Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

länder auf ihrem Programm stehen. Aber bald schon
erkannte man, daß die neue Periode Meiji (die er-
leuchtete) nicht im Kampf wider die moderne Kultur,
sondern nur im Bunde mit ihr ihrem Namen Ehre
machen könne. Dazu erwarben sich, wie überall so auch
hier, die Christen gerade durch ihr Märtyrertum viele
Sympathien. Viele Gebildete nahmen sich großmütig
und ritterlich der Sache der Bedrückten an und sahen
in ihrer Maßregelung eine grausame und unwürdige
Barbarei. Die Stimmen für Duldung wurden immer
allgemeiner und drangen zu den Ohren der Behörden.
Man ließ allmählich den Verkauf christlicher Bücher und
Traktate stillschweigend zu, man benutzte die Missionare
als Lehrer, und selbst gegenüber der religiösen Propa-
ganda derselben begann man ein Auge zuzudrücken.
So konnte es geschehen, daß schon im Jahre 1872 zu
einer Zeit, wo die Gesetze wider das Christentum noch
bestanden, die erste Christengemeinde zu Yokohama ent-
stand. Sie zählte ursprünglich nur neun Mitglieder,
ihr Stifter ist Ballagh (D. R.). Heute ist die Kaigan
Kyokwai (Strandkirche), wie man sie nach ihrer Lage
nannte, die stärkste Gemeinde Japans.

Einmal in aufsteigender Linie begriffen wuchs die
Stimmung für das Christentum mit großer Schnellig-
keit. Im Jahre 1871 hatte die Regierung unter
Führung Iwakuras, des Ministers des Auswärtigen,
eine Gesandtschaft nach Amerika und Europa geschickt,
welche eine Revision der Handelsverträge anstreben und
gleichzeitig die Kultur des Abendlandes studieren sollte.
Dieselbe hatte täglich Gelegenheit, das Christentum,
welches in Japan so unscheinbar auftrat, in den Län-
dern seiner Heimat als eine große Macht kennen zu
lernen, und in ihren Berichten nach Hause machten sie

länder auf ihrem Programm ſtehen. Aber bald ſchon
erkannte man, daß die neue Periode Meiji (die er-
leuchtete) nicht im Kampf wider die moderne Kultur,
ſondern nur im Bunde mit ihr ihrem Namen Ehre
machen könne. Dazu erwarben ſich, wie überall ſo auch
hier, die Chriſten gerade durch ihr Märtyrertum viele
Sympathien. Viele Gebildete nahmen ſich großmütig
und ritterlich der Sache der Bedrückten an und ſahen
in ihrer Maßregelung eine grauſame und unwürdige
Barbarei. Die Stimmen für Duldung wurden immer
allgemeiner und drangen zu den Ohren der Behörden.
Man ließ allmählich den Verkauf chriſtlicher Bücher und
Traktate ſtillſchweigend zu, man benutzte die Miſſionare
als Lehrer, und ſelbſt gegenüber der religiöſen Propa-
ganda derſelben begann man ein Auge zuzudrücken.
So konnte es geſchehen, daß ſchon im Jahre 1872 zu
einer Zeit, wo die Geſetze wider das Chriſtentum noch
beſtanden, die erſte Chriſtengemeinde zu Yokohama ent-
ſtand. Sie zählte urſprünglich nur neun Mitglieder,
ihr Stifter iſt Ballagh (D. R.). Heute iſt die Kaigan
Kyokwai (Strandkirche), wie man ſie nach ihrer Lage
nannte, die ſtärkſte Gemeinde Japans.

Einmal in aufſteigender Linie begriffen wuchs die
Stimmung für das Chriſtentum mit großer Schnellig-
keit. Im Jahre 1871 hatte die Regierung unter
Führung Iwakuras, des Miniſters des Auswärtigen,
eine Geſandtſchaft nach Amerika und Europa geſchickt,
welche eine Reviſion der Handelsverträge anſtreben und
gleichzeitig die Kultur des Abendlandes ſtudieren ſollte.
Dieſelbe hatte täglich Gelegenheit, das Chriſtentum,
welches in Japan ſo unſcheinbar auftrat, in den Län-
dern ſeiner Heimat als eine große Macht kennen zu
lernen, und in ihren Berichten nach Hauſe machten ſie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0282" n="268"/>
länder auf ihrem Programm &#x017F;tehen. Aber bald &#x017F;chon<lb/>
erkannte man, daß die neue Periode Meiji (die er-<lb/>
leuchtete) nicht im Kampf wider die moderne Kultur,<lb/>
&#x017F;ondern nur im Bunde mit ihr ihrem Namen Ehre<lb/>
machen könne. Dazu erwarben &#x017F;ich, wie überall &#x017F;o auch<lb/>
hier, die Chri&#x017F;ten gerade durch ihr Märtyrertum viele<lb/>
Sympathien. Viele Gebildete nahmen &#x017F;ich großmütig<lb/>
und ritterlich der Sache der Bedrückten an und &#x017F;ahen<lb/>
in ihrer Maßregelung eine grau&#x017F;ame und unwürdige<lb/>
Barbarei. Die Stimmen für Duldung wurden immer<lb/>
allgemeiner und drangen zu den Ohren der Behörden.<lb/>
Man ließ allmählich den Verkauf chri&#x017F;tlicher Bücher und<lb/>
Traktate &#x017F;till&#x017F;chweigend zu, man benutzte die Mi&#x017F;&#x017F;ionare<lb/>
als Lehrer, und &#x017F;elb&#x017F;t gegenüber der religiö&#x017F;en Propa-<lb/>
ganda der&#x017F;elben begann man ein Auge zuzudrücken.<lb/>
So konnte es ge&#x017F;chehen, daß &#x017F;chon im Jahre 1872 zu<lb/>
einer Zeit, wo die Ge&#x017F;etze wider das Chri&#x017F;tentum noch<lb/>
be&#x017F;tanden, die er&#x017F;te Chri&#x017F;tengemeinde zu Yokohama ent-<lb/>
&#x017F;tand. Sie zählte ur&#x017F;prünglich nur neun Mitglieder,<lb/>
ihr Stifter i&#x017F;t Ballagh <hi rendition="#aq">(D. R.).</hi> Heute i&#x017F;t die Kaigan<lb/>
Kyokwai (Strandkirche), wie man &#x017F;ie nach ihrer Lage<lb/>
nannte, die &#x017F;tärk&#x017F;te Gemeinde Japans.</p><lb/>
        <p>Einmal in auf&#x017F;teigender Linie begriffen wuchs die<lb/>
Stimmung für das Chri&#x017F;tentum mit großer Schnellig-<lb/>
keit. Im Jahre 1871 hatte die Regierung unter<lb/>
Führung Iwakuras, des Mini&#x017F;ters des Auswärtigen,<lb/>
eine Ge&#x017F;andt&#x017F;chaft nach Amerika und Europa ge&#x017F;chickt,<lb/>
welche eine Revi&#x017F;ion der Handelsverträge an&#x017F;treben und<lb/>
gleichzeitig die Kultur des Abendlandes &#x017F;tudieren &#x017F;ollte.<lb/>
Die&#x017F;elbe hatte täglich Gelegenheit, das Chri&#x017F;tentum,<lb/>
welches in Japan &#x017F;o un&#x017F;cheinbar auftrat, in den Län-<lb/>
dern &#x017F;einer Heimat als eine große Macht kennen zu<lb/>
lernen, und in ihren Berichten nach Hau&#x017F;e machten &#x017F;ie<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[268/0282] länder auf ihrem Programm ſtehen. Aber bald ſchon erkannte man, daß die neue Periode Meiji (die er- leuchtete) nicht im Kampf wider die moderne Kultur, ſondern nur im Bunde mit ihr ihrem Namen Ehre machen könne. Dazu erwarben ſich, wie überall ſo auch hier, die Chriſten gerade durch ihr Märtyrertum viele Sympathien. Viele Gebildete nahmen ſich großmütig und ritterlich der Sache der Bedrückten an und ſahen in ihrer Maßregelung eine grauſame und unwürdige Barbarei. Die Stimmen für Duldung wurden immer allgemeiner und drangen zu den Ohren der Behörden. Man ließ allmählich den Verkauf chriſtlicher Bücher und Traktate ſtillſchweigend zu, man benutzte die Miſſionare als Lehrer, und ſelbſt gegenüber der religiöſen Propa- ganda derſelben begann man ein Auge zuzudrücken. So konnte es geſchehen, daß ſchon im Jahre 1872 zu einer Zeit, wo die Geſetze wider das Chriſtentum noch beſtanden, die erſte Chriſtengemeinde zu Yokohama ent- ſtand. Sie zählte urſprünglich nur neun Mitglieder, ihr Stifter iſt Ballagh (D. R.). Heute iſt die Kaigan Kyokwai (Strandkirche), wie man ſie nach ihrer Lage nannte, die ſtärkſte Gemeinde Japans. Einmal in aufſteigender Linie begriffen wuchs die Stimmung für das Chriſtentum mit großer Schnellig- keit. Im Jahre 1871 hatte die Regierung unter Führung Iwakuras, des Miniſters des Auswärtigen, eine Geſandtſchaft nach Amerika und Europa geſchickt, welche eine Reviſion der Handelsverträge anſtreben und gleichzeitig die Kultur des Abendlandes ſtudieren ſollte. Dieſelbe hatte täglich Gelegenheit, das Chriſtentum, welches in Japan ſo unſcheinbar auftrat, in den Län- dern ſeiner Heimat als eine große Macht kennen zu lernen, und in ihren Berichten nach Hauſe machten ſie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/282
Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/282>, abgerufen am 02.06.2024.