſt, und zwiſchen ſich,
ſo wie Sie noch ein Chriſt werden koͤnnen. So wenig
es Jhnen ſelbſt wahrſcheinlich ſeyn wird, daß Sie, auch
bey der aufrichtigſten Bekehrung, einer der erſten unter
den Seeligen werden wuͤrden; ſo wenig koͤnnen Sie ſich
auch die Freudigkeit im Tode verſprechen, die vielleicht
nur das Erbtheil der gepruͤfteſten Chriſten iſt. Ach, ſagte
er hierauf, wie wankend iſt doch mein bisheriges Syſtem
geweſen, und wie habe ich gleichwohl mich ſo ſehr von
der Wahrheit deſſelben uͤberreden koͤnnen! Jch hatte mir
nach demſelben vorgenommen, wenn ich ſterben ſollte,
meinen Grundſaͤtzen treu zu bleiben, ſie als ausgemacht
vorauszuſetzen, und ohne alle weitere Unterſuchung den
Tod zu erwarten. Deswegen hatte ich es mir auch ver-
beten einen Geiſtlichen zu ſehen. “Sie ſehen hieraus,
Herr Graf, was fuͤr ein Unterſchied zwiſchen Wahrheit
und Jrrthum iſt. So dachten Sie noch vor acht Tagen.
Und nun leſen Sie den Jeruſalem mit ſolchem Fleiß, ob
er gleich Jhren Grundſaͤtzen durchaus widerſpricht.„
O antwortete er, es iſt ein vortreffliches Buch! Wollen
Sie mir nicht die folgenden Theile bringen? “Wie ſehr
mußte ich es nicht beklagen, daß noch kein folgender Theil
da iſt!„ Koͤnnten Sie denn nicht dieß Buch, fuhr er
fort, dieſem und jenem von meinen Freunden, die ſo
uͤber die Religion denken, als ich gedacht habe, und die
vielleicht durch mein Exempel und Reden dazu veranlaßt
worden ſind, zu leſen geben? Jch verſprach ihm, dazu
Gelegenheit zu ſuchen.
Jch durfte ihn nun nach und nach auf das Ge-
biet des Chriſtenthums fuͤhren, denn an der Graͤnze
deſſelben ſtand er ſchon. Von der moraliſchen Seite
mußte ich es ihm zuerſt bekannt machen, denn wie un-
widerſtehlich dringt es ſich nicht auf dieſer Seite der
menſch-
D
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
| URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772 |
| URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/61 |
| Zitationshilfe: | Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/61>, abgerufen am 27.11.2024. |
