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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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wie sie im vorigen Kapitel beschrieben wurden. Und
wie die Schrecken der Natur in ihrer Vollkraft der
Zerstörung sich nur dem langjährigen Residenten zeigen,
so offenbart sich ihm auch der Japaner im Lauf der
Zeit als ein ganz anderer, als der er zu Anfang schien.
Dieses Doppelgesicht an Land und Leuten erklärt die
Verschiedenheit der Urteile über die Japaner, Urteile,
welche sich oft geradezu widersprechen. Die alten Resi-
denten haben auch in die Nachtseiten Japans und seiner
Bewohner hineinzuschauen Gelegenheit gehabt, und über
dem Bösen, das sie hinter der freundlichen Außen-
seite des Volkes sehen, vergessen sie oft das Gute,
das sie doch auch haben, und werden einseitig in ihrem
Urteil. Die Reisenden aber, welche nach kurzem Auf-
enthalt im Lande wieder in die Heimat zurückkehren,
haben nur die ästhetisch schöne Oberfläche von Land und
Leuten gesehen und wissen dann zu Hause nicht genug
zu erzählen von dieser schönen Natur und ihren sym-
pathischen Menschen; und da die populären Werke über
Japan, die ihren Weg in unser Volk gefunden haben,
fast durchweg von Leuten dieser Klasse herrühren, so
hat man lange Zeit in Europa an das Märchen von
Japan als einem Land von schönen Blumen und einem
Volk von harmlosen, liebenswürdigen Kindern geglaubt.
Aber wahrlich, der Japaner ist weit mehr als das, ja
in seinem Herzen ist er ganz etwas anderes. Darüber
sollte der japanisch-chinesische Krieg endlich Klarheit
geschaffen haben. Der Japaner würde sich selbst be-
dauern, wenn er nicht mehr wäre, als was er scheint.
Ein Spielzeug, eine Puppe, ein Kind, wie er von
vielen Europäern aufgefaßt wird, will er nicht sein.

Jeder Japaner ist ein Rätsel. Vor der Öffentlich-
keit spielt er seine Rolle, und er spielt sie vorzüglich;

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wie ſie im vorigen Kapitel beſchrieben wurden. Und
wie die Schrecken der Natur in ihrer Vollkraft der
Zerſtörung ſich nur dem langjährigen Reſidenten zeigen,
ſo offenbart ſich ihm auch der Japaner im Lauf der
Zeit als ein ganz anderer, als der er zu Anfang ſchien.
Dieſes Doppelgeſicht an Land und Leuten erklärt die
Verſchiedenheit der Urteile über die Japaner, Urteile,
welche ſich oft geradezu widerſprechen. Die alten Reſi-
denten haben auch in die Nachtſeiten Japans und ſeiner
Bewohner hineinzuſchauen Gelegenheit gehabt, und über
dem Böſen, das ſie hinter der freundlichen Außen-
ſeite des Volkes ſehen, vergeſſen ſie oft das Gute,
das ſie doch auch haben, und werden einſeitig in ihrem
Urteil. Die Reiſenden aber, welche nach kurzem Auf-
enthalt im Lande wieder in die Heimat zurückkehren,
haben nur die äſthetiſch ſchöne Oberfläche von Land und
Leuten geſehen und wiſſen dann zu Hauſe nicht genug
zu erzählen von dieſer ſchönen Natur und ihren ſym-
pathiſchen Menſchen; und da die populären Werke über
Japan, die ihren Weg in unſer Volk gefunden haben,
faſt durchweg von Leuten dieſer Klaſſe herrühren, ſo
hat man lange Zeit in Europa an das Märchen von
Japan als einem Land von ſchönen Blumen und einem
Volk von harmloſen, liebenswürdigen Kindern geglaubt.
Aber wahrlich, der Japaner iſt weit mehr als das, ja
in ſeinem Herzen iſt er ganz etwas anderes. Darüber
ſollte der japaniſch-chineſiſche Krieg endlich Klarheit
geſchaffen haben. Der Japaner würde ſich ſelbſt be-
dauern, wenn er nicht mehr wäre, als was er ſcheint.
Ein Spielzeug, eine Puppe, ein Kind, wie er von
vielen Europäern aufgefaßt wird, will er nicht ſein.

Jeder Japaner iſt ein Rätſel. Vor der Öffentlich-
keit ſpielt er ſeine Rolle, und er ſpielt ſie vorzüglich;

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[97/0111] wie ſie im vorigen Kapitel beſchrieben wurden. Und wie die Schrecken der Natur in ihrer Vollkraft der Zerſtörung ſich nur dem langjährigen Reſidenten zeigen, ſo offenbart ſich ihm auch der Japaner im Lauf der Zeit als ein ganz anderer, als der er zu Anfang ſchien. Dieſes Doppelgeſicht an Land und Leuten erklärt die Verſchiedenheit der Urteile über die Japaner, Urteile, welche ſich oft geradezu widerſprechen. Die alten Reſi- denten haben auch in die Nachtſeiten Japans und ſeiner Bewohner hineinzuſchauen Gelegenheit gehabt, und über dem Böſen, das ſie hinter der freundlichen Außen- ſeite des Volkes ſehen, vergeſſen ſie oft das Gute, das ſie doch auch haben, und werden einſeitig in ihrem Urteil. Die Reiſenden aber, welche nach kurzem Auf- enthalt im Lande wieder in die Heimat zurückkehren, haben nur die äſthetiſch ſchöne Oberfläche von Land und Leuten geſehen und wiſſen dann zu Hauſe nicht genug zu erzählen von dieſer ſchönen Natur und ihren ſym- pathiſchen Menſchen; und da die populären Werke über Japan, die ihren Weg in unſer Volk gefunden haben, faſt durchweg von Leuten dieſer Klaſſe herrühren, ſo hat man lange Zeit in Europa an das Märchen von Japan als einem Land von ſchönen Blumen und einem Volk von harmloſen, liebenswürdigen Kindern geglaubt. Aber wahrlich, der Japaner iſt weit mehr als das, ja in ſeinem Herzen iſt er ganz etwas anderes. Darüber ſollte der japaniſch-chineſiſche Krieg endlich Klarheit geſchaffen haben. Der Japaner würde ſich ſelbſt be- dauern, wenn er nicht mehr wäre, als was er ſcheint. Ein Spielzeug, eine Puppe, ein Kind, wie er von vielen Europäern aufgefaßt wird, will er nicht ſein. Jeder Japaner iſt ein Rätſel. Vor der Öffentlich- keit ſpielt er ſeine Rolle, und er ſpielt ſie vorzüglich; 7

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/111>, abgerufen am 24.11.2024.