ihre Lehrmeister in der Kunst der Propaganda gehabt. Die amerikanischen Missionare sind in ihren propagan- distischen Mitteln nicht überskrupulös. In ihrer Central- kirche in Tokyo veranstalteten die kanadischen Methodisten nicht nur Gottesdienste und Gebetsversammlungen, son- dern auch rein weltliche Konzerte und andere Unter- haltungen, die mit Religion auch nicht in entferntem Zusammenhang stehen -- alles nur, um die Massen herbeizuziehen und auf weitere Kreise irgend welchen Eindruck zu machen. Sie haben es längst gelernt, die Reklame auch in den Dienst des Heiligen zu stellen, und schließlich braucht man sich nicht sehr zu wundern, daß aus dem Schoße des Methodismus ein William Booth geboren werden konnte.
Dagegen waren die von Hunderten und Tausen- den besuchten imposanten Vortragsversammlungen der achtziger Jahre, für welche man die größten Lokale, Theater etc. zu mieten pflegte, ebenso treffliche als wür- dige Mittel, um Massenwirkungen zu erzielen und christ- liche Gedanken in die weitesten Kreise des Volks hinein- zuwerfen. Diese Art war bis dahin in Japan gänzlich unbekannt. Die alten konfuzianischen Gelehrten hatten immer nur zu einem ganz kleinen Kreis gesprochen; die öffentliche Rede, wo ein einziger Mann in fließendem Vortrag große Massen beherrscht, konnte nicht anders als das größte Aufsehen erregen und in weiten Kreisen die Ahnung erwecken, daß hier eine neue große Macht im Anzuge sei. Seit den Tagen der Reaktion sind zwar diese Versammlungen etwas außer Mode gekommen; die Gegner des Christentums sind klüger geworden und haben keine Lust mehr, durch ihr zahlreiches Erscheinen den Christen die Säle zu füllen und den Glanz ihrer Ver- sammlungen mit ihren eigenen Personen zu erhöhen.
ihre Lehrmeiſter in der Kunſt der Propaganda gehabt. Die amerikaniſchen Miſſionare ſind in ihren propagan- diſtiſchen Mitteln nicht überſkrupulös. In ihrer Central- kirche in Tokyo veranſtalteten die kanadiſchen Methodiſten nicht nur Gottesdienſte und Gebetsverſammlungen, ſon- dern auch rein weltliche Konzerte und andere Unter- haltungen, die mit Religion auch nicht in entferntem Zuſammenhang ſtehen — alles nur, um die Maſſen herbeizuziehen und auf weitere Kreiſe irgend welchen Eindruck zu machen. Sie haben es längſt gelernt, die Reklame auch in den Dienſt des Heiligen zu ſtellen, und ſchließlich braucht man ſich nicht ſehr zu wundern, daß aus dem Schoße des Methodismus ein William Booth geboren werden konnte.
Dagegen waren die von Hunderten und Tauſen- den beſuchten impoſanten Vortragsverſammlungen der achtziger Jahre, für welche man die größten Lokale, Theater ꝛc. zu mieten pflegte, ebenſo treffliche als wür- dige Mittel, um Maſſenwirkungen zu erzielen und chriſt- liche Gedanken in die weiteſten Kreiſe des Volks hinein- zuwerfen. Dieſe Art war bis dahin in Japan gänzlich unbekannt. Die alten konfuzianiſchen Gelehrten hatten immer nur zu einem ganz kleinen Kreis geſprochen; die öffentliche Rede, wo ein einziger Mann in fließendem Vortrag große Maſſen beherrſcht, konnte nicht anders als das größte Aufſehen erregen und in weiten Kreiſen die Ahnung erwecken, daß hier eine neue große Macht im Anzuge ſei. Seit den Tagen der Reaktion ſind zwar dieſe Verſammlungen etwas außer Mode gekommen; die Gegner des Chriſtentums ſind klüger geworden und haben keine Luſt mehr, durch ihr zahlreiches Erſcheinen den Chriſten die Säle zu füllen und den Glanz ihrer Ver- ſammlungen mit ihren eigenen Perſonen zu erhöhen.
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ihre Lehrmeiſter in der Kunſt der Propaganda gehabt.
Die amerikaniſchen Miſſionare ſind in ihren propagan-
diſtiſchen Mitteln nicht überſkrupulös. In ihrer Central-
kirche in Tokyo veranſtalteten die kanadiſchen Methodiſten
nicht nur Gottesdienſte und Gebetsverſammlungen, ſon-
dern auch rein weltliche Konzerte und andere Unter-
haltungen, die mit Religion auch nicht in entferntem
Zuſammenhang ſtehen — alles nur, um die Maſſen
herbeizuziehen und auf weitere Kreiſe irgend welchen
Eindruck zu machen. Sie haben es längſt gelernt, die
Reklame auch in den Dienſt des Heiligen zu ſtellen, und
ſchließlich braucht man ſich nicht ſehr zu wundern, daß
aus dem Schoße des Methodismus ein William Booth
geboren werden konnte.
Dagegen waren die von Hunderten und Tauſen-
den beſuchten impoſanten Vortragsverſammlungen der
achtziger Jahre, für welche man die größten Lokale,
Theater ꝛc. zu mieten pflegte, ebenſo treffliche als wür-
dige Mittel, um Maſſenwirkungen zu erzielen und chriſt-
liche Gedanken in die weiteſten Kreiſe des Volks hinein-
zuwerfen. Dieſe Art war bis dahin in Japan gänzlich
unbekannt. Die alten konfuzianiſchen Gelehrten hatten
immer nur zu einem ganz kleinen Kreis geſprochen; die
öffentliche Rede, wo ein einziger Mann in fließendem
Vortrag große Maſſen beherrſcht, konnte nicht anders
als das größte Aufſehen erregen und in weiten Kreiſen
die Ahnung erwecken, daß hier eine neue große Macht
im Anzuge ſei. Seit den Tagen der Reaktion ſind zwar
dieſe Verſammlungen etwas außer Mode gekommen; die
Gegner des Chriſtentums ſind klüger geworden und haben
keine Luſt mehr, durch ihr zahlreiches Erſcheinen den
Chriſten die Säle zu füllen und den Glanz ihrer Ver-
ſammlungen mit ihren eigenen Perſonen zu erhöhen.
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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/413>, abgerufen am 24.11.2024.
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