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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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wochen die schönsten sind, da in dem engen Neben-
einander die Charaktere der Neuvermählten aufeinander-
stoßen, so ist das in Japan, wo es zuvor an jeder
Gelegenheit fehlte, sich aneinander abzuschleifen, noch
viel mehr der Fall. Zumal die Lage der jungen Frau,
die sich plötzlich in eine ganz fremde Umgebung versetzt
sieht und ängstlich bestrebt sein muß, ihrem Manne und
-- was noch schwerer ist -- ihren Schwiegereltern zu
gefallen, ist keineswegs beneidenswert. Was Wunder,
wenn sie bei ihrem ersten Besuch in ihrer elterlichen
Wohnung, welcher der Sitte gemäß am dritten oder
siebenten Tage stattfindet, oft nicht wieder oder doch
nur schwer zu bewegen ist, in das Haus ihres Mannes
zurückzukehren! Was Wunder auch, wenn bei einer so
wenig individuellen Art der Eheschließung sich das
Zusammenleben häufig als unmöglich erweist, so daß es
schließlich zur Ehescheidung kommt!

Dazu haben Konfuzius und seine Nachtreter die
Ehescheidung gar zu leicht gemacht. Während sie der
Frau ein Recht, sich scheiden zu lassen, überhaupt nicht
zugestehen, mag der Mann ganz nach Belieben eine
Trennung herbeiführen. Zwar hat er nach den Gesetzen
der Moral -- um bürgerliches Recht handelt es sich
dabei überhaupt nicht -- nur um sieben Ursachen willen
Gewalt, seine Frau zu entlassen, nämlich wegen Un-
gehorsams, Kinderlosigkeit, Ehebruch, Eifersucht, Aus-
satzes und anderer unheilbarer Krankheit, Klatscherei
und Hanges zum Stehlen. Aber das heißt ja doch
nichts anderes, als das arme Weib auf Gnade und
Ungnade in die Hand des Gatten, und zwar des gewissen-
losen nicht minder als des wohlmeinenden, zu geben.
Daß es hier Leute giebt, wie es deren in der ganzen
Welt geben würde, welche von einem solchen bequemen

wochen die ſchönſten ſind, da in dem engen Neben-
einander die Charaktere der Neuvermählten aufeinander-
ſtoßen, ſo iſt das in Japan, wo es zuvor an jeder
Gelegenheit fehlte, ſich aneinander abzuſchleifen, noch
viel mehr der Fall. Zumal die Lage der jungen Frau,
die ſich plötzlich in eine ganz fremde Umgebung verſetzt
ſieht und ängſtlich beſtrebt ſein muß, ihrem Manne und
— was noch ſchwerer iſt — ihren Schwiegereltern zu
gefallen, iſt keineswegs beneidenswert. Was Wunder,
wenn ſie bei ihrem erſten Beſuch in ihrer elterlichen
Wohnung, welcher der Sitte gemäß am dritten oder
ſiebenten Tage ſtattfindet, oft nicht wieder oder doch
nur ſchwer zu bewegen iſt, in das Haus ihres Mannes
zurückzukehren! Was Wunder auch, wenn bei einer ſo
wenig individuellen Art der Eheſchließung ſich das
Zuſammenleben häufig als unmöglich erweiſt, ſo daß es
ſchließlich zur Eheſcheidung kommt!

Dazu haben Konfuzius und ſeine Nachtreter die
Eheſcheidung gar zu leicht gemacht. Während ſie der
Frau ein Recht, ſich ſcheiden zu laſſen, überhaupt nicht
zugeſtehen, mag der Mann ganz nach Belieben eine
Trennung herbeiführen. Zwar hat er nach den Geſetzen
der Moral — um bürgerliches Recht handelt es ſich
dabei überhaupt nicht — nur um ſieben Urſachen willen
Gewalt, ſeine Frau zu entlaſſen, nämlich wegen Un-
gehorſams, Kinderloſigkeit, Ehebruch, Eiferſucht, Aus-
ſatzes und anderer unheilbarer Krankheit, Klatſcherei
und Hanges zum Stehlen. Aber das heißt ja doch
nichts anderes, als das arme Weib auf Gnade und
Ungnade in die Hand des Gatten, und zwar des gewiſſen-
loſen nicht minder als des wohlmeinenden, zu geben.
Daß es hier Leute giebt, wie es deren in der ganzen
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[133/0147] wochen die ſchönſten ſind, da in dem engen Neben- einander die Charaktere der Neuvermählten aufeinander- ſtoßen, ſo iſt das in Japan, wo es zuvor an jeder Gelegenheit fehlte, ſich aneinander abzuſchleifen, noch viel mehr der Fall. Zumal die Lage der jungen Frau, die ſich plötzlich in eine ganz fremde Umgebung verſetzt ſieht und ängſtlich beſtrebt ſein muß, ihrem Manne und — was noch ſchwerer iſt — ihren Schwiegereltern zu gefallen, iſt keineswegs beneidenswert. Was Wunder, wenn ſie bei ihrem erſten Beſuch in ihrer elterlichen Wohnung, welcher der Sitte gemäß am dritten oder ſiebenten Tage ſtattfindet, oft nicht wieder oder doch nur ſchwer zu bewegen iſt, in das Haus ihres Mannes zurückzukehren! Was Wunder auch, wenn bei einer ſo wenig individuellen Art der Eheſchließung ſich das Zuſammenleben häufig als unmöglich erweiſt, ſo daß es ſchließlich zur Eheſcheidung kommt! Dazu haben Konfuzius und ſeine Nachtreter die Eheſcheidung gar zu leicht gemacht. Während ſie der Frau ein Recht, ſich ſcheiden zu laſſen, überhaupt nicht zugeſtehen, mag der Mann ganz nach Belieben eine Trennung herbeiführen. Zwar hat er nach den Geſetzen der Moral — um bürgerliches Recht handelt es ſich dabei überhaupt nicht — nur um ſieben Urſachen willen Gewalt, ſeine Frau zu entlaſſen, nämlich wegen Un- gehorſams, Kinderloſigkeit, Ehebruch, Eiferſucht, Aus- ſatzes und anderer unheilbarer Krankheit, Klatſcherei und Hanges zum Stehlen. Aber das heißt ja doch nichts anderes, als das arme Weib auf Gnade und Ungnade in die Hand des Gatten, und zwar des gewiſſen- loſen nicht minder als des wohlmeinenden, zu geben. Daß es hier Leute giebt, wie es deren in der ganzen Welt geben würde, welche von einem ſolchen bequemen

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/147>, abgerufen am 22.11.2024.