Es hat einen bösen Klang, das Wort Volks- bekehrung. Volksbekehrung war die gewaltsame Christia- nisierung der Sachsen durch Karl den Großen, auf Volks- bekehrung hatten es die Jesuiten mit ihren oberflächlichen Massentaufen abgesehen, und eine Volksbekehrung ge- wöhnlichster Sorte wäre es geworden, wenn Japan aus politischen Utilitätsgründen von staatswegen christlich geworden wäre.
Zwar nicht alle Stimmen, welche ich darüber sich äußern hörte, stimmten damit überein. Ich habe ge- bildete und religiös interessierte Deutsche in Japan ge- sprochen, welche den Übertritt des japanischen Kaisers und im Anschluß daran des gesamten Volkes mit Freuden begrüßen würden. Ihrer Meinung nach könnte das nur für den Anfang, nicht aber auf die Dauer bedenklich sein. Denn sind etwa die Sachsen später schlechtere Christen gewesen als die andern Deutschen, darum weil sie durch eine Volksbekehrung zu Christus kamen? Hat es sich nicht bei den meisten Stämmen der Völker- wanderung, einschließlich der Franken, nicht sowohl um die langwierige Arbeit an einzelnen Seelen als vielmehr um Volksbekehrungen gehandelt? Alles das ist unbedingt zuzugeben. Aber man darf sich doch nicht verhehlen, daß die Verhältnisse hier und dort ganz anders gelagert sind. Dort handelte es sich um die Annahme eines
XII. Die Volksbekehrung.
Es hat einen böſen Klang, das Wort Volks- bekehrung. Volksbekehrung war die gewaltſame Chriſtia- niſierung der Sachſen durch Karl den Großen, auf Volks- bekehrung hatten es die Jeſuiten mit ihren oberflächlichen Maſſentaufen abgeſehen, und eine Volksbekehrung ge- wöhnlichſter Sorte wäre es geworden, wenn Japan aus politiſchen Utilitätsgründen von ſtaatswegen chriſtlich geworden wäre.
Zwar nicht alle Stimmen, welche ich darüber ſich äußern hörte, ſtimmten damit überein. Ich habe ge- bildete und religiös intereſſierte Deutſche in Japan ge- ſprochen, welche den Übertritt des japaniſchen Kaiſers und im Anſchluß daran des geſamten Volkes mit Freuden begrüßen würden. Ihrer Meinung nach könnte das nur für den Anfang, nicht aber auf die Dauer bedenklich ſein. Denn ſind etwa die Sachſen ſpäter ſchlechtere Chriſten geweſen als die andern Deutſchen, darum weil ſie durch eine Volksbekehrung zu Chriſtus kamen? Hat es ſich nicht bei den meiſten Stämmen der Völker- wanderung, einſchließlich der Franken, nicht ſowohl um die langwierige Arbeit an einzelnen Seelen als vielmehr um Volksbekehrungen gehandelt? Alles das iſt unbedingt zuzugeben. Aber man darf ſich doch nicht verhehlen, daß die Verhältniſſe hier und dort ganz anders gelagert ſind. Dort handelte es ſich um die Annahme eines
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XII. Die Volksbekehrung.
Es hat einen böſen Klang, das Wort Volks-
bekehrung. Volksbekehrung war die gewaltſame Chriſtia-
niſierung der Sachſen durch Karl den Großen, auf Volks-
bekehrung hatten es die Jeſuiten mit ihren oberflächlichen
Maſſentaufen abgeſehen, und eine Volksbekehrung ge-
wöhnlichſter Sorte wäre es geworden, wenn Japan aus
politiſchen Utilitätsgründen von ſtaatswegen chriſtlich
geworden wäre.
Zwar nicht alle Stimmen, welche ich darüber ſich
äußern hörte, ſtimmten damit überein. Ich habe ge-
bildete und religiös intereſſierte Deutſche in Japan ge-
ſprochen, welche den Übertritt des japaniſchen Kaiſers
und im Anſchluß daran des geſamten Volkes mit Freuden
begrüßen würden. Ihrer Meinung nach könnte das nur
für den Anfang, nicht aber auf die Dauer bedenklich
ſein. Denn ſind etwa die Sachſen ſpäter ſchlechtere
Chriſten geweſen als die andern Deutſchen, darum weil
ſie durch eine Volksbekehrung zu Chriſtus kamen? Hat
es ſich nicht bei den meiſten Stämmen der Völker-
wanderung, einſchließlich der Franken, nicht ſowohl um
die langwierige Arbeit an einzelnen Seelen als vielmehr
um Volksbekehrungen gehandelt? Alles das iſt unbedingt
zuzugeben. Aber man darf ſich doch nicht verhehlen,
daß die Verhältniſſe hier und dort ganz anders gelagert
ſind. Dort handelte es ſich um die Annahme eines
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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. [380]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/394>, abgerufen am 22.11.2024.
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