erteile. Kaum war ich daher mit meiner Familie zum letzten kurzen Aufenthalt in Kyoto angekommen, als uns auch schon das glückliche Ehepaar am Bahnhofe begrüßte und mich für den folgenden Tag zu der heili- gen Handlung einlud. Früh um neun traf ich dann zur bestimmten Zeit an dem freundlichen Häuschen ein, zog meine Schuhe von den Füßen und schlüpfte gebückt durch die niedere Gitterthür. Die ganze Familie meines Freundes war im Festgewande versammelt. Seine Mutter und Großmutter, die Mutter seiner Frau, seine Geschwister, die Gattin eines befreundeten amerikanischen Missionars, welche die Stelle der Taufzeugin vertreten sollte, wir alle knieten nach japanischer Sitte auf den Strohmatten nieder. Die Thür zum Garten war ge- öffnet, die Sonne schien freundlich durch die Bambus- zweige herein, als wollte sie unser Werk segnen. Ich erzählte von früheren Zeiten, wie wir unseren Freund- schaftsbund schlossen, wie wir ihn bestärkt und gefördert hatten im gegenseitigen Lehren und Lernen und Auf- blicken zu unserem Heiland, und wie mein Freund seine Braut in dem gemeinsamen Streben nach christlicher Erleuchtung und christlichem Wandel gefunden habe. Dann mahnte ich die beiden, treu zu einander und zu Christus zu halten, bis der Tod sie scheide, und sprach die Taufformel: "Ware nanji ni baptesma wo hodo- koshite, chichi to ko to seirei no na ni iru". Das war meine letzte und eine der schönsten Amtshandlungen in dem Lande, das ich so lieb gewonnen". --
Mehr als ein Jahrzehnt ist verflossen, seitdem die beiden, der Arzt und der Kunsttechniker durch die Taufe Christen wurden. Aus Jünglingen sind reife Männer geworden, und heute ist ein Urteil über sie wohl mög- lich. Religiös-sittliche Großthaten habe ich von beiden nicht zu berichten; aber sie haben sich als religiös-sitt-
erteile. Kaum war ich daher mit meiner Familie zum letzten kurzen Aufenthalt in Kyoto angekommen, als uns auch ſchon das glückliche Ehepaar am Bahnhofe begrüßte und mich für den folgenden Tag zu der heili- gen Handlung einlud. Früh um neun traf ich dann zur beſtimmten Zeit an dem freundlichen Häuschen ein, zog meine Schuhe von den Füßen und ſchlüpfte gebückt durch die niedere Gitterthür. Die ganze Familie meines Freundes war im Feſtgewande verſammelt. Seine Mutter und Großmutter, die Mutter ſeiner Frau, ſeine Geſchwiſter, die Gattin eines befreundeten amerikaniſchen Miſſionars, welche die Stelle der Taufzeugin vertreten ſollte, wir alle knieten nach japaniſcher Sitte auf den Strohmatten nieder. Die Thür zum Garten war ge- öffnet, die Sonne ſchien freundlich durch die Bambus- zweige herein, als wollte ſie unſer Werk ſegnen. Ich erzählte von früheren Zeiten, wie wir unſeren Freund- ſchaftsbund ſchloſſen, wie wir ihn beſtärkt und gefördert hatten im gegenſeitigen Lehren und Lernen und Auf- blicken zu unſerem Heiland, und wie mein Freund ſeine Braut in dem gemeinſamen Streben nach chriſtlicher Erleuchtung und chriſtlichem Wandel gefunden habe. Dann mahnte ich die beiden, treu zu einander und zu Chriſtus zu halten, bis der Tod ſie ſcheide, und ſprach die Taufformel: „Ware nanji ni baptesma wo hodo- koshite, chichi to ko to seirei no na ni iru“. Das war meine letzte und eine der ſchönſten Amtshandlungen in dem Lande, das ich ſo lieb gewonnen“. —
Mehr als ein Jahrzehnt iſt verfloſſen, ſeitdem die beiden, der Arzt und der Kunſttechniker durch die Taufe Chriſten wurden. Aus Jünglingen ſind reife Männer geworden, und heute iſt ein Urteil über ſie wohl mög- lich. Religiös-ſittliche Großthaten habe ich von beiden nicht zu berichten; aber ſie haben ſich als religiös-ſitt-
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erteile. Kaum war ich daher mit meiner Familie zum
letzten kurzen Aufenthalt in Kyoto angekommen, als
uns auch ſchon das glückliche Ehepaar am Bahnhofe
begrüßte und mich für den folgenden Tag zu der heili-
gen Handlung einlud. Früh um neun traf ich dann
zur beſtimmten Zeit an dem freundlichen Häuschen ein,
zog meine Schuhe von den Füßen und ſchlüpfte gebückt
durch die niedere Gitterthür. Die ganze Familie meines
Freundes war im Feſtgewande verſammelt. Seine
Mutter und Großmutter, die Mutter ſeiner Frau, ſeine
Geſchwiſter, die Gattin eines befreundeten amerikaniſchen
Miſſionars, welche die Stelle der Taufzeugin vertreten
ſollte, wir alle knieten nach japaniſcher Sitte auf den
Strohmatten nieder. Die Thür zum Garten war ge-
öffnet, die Sonne ſchien freundlich durch die Bambus-
zweige herein, als wollte ſie unſer Werk ſegnen. Ich
erzählte von früheren Zeiten, wie wir unſeren Freund-
ſchaftsbund ſchloſſen, wie wir ihn beſtärkt und gefördert
hatten im gegenſeitigen Lehren und Lernen und Auf-
blicken zu unſerem Heiland, und wie mein Freund ſeine
Braut in dem gemeinſamen Streben nach chriſtlicher
Erleuchtung und chriſtlichem Wandel gefunden habe.
Dann mahnte ich die beiden, treu zu einander und zu
Chriſtus zu halten, bis der Tod ſie ſcheide, und ſprach
die Taufformel: „Ware nanji ni baptesma wo hodo-
koshite, chichi to ko to seirei no na ni iru“. Das war
meine letzte und eine der ſchönſten Amtshandlungen in
dem Lande, das ich ſo lieb gewonnen“. —
Mehr als ein Jahrzehnt iſt verfloſſen, ſeitdem die
beiden, der Arzt und der Kunſttechniker durch die Taufe
Chriſten wurden. Aus Jünglingen ſind reife Männer
geworden, und heute iſt ein Urteil über ſie wohl mög-
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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/359>, abgerufen am 22.11.2024.
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