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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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ein deutscher Professor berichtete, hat der französische
Gesandte in Tokyo, der, sebst ein Gelehrter, vor einiger
Zeit die Universität besichtigte, zum Schluß bemerkt:
"Alles sehr schön, aber -- zu sehr deutsch!"

Aber trotz dieser Bemerkung bin ich nicht ganz
damit einverstanden: "Alles sehr schön!" Gewiß darf
Japan auf die Organisation seines Schulwesens im
allgemeinen, und auf die Universität im besonderen stolz
sein. Aber mit Bezug auf den inneren Geist ist doch
noch manches auszusetzen. In früheren Jahren kannte
man nur ein humanistisches Studium; die Klassiker allein
wurden zum Gegenstand des Studiums gemacht. Man
hatte dabei nicht nur die Verstandesbildung, sondern
mehr als das, die Charakterbildung im Auge. Heute
ist das vielfach in sein Gegenteil umgeschlagen. Das
Wissen ist das Ziel des Unterrichtes, nicht die Erziehung.
Der Geist der japanischen Schule ist einseitig realistisch.
Zwar bei der Universität, den Regierungsgymnasien und
den Lehrerbildungsanstalten ist es verhältnismäßig noch
am besten; zumal in den Gymnasien wird viel humanisti-
scher Stoff verarbeitet. Aber der Geist, welcher die
Fachschulen und das ganze Privatschulwesen beherrscht,
ist ganz und gar realistisch und formalistisch.

Die Zahl der Privatschulen ist Legion. Es giebt
ihrer eine große Menge von den besteingerichteten
"Colleges" an bis zu den primitivsten Elementarschulen.
An der Spitze steht die "Keiogijuku", das nach ame-
rikanischem Gymnasial- bezw. College-Stil eingerichte
Institut Fukuzawas. Fukuzawa gilt als die Seele des
modernen gebildeten Japans und zweifellos ist er als
der geistige Vater der Hälfte der japanischen Politiker
anzusehen. Fukuzawa hat es stets verschmäht, ein po-
litisches Amt, auch das des Unterrichtsministers, zu

ein deutſcher Profeſſor berichtete, hat der franzöſiſche
Geſandte in Tokyo, der, ſebſt ein Gelehrter, vor einiger
Zeit die Univerſität beſichtigte, zum Schluß bemerkt:
„Alles ſehr ſchön, aber — zu ſehr deutſch!“

Aber trotz dieſer Bemerkung bin ich nicht ganz
damit einverſtanden: „Alles ſehr ſchön!“ Gewiß darf
Japan auf die Organiſation ſeines Schulweſens im
allgemeinen, und auf die Univerſität im beſonderen ſtolz
ſein. Aber mit Bezug auf den inneren Geiſt iſt doch
noch manches auszuſetzen. In früheren Jahren kannte
man nur ein humaniſtiſches Studium; die Klaſſiker allein
wurden zum Gegenſtand des Studiums gemacht. Man
hatte dabei nicht nur die Verſtandesbildung, ſondern
mehr als das, die Charakterbildung im Auge. Heute
iſt das vielfach in ſein Gegenteil umgeſchlagen. Das
Wiſſen iſt das Ziel des Unterrichtes, nicht die Erziehung.
Der Geiſt der japaniſchen Schule iſt einſeitig realiſtiſch.
Zwar bei der Univerſität, den Regierungsgymnaſien und
den Lehrerbildungsanſtalten iſt es verhältnismäßig noch
am beſten; zumal in den Gymnaſien wird viel humaniſti-
ſcher Stoff verarbeitet. Aber der Geiſt, welcher die
Fachſchulen und das ganze Privatſchulweſen beherrſcht,
iſt ganz und gar realiſtiſch und formaliſtiſch.

Die Zahl der Privatſchulen iſt Legion. Es giebt
ihrer eine große Menge von den beſteingerichteten
„Colleges“ an bis zu den primitivſten Elementarſchulen.
An der Spitze ſteht die „Keiogijuku“, das nach ame-
rikaniſchem Gymnaſial- bezw. College-Stil eingerichte
Inſtitut Fukuzawas. Fukuzawa gilt als die Seele des
modernen gebildeten Japans und zweifellos iſt er als
der geiſtige Vater der Hälfte der japaniſchen Politiker
anzuſehen. Fukuzawa hat es ſtets verſchmäht, ein po-
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[92/0106] ein deutſcher Profeſſor berichtete, hat der franzöſiſche Geſandte in Tokyo, der, ſebſt ein Gelehrter, vor einiger Zeit die Univerſität beſichtigte, zum Schluß bemerkt: „Alles ſehr ſchön, aber — zu ſehr deutſch!“ Aber trotz dieſer Bemerkung bin ich nicht ganz damit einverſtanden: „Alles ſehr ſchön!“ Gewiß darf Japan auf die Organiſation ſeines Schulweſens im allgemeinen, und auf die Univerſität im beſonderen ſtolz ſein. Aber mit Bezug auf den inneren Geiſt iſt doch noch manches auszuſetzen. In früheren Jahren kannte man nur ein humaniſtiſches Studium; die Klaſſiker allein wurden zum Gegenſtand des Studiums gemacht. Man hatte dabei nicht nur die Verſtandesbildung, ſondern mehr als das, die Charakterbildung im Auge. Heute iſt das vielfach in ſein Gegenteil umgeſchlagen. Das Wiſſen iſt das Ziel des Unterrichtes, nicht die Erziehung. Der Geiſt der japaniſchen Schule iſt einſeitig realiſtiſch. Zwar bei der Univerſität, den Regierungsgymnaſien und den Lehrerbildungsanſtalten iſt es verhältnismäßig noch am beſten; zumal in den Gymnaſien wird viel humaniſti- ſcher Stoff verarbeitet. Aber der Geiſt, welcher die Fachſchulen und das ganze Privatſchulweſen beherrſcht, iſt ganz und gar realiſtiſch und formaliſtiſch. Die Zahl der Privatſchulen iſt Legion. Es giebt ihrer eine große Menge von den beſteingerichteten „Colleges“ an bis zu den primitivſten Elementarſchulen. An der Spitze ſteht die „Keiogijuku“, das nach ame- rikaniſchem Gymnaſial- bezw. College-Stil eingerichte Inſtitut Fukuzawas. Fukuzawa gilt als die Seele des modernen gebildeten Japans und zweifellos iſt er als der geiſtige Vater der Hälfte der japaniſchen Politiker anzuſehen. Fukuzawa hat es ſtets verſchmäht, ein po- litiſches Amt, auch das des Unterrichtsminiſters, zu

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/106>, abgerufen am 24.11.2024.