sich sogar bis auf den Rundtanz erstreckt, trotzdem er dem ästhetischen Gefühl des Japaners der Inbegriff des Abscheulichen ist; jetzt aber hörte auch das auf.
Auch die Personen der Abendländer wurden un- beliebt. Man sah sie nicht mehr gern in Regierungs- stellungen und beschnitt ihre Zahl so viel als möglich. Ausschreitungen von seiten von Studenten und Kuli kamen wieder vor, und die Attentate auf den Czarevitsch und Li Hung Chang sind weiter nichts als die Aus- brüche einer tiefgehenden Abneigung gegen die Fremden. Als der Krieg mit China kam (1894), glaubte man, die Stimmung werde sich entladen und normale Zustände zurückkehren. Das Gegenteil war der Fall. Über den Erfolgen wuchs das Selbstgefühl, und als am Schlusse der ostasiatische Dreibund, Rußland, Frankreich und Deutschland, die japanische Regierung zum Verzicht auf die Liaotung-Halbinsel zwangen, wurde die Abneigung gegen die Fremden schärfer als zuvor. Selbst der zuerst mit England erfolgte Abschluß der Handelsverträge (1894), welche für Japan überaus ehrenvoll sind, konnte die Volksstimmung nicht freundlicher gestalten; auch sie bewirkten nur eine Steigerung des Selbstgefühls. Nach dem Kriege nahmen Handel und Industrie einen unge- heuren Aufschwung und traten gleichfalls beherrschend in den Interessenkreis des Volks. Dazu war durch Formosa und Korea dafür gesorgt, dem neuigkeitssüchtigen Volke beständige aufregende Unterhaltung zu bieten, und die Stimmung wurde natürlich nicht besser, als die Westmächte an die Aufteilung von China gingen und Japan aus dem schönen Traume herausrissen, als gehöre ihm allein der Osten Asiens.
In erhöhtem Maße wandte sich die Abneigung gegen das Christentum. Es ist wie eine Ironie, daß gerade in dem Augenblick, da dem Christentum durch
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ſich ſogar bis auf den Rundtanz erſtreckt, trotzdem er dem äſthetiſchen Gefühl des Japaners der Inbegriff des Abſcheulichen iſt; jetzt aber hörte auch das auf.
Auch die Perſonen der Abendländer wurden un- beliebt. Man ſah ſie nicht mehr gern in Regierungs- ſtellungen und beſchnitt ihre Zahl ſo viel als möglich. Ausſchreitungen von ſeiten von Studenten und Kuli kamen wieder vor, und die Attentate auf den Czarevitſch und Li Hung Chang ſind weiter nichts als die Aus- brüche einer tiefgehenden Abneigung gegen die Fremden. Als der Krieg mit China kam (1894), glaubte man, die Stimmung werde ſich entladen und normale Zuſtände zurückkehren. Das Gegenteil war der Fall. Über den Erfolgen wuchs das Selbſtgefühl, und als am Schluſſe der oſtaſiatiſche Dreibund, Rußland, Frankreich und Deutſchland, die japaniſche Regierung zum Verzicht auf die Liaotung-Halbinſel zwangen, wurde die Abneigung gegen die Fremden ſchärfer als zuvor. Selbſt der zuerſt mit England erfolgte Abſchluß der Handelsverträge (1894), welche für Japan überaus ehrenvoll ſind, konnte die Volksſtimmung nicht freundlicher geſtalten; auch ſie bewirkten nur eine Steigerung des Selbſtgefühls. Nach dem Kriege nahmen Handel und Induſtrie einen unge- heuren Aufſchwung und traten gleichfalls beherrſchend in den Intereſſenkreis des Volks. Dazu war durch Formoſa und Korea dafür geſorgt, dem neuigkeitsſüchtigen Volke beſtändige aufregende Unterhaltung zu bieten, und die Stimmung wurde natürlich nicht beſſer, als die Weſtmächte an die Aufteilung von China gingen und Japan aus dem ſchönen Traume herausriſſen, als gehöre ihm allein der Oſten Aſiens.
In erhöhtem Maße wandte ſich die Abneigung gegen das Chriſtentum. Es iſt wie eine Ironie, daß gerade in dem Augenblick, da dem Chriſtentum durch
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ſich ſogar bis auf den Rundtanz erſtreckt, trotzdem er
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Abſcheulichen iſt; jetzt aber hörte auch das auf.
Auch die Perſonen der Abendländer wurden un-
beliebt. Man ſah ſie nicht mehr gern in Regierungs-
ſtellungen und beſchnitt ihre Zahl ſo viel als möglich.
Ausſchreitungen von ſeiten von Studenten und Kuli
kamen wieder vor, und die Attentate auf den Czarevitſch
und Li Hung Chang ſind weiter nichts als die Aus-
brüche einer tiefgehenden Abneigung gegen die Fremden.
Als der Krieg mit China kam (1894), glaubte man, die
Stimmung werde ſich entladen und normale Zuſtände
zurückkehren. Das Gegenteil war der Fall. Über den
Erfolgen wuchs das Selbſtgefühl, und als am Schluſſe
der oſtaſiatiſche Dreibund, Rußland, Frankreich und
Deutſchland, die japaniſche Regierung zum Verzicht auf
die Liaotung-Halbinſel zwangen, wurde die Abneigung
gegen die Fremden ſchärfer als zuvor. Selbſt der zuerſt
mit England erfolgte Abſchluß der Handelsverträge
(1894), welche für Japan überaus ehrenvoll ſind, konnte
die Volksſtimmung nicht freundlicher geſtalten; auch ſie
bewirkten nur eine Steigerung des Selbſtgefühls. Nach
dem Kriege nahmen Handel und Induſtrie einen unge-
heuren Aufſchwung und traten gleichfalls beherrſchend
in den Intereſſenkreis des Volks. Dazu war durch
Formoſa und Korea dafür geſorgt, dem neuigkeitsſüchtigen
Volke beſtändige aufregende Unterhaltung zu bieten, und
die Stimmung wurde natürlich nicht beſſer, als die
Weſtmächte an die Aufteilung von China gingen und
Japan aus dem ſchönen Traume herausriſſen, als gehöre
ihm allein der Oſten Aſiens.
In erhöhtem Maße wandte ſich die Abneigung
gegen das Chriſtentum. Es iſt wie eine Ironie, daß
gerade in dem Augenblick, da dem Chriſtentum durch
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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/305>, abgerufen am 22.11.2024.
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