geschichtlichen Verhältnissen begriffen sein. Jedenfalls gehörten Männer wie Nikodemus und Paulus den oberen und gebildeten Kreisen an, und unbestreitbar bleibt, daß der gebildete Konvertit Paulus dem Christen- tum zu unendlich viel größerem Segen wurde als alle die Menschenfischer von Kapernaum zusammen. Soll man die Gewinnung, auch die systematische, solcher Elemente mißbilligen? Die beiden Methoden müssen sich notwendig ergänzen. Denn es gilt, ebensowohl Bresche zu legen in den Buddhismus als in den Kon- fuzianismus. Jenes aber geschieht durch die Arbeit an den unteren, dieses durch die Arbeit an den oberen Klassen des Volks. Die christliche Arbeit in den Sonntagsschulen und in den Freischulen ist so recht ein Missionieren von unten herauf. Hier dringt die Mission in die dem Buddhismus nahestehenden Kreise ein. Das Material dagegen, welches die Gemeinden aus den höheren Schulen beziehen, gehört fast durch- weg den von konfuzianischem Geiste durchdrungenen ein- flußreichen Klassen und zwar vorzugsweise dem ehe- maligen Samuraistande an. Es ist keine übertriebene Schätzung, wenn ich sage, daß mehr denn ein Drittel aller evangelischen Christen aus der alten Samurai- kaste hervorgegangen ist, welche ihrerseits nur etwa fünf Prozent der Gesamtbevölkerung ausmacht. Schon mehr als einmal hatten Christen Stühle von Ministern und Vizeministern inne, während der lang- jährige Präsident des Reichsgerichts und mehrere Richter des obersten Gerichtshofs Christen sind. Ebenso gehört ein nicht geringer Prozentsatz des übrigen Be- amtentums, einschließlich von Professoren der Universität und bedeutender Ärzte, dem evangelischen Bekenntnis an, während die Zahl der Christen im Parlament eine
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geſchichtlichen Verhältniſſen begriffen ſein. Jedenfalls gehörten Männer wie Nikodemus und Paulus den oberen und gebildeten Kreiſen an, und unbeſtreitbar bleibt, daß der gebildete Konvertit Paulus dem Chriſten- tum zu unendlich viel größerem Segen wurde als alle die Menſchenfiſcher von Kapernaum zuſammen. Soll man die Gewinnung, auch die ſyſtematiſche, ſolcher Elemente mißbilligen? Die beiden Methoden müſſen ſich notwendig ergänzen. Denn es gilt, ebenſowohl Breſche zu legen in den Buddhismus als in den Kon- fuzianismus. Jenes aber geſchieht durch die Arbeit an den unteren, dieſes durch die Arbeit an den oberen Klaſſen des Volks. Die chriſtliche Arbeit in den Sonntagsſchulen und in den Freiſchulen iſt ſo recht ein Miſſionieren von unten herauf. Hier dringt die Miſſion in die dem Buddhismus naheſtehenden Kreiſe ein. Das Material dagegen, welches die Gemeinden aus den höheren Schulen beziehen, gehört faſt durch- weg den von konfuzianiſchem Geiſte durchdrungenen ein- flußreichen Klaſſen und zwar vorzugsweiſe dem ehe- maligen Samuraiſtande an. Es iſt keine übertriebene Schätzung, wenn ich ſage, daß mehr denn ein Drittel aller evangeliſchen Chriſten aus der alten Samurai- kaſte hervorgegangen iſt, welche ihrerſeits nur etwa fünf Prozent der Geſamtbevölkerung ausmacht. Schon mehr als einmal hatten Chriſten Stühle von Miniſtern und Vizeminiſtern inne, während der lang- jährige Präſident des Reichsgerichts und mehrere Richter des oberſten Gerichtshofs Chriſten ſind. Ebenſo gehört ein nicht geringer Prozentſatz des übrigen Be- amtentums, einſchließlich von Profeſſoren der Univerſität und bedeutender Ärzte, dem evangeliſchen Bekenntnis an, während die Zahl der Chriſten im Parlament eine
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geſchichtlichen Verhältniſſen begriffen ſein. Jedenfalls
gehörten Männer wie Nikodemus und Paulus den
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bleibt, daß der gebildete Konvertit Paulus dem Chriſten-
tum zu unendlich viel größerem Segen wurde als alle
die Menſchenfiſcher von Kapernaum zuſammen. Soll
man die Gewinnung, auch die ſyſtematiſche, ſolcher
Elemente mißbilligen? Die beiden Methoden müſſen
ſich notwendig ergänzen. Denn es gilt, ebenſowohl
Breſche zu legen in den Buddhismus als in den Kon-
fuzianismus. Jenes aber geſchieht durch die Arbeit
an den unteren, dieſes durch die Arbeit an den oberen
Klaſſen des Volks. Die chriſtliche Arbeit in den
Sonntagsſchulen und in den Freiſchulen iſt ſo recht
ein Miſſionieren von unten herauf. Hier dringt die
Miſſion in die dem Buddhismus naheſtehenden Kreiſe
ein. Das Material dagegen, welches die Gemeinden
aus den höheren Schulen beziehen, gehört faſt durch-
weg den von konfuzianiſchem Geiſte durchdrungenen ein-
flußreichen Klaſſen und zwar vorzugsweiſe dem ehe-
maligen Samuraiſtande an. Es iſt keine übertriebene
Schätzung, wenn ich ſage, daß mehr denn ein Drittel
aller evangeliſchen Chriſten aus der alten Samurai-
kaſte hervorgegangen iſt, welche ihrerſeits nur
etwa fünf Prozent der Geſamtbevölkerung ausmacht.
Schon mehr als einmal hatten Chriſten Stühle von
Miniſtern und Vizeminiſtern inne, während der lang-
jährige Präſident des Reichsgerichts und mehrere
Richter des oberſten Gerichtshofs Chriſten ſind. Ebenſo
gehört ein nicht geringer Prozentſatz des übrigen Be-
amtentums, einſchließlich von Profeſſoren der Univerſität
und bedeutender Ärzte, dem evangeliſchen Bekenntnis
an, während die Zahl der Chriſten im Parlament eine
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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/351>, abgerufen am 22.11.2024.
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