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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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nur nach einem genußreichen Leben. Mammonsanbeter
sind sie nicht, und auch den Bauch haben sie nicht zu
ihrem Gott gemacht. Und wenn ich hier noch einmal
auf das Sprichwort: "Zehn Menschen, zehn Bäuche"
zurückkommen darf, so sei es dieses Mal in dem Sinne,
daß sie zwar den Bauch als den Sitz der Verstandes-
thätigkeit, nicht aber als das Reservoir kullinarischer
Genüsse betrachten.

Nach Ruhm geht des Japaners Streben. Wenn
auch seine gesunden Sinne ihm sagen, daß sein Vater-
land hinter mancher andern Macht zurücksteht, sein
Ehrgeiz redet ihm ein, daß Japan doch die erste Nation
der Welt sei. Ich habe einen Studenten der Theologie
gekannt, der von Lessing nichts wußte, als was er hier
und dort in englischen Büchern über ihn gelesen hatte:
Er schrieb ein Buch über Lessing. Gekauft hat es
niemand, er aber hatte die Genugthuung, sich gedruckt
zu sehen. Wie überall so auch hier: In inniger Ver-
bindung mit der Eitelkeit der Mangel an Tiefe, die
Oberflächlichkeit. Ich kannte einen andern, der in der
deutschen Rechtsschule durchgefallen war und dann vor-
übergehend, durch Vermittlung eines Gönners, An-
stellung auf dem Hauptpostamt gefunden hatte; eines
Tages teilte er mir mit, daß er gegenwärtig in Päda-
gogik mache und Lesebücher für alle Klassen der Volks-
schule schreibe. Ein dritter Bekannter, ein junger Mann,
der nicht einmal eine fremde Sprache kannte, gab eine
Zeitschrift heraus, welche den Unterricht der Chugakko,
des Progymnasiums, ersetzen und die Abonnenten nach
einer Reihe von Jahren auf die Höhe der Bildung
eines Abiturienten bringen sollte, die er meiner Ansicht
nach aber selbst nicht besaß. Was die Leute dazu
treibt, ist die Großmannssucht. Man will sich einen

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nur nach einem genußreichen Leben. Mammonsanbeter
ſind ſie nicht, und auch den Bauch haben ſie nicht zu
ihrem Gott gemacht. Und wenn ich hier noch einmal
auf das Sprichwort: „Zehn Menſchen, zehn Bäuche“
zurückkommen darf, ſo ſei es dieſes Mal in dem Sinne,
daß ſie zwar den Bauch als den Sitz der Verſtandes-
thätigkeit, nicht aber als das Reſervoir kullinariſcher
Genüſſe betrachten.

Nach Ruhm geht des Japaners Streben. Wenn
auch ſeine geſunden Sinne ihm ſagen, daß ſein Vater-
land hinter mancher andern Macht zurückſteht, ſein
Ehrgeiz redet ihm ein, daß Japan doch die erſte Nation
der Welt ſei. Ich habe einen Studenten der Theologie
gekannt, der von Leſſing nichts wußte, als was er hier
und dort in engliſchen Büchern über ihn geleſen hatte:
Er ſchrieb ein Buch über Leſſing. Gekauft hat es
niemand, er aber hatte die Genugthuung, ſich gedruckt
zu ſehen. Wie überall ſo auch hier: In inniger Ver-
bindung mit der Eitelkeit der Mangel an Tiefe, die
Oberflächlichkeit. Ich kannte einen andern, der in der
deutſchen Rechtsſchule durchgefallen war und dann vor-
übergehend, durch Vermittlung eines Gönners, An-
ſtellung auf dem Hauptpoſtamt gefunden hatte; eines
Tages teilte er mir mit, daß er gegenwärtig in Päda-
gogik mache und Leſebücher für alle Klaſſen der Volks-
ſchule ſchreibe. Ein dritter Bekannter, ein junger Mann,
der nicht einmal eine fremde Sprache kannte, gab eine
Zeitſchrift heraus, welche den Unterricht der Chūgakkō,
des Progymnaſiums, erſetzen und die Abonnenten nach
einer Reihe von Jahren auf die Höhe der Bildung
eines Abiturienten bringen ſollte, die er meiner Anſicht
nach aber ſelbſt nicht beſaß. Was die Leute dazu
treibt, iſt die Großmannsſucht. Man will ſich einen

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[115/0129] nur nach einem genußreichen Leben. Mammonsanbeter ſind ſie nicht, und auch den Bauch haben ſie nicht zu ihrem Gott gemacht. Und wenn ich hier noch einmal auf das Sprichwort: „Zehn Menſchen, zehn Bäuche“ zurückkommen darf, ſo ſei es dieſes Mal in dem Sinne, daß ſie zwar den Bauch als den Sitz der Verſtandes- thätigkeit, nicht aber als das Reſervoir kullinariſcher Genüſſe betrachten. Nach Ruhm geht des Japaners Streben. Wenn auch ſeine geſunden Sinne ihm ſagen, daß ſein Vater- land hinter mancher andern Macht zurückſteht, ſein Ehrgeiz redet ihm ein, daß Japan doch die erſte Nation der Welt ſei. Ich habe einen Studenten der Theologie gekannt, der von Leſſing nichts wußte, als was er hier und dort in engliſchen Büchern über ihn geleſen hatte: Er ſchrieb ein Buch über Leſſing. Gekauft hat es niemand, er aber hatte die Genugthuung, ſich gedruckt zu ſehen. Wie überall ſo auch hier: In inniger Ver- bindung mit der Eitelkeit der Mangel an Tiefe, die Oberflächlichkeit. Ich kannte einen andern, der in der deutſchen Rechtsſchule durchgefallen war und dann vor- übergehend, durch Vermittlung eines Gönners, An- ſtellung auf dem Hauptpoſtamt gefunden hatte; eines Tages teilte er mir mit, daß er gegenwärtig in Päda- gogik mache und Leſebücher für alle Klaſſen der Volks- ſchule ſchreibe. Ein dritter Bekannter, ein junger Mann, der nicht einmal eine fremde Sprache kannte, gab eine Zeitſchrift heraus, welche den Unterricht der Chūgakkō, des Progymnaſiums, erſetzen und die Abonnenten nach einer Reihe von Jahren auf die Höhe der Bildung eines Abiturienten bringen ſollte, die er meiner Anſicht nach aber ſelbſt nicht beſaß. Was die Leute dazu treibt, iſt die Großmannsſucht. Man will ſich einen 8*

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/129>, abgerufen am 24.11.2024.