I. Die äußere Lebensführung eines Missionars in Japan.
Was ist ein Missionar? Unter der heißen Sonne Afrikas wandert im Wüstenstaube einsam ein bärtiger Mann. Aus der Ferne winken die Hütten eines Negerdorfes, im Schatten liegen die Bewohner. Dahin richtet der Mann seine Schritte. Man bemerkt ihn, sein weißes Gesicht erregt die Neugier, das ganze Dorf kommt in Bewegung. Auf einem freien Platze macht der weiße Mann halt, jung und alt strömt dahin zusammen, und er fängt an zu predigen. Er bleibt die Nacht über da, vielleicht, wenn man ihm freundlich begegnet, auch noch ein paar Tage länger; dann aber schüttelt er den Staub von seinen Füßen und beginnt aufs neue seine Wanderung. Unterwegs überholt er eine Karawane. Er ist froh, sich anschließen zu dürfen; denn zur Rechten haust ein räuberischer Volksstamm und zur Linken ist man nicht sicher vor den Tieren der Wild- nis. Er benutzt die Gelegenheit, um seinen Begleitern von Jesus zu erzählen, und bei seinem Abschied be- schenkt er sie mit christlichen Traktaten.
Das ist so ungefähr das Bild, welches man immer noch in weiten Kreisen bei einem Missionar im Auge hat: Ein Mann, welcher, beständiger Lebensgefahr aus- gesetzt, gequält von Hunger und Durst, geplagt von Wind und Wetter, bedroht von menschlichen Feinden,
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I. Die äußere Lebensführung eines Miſſionars in Japan.
Was iſt ein Miſſionar? Unter der heißen Sonne Afrikas wandert im Wüſtenſtaube einſam ein bärtiger Mann. Aus der Ferne winken die Hütten eines Negerdorfes, im Schatten liegen die Bewohner. Dahin richtet der Mann ſeine Schritte. Man bemerkt ihn, ſein weißes Geſicht erregt die Neugier, das ganze Dorf kommt in Bewegung. Auf einem freien Platze macht der weiße Mann halt, jung und alt ſtrömt dahin zuſammen, und er fängt an zu predigen. Er bleibt die Nacht über da, vielleicht, wenn man ihm freundlich begegnet, auch noch ein paar Tage länger; dann aber ſchüttelt er den Staub von ſeinen Füßen und beginnt aufs neue ſeine Wanderung. Unterwegs überholt er eine Karawane. Er iſt froh, ſich anſchließen zu dürfen; denn zur Rechten hauſt ein räuberiſcher Volksſtamm und zur Linken iſt man nicht ſicher vor den Tieren der Wild- nis. Er benutzt die Gelegenheit, um ſeinen Begleitern von Jeſus zu erzählen, und bei ſeinem Abſchied be- ſchenkt er ſie mit chriſtlichen Traktaten.
Das iſt ſo ungefähr das Bild, welches man immer noch in weiten Kreiſen bei einem Miſſionar im Auge hat: Ein Mann, welcher, beſtändiger Lebensgefahr aus- geſetzt, gequält von Hunger und Durſt, geplagt von Wind und Wetter, bedroht von menſchlichen Feinden,
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I. Die äußere Lebensführung eines Miſſionars
in Japan.
Was iſt ein Miſſionar? Unter der heißen
Sonne Afrikas wandert im Wüſtenſtaube
einſam ein bärtiger Mann. Aus der Ferne
winken die Hütten eines Negerdorfes, im Schatten liegen
die Bewohner. Dahin richtet der Mann ſeine Schritte.
Man bemerkt ihn, ſein weißes Geſicht erregt die Neugier,
das ganze Dorf kommt in Bewegung. Auf einem freien
Platze macht der weiße Mann halt, jung und alt ſtrömt
dahin zuſammen, und er fängt an zu predigen. Er bleibt
die Nacht über da, vielleicht, wenn man ihm freundlich
begegnet, auch noch ein paar Tage länger; dann aber
ſchüttelt er den Staub von ſeinen Füßen und beginnt
aufs neue ſeine Wanderung. Unterwegs überholt er eine
Karawane. Er iſt froh, ſich anſchließen zu dürfen; denn
zur Rechten hauſt ein räuberiſcher Volksſtamm und zur
Linken iſt man nicht ſicher vor den Tieren der Wild-
nis. Er benutzt die Gelegenheit, um ſeinen Begleitern
von Jeſus zu erzählen, und bei ſeinem Abſchied be-
ſchenkt er ſie mit chriſtlichen Traktaten.
Das iſt ſo ungefähr das Bild, welches man immer
noch in weiten Kreiſen bei einem Miſſionar im Auge
hat: Ein Mann, welcher, beſtändiger Lebensgefahr aus-
geſetzt, gequält von Hunger und Durſt, geplagt von
Wind und Wetter, bedroht von menſchlichen Feinden,
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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/15>, abgerufen am 21.11.2024.
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