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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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bereitete er noch seinem hotoke das Opfer, (welches
auch hier wie im Schintoismus aus der alltäglichen
Speise des Volks besteht), und nachdem er den Lehr-
ling ermahnt hatte, gut auf alles zu achten, ging er
davon. Kaum aber war er aus den Augen, da setzte
sich der Lehrling nieder und aß das Opfer auf. Mit
einem Rest von Reis aber beschmierte er dem Götzen
den Mund. Am Abend kam der Herr ermüdet von
seinem Gange zurück und wollte sich nun in Ruhe das
Opfer gut schmecken lassen, das er am Morgen dem
hotoke vorgesetzt hatte. Als er aber dem Lehrling
befahl, dasselbe zu bringen, erklärte dieser, es sei nicht
mehr da, der Götze habe es aufgegessen. Der Priester
lachte: "Mein hotoke hat noch nie etwas gegessen, und
er kann auch nichts essen". Statt jeglicher Antwort
führte ihn der Lehrling zu dem Götzen hin und zeigte
ihm die Reisspuren an seinem Mund. Der Priester
wollte erst seinen Augen nicht trauen, dann aber geriet
er in Zorn, wütend faßte er den hotoke am Kopf und
schrie: "So! gegeben hast du mir noch nie etwas und
nun fängst du auch noch an zu essen!" Sprachs und
warf ihn zu Boden.

Für wahr habe ich die Geschichte nie gehalten.
Es war eben Geflunker von seiten meines Nachbars wie
sein übriges Geschwätz auch; aber es ist doch bezeichnend
im Munde eines Priesters, und die Bezeichnung frivol
ist wohl noch gelind für dasselbe. Wie tief ihm
übrigens sein Freidenkertum, mit dem er beständig
prahlte, ging, davon konnte ich mich jeden Abend über-
zeugen. Denn wenn er sich gegen zehn Uhr von mir
verabschiedete, hörte ich jedesmal kurz darauf ein drei-
maliges Händeklatschen: Mein Priester verrichtete vor
seinem hotoke eine letzte Andacht.

bereitete er noch ſeinem hotoke das Opfer, (welches
auch hier wie im Schintoismus aus der alltäglichen
Speiſe des Volks beſteht), und nachdem er den Lehr-
ling ermahnt hatte, gut auf alles zu achten, ging er
davon. Kaum aber war er aus den Augen, da ſetzte
ſich der Lehrling nieder und aß das Opfer auf. Mit
einem Reſt von Reis aber beſchmierte er dem Götzen
den Mund. Am Abend kam der Herr ermüdet von
ſeinem Gange zurück und wollte ſich nun in Ruhe das
Opfer gut ſchmecken laſſen, das er am Morgen dem
hotoke vorgeſetzt hatte. Als er aber dem Lehrling
befahl, dasſelbe zu bringen, erklärte dieſer, es ſei nicht
mehr da, der Götze habe es aufgegeſſen. Der Prieſter
lachte: „Mein hotoke hat noch nie etwas gegeſſen, und
er kann auch nichts eſſen“. Statt jeglicher Antwort
führte ihn der Lehrling zu dem Götzen hin und zeigte
ihm die Reisſpuren an ſeinem Mund. Der Prieſter
wollte erſt ſeinen Augen nicht trauen, dann aber geriet
er in Zorn, wütend faßte er den hotoke am Kopf und
ſchrie: „So! gegeben haſt du mir noch nie etwas und
nun fängſt du auch noch an zu eſſen!“ Sprachs und
warf ihn zu Boden.

Für wahr habe ich die Geſchichte nie gehalten.
Es war eben Geflunker von ſeiten meines Nachbars wie
ſein übriges Geſchwätz auch; aber es iſt doch bezeichnend
im Munde eines Prieſters, und die Bezeichnung frivol
iſt wohl noch gelind für dasſelbe. Wie tief ihm
übrigens ſein Freidenkertum, mit dem er beſtändig
prahlte, ging, davon konnte ich mich jeden Abend über-
zeugen. Denn wenn er ſich gegen zehn Uhr von mir
verabſchiedete, hörte ich jedesmal kurz darauf ein drei-
maliges Händeklatſchen: Mein Prieſter verrichtete vor
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[255/0269] bereitete er noch ſeinem hotoke das Opfer, (welches auch hier wie im Schintoismus aus der alltäglichen Speiſe des Volks beſteht), und nachdem er den Lehr- ling ermahnt hatte, gut auf alles zu achten, ging er davon. Kaum aber war er aus den Augen, da ſetzte ſich der Lehrling nieder und aß das Opfer auf. Mit einem Reſt von Reis aber beſchmierte er dem Götzen den Mund. Am Abend kam der Herr ermüdet von ſeinem Gange zurück und wollte ſich nun in Ruhe das Opfer gut ſchmecken laſſen, das er am Morgen dem hotoke vorgeſetzt hatte. Als er aber dem Lehrling befahl, dasſelbe zu bringen, erklärte dieſer, es ſei nicht mehr da, der Götze habe es aufgegeſſen. Der Prieſter lachte: „Mein hotoke hat noch nie etwas gegeſſen, und er kann auch nichts eſſen“. Statt jeglicher Antwort führte ihn der Lehrling zu dem Götzen hin und zeigte ihm die Reisſpuren an ſeinem Mund. Der Prieſter wollte erſt ſeinen Augen nicht trauen, dann aber geriet er in Zorn, wütend faßte er den hotoke am Kopf und ſchrie: „So! gegeben haſt du mir noch nie etwas und nun fängſt du auch noch an zu eſſen!“ Sprachs und warf ihn zu Boden. Für wahr habe ich die Geſchichte nie gehalten. Es war eben Geflunker von ſeiten meines Nachbars wie ſein übriges Geſchwätz auch; aber es iſt doch bezeichnend im Munde eines Prieſters, und die Bezeichnung frivol iſt wohl noch gelind für dasſelbe. Wie tief ihm übrigens ſein Freidenkertum, mit dem er beſtändig prahlte, ging, davon konnte ich mich jeden Abend über- zeugen. Denn wenn er ſich gegen zehn Uhr von mir verabſchiedete, hörte ich jedesmal kurz darauf ein drei- maliges Händeklatſchen: Mein Prieſter verrichtete vor ſeinem hotoke eine letzte Andacht.

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/269>, abgerufen am 02.06.2024.