sprechen. Das gesprochene Wort hat einen verhältnis- mäßig kleinen Hörerkreis, das gedruckte Wort aber mag in Tausenden von Exemplaren im ganzen Volke ver- breitet werden und in Nord und Süd und Ost und West seine Leser finden. Und wenn man sich auch nicht der thörichten Hoffnung hingeben darf, daß es auch jeder liest, dem es in die Hände kommt, und wenn man sich ehrlicher Weise auch nicht verhehlen darf, daß in vielen Fällen das christliche Schriftwerk schon um die nächste Ecke im Straßenschmutz verschwindet, so daß man dem Missionar immerhin mit einem scheinbaren Recht, aber auch nur mit einem scheinbaren -- denn richtiger wäre der Vergleich mit dem Säemann, dem ja auch manches Saatkorn auf harten, untiefen und unkrautigen Boden fiel -- vorwerfen könnte, daß er die Perle vor die Säue werfe, so bleibt doch immer noch der Wirkung genug, um die Methode, planmäßig betrieben, durchaus zu empfehlen.
Angenommen, in einer Sonntagsschule erhalten etwa fünfzig Kinder Unterricht. Am Schlusse bekommt jedes Kind ein "Leaflet", wo auf vier Quartseiten eine biblische Geschichte in mundgerechter Weise erzählt und praktisch und erbaulich ausgelegt wird. In diesen "Leaflets" bringt das Kind ein Kapital nach Hause, welches seine reichlichen Zinsen tragen kann. Das müßte doch sonderbar sein, wenn es nicht wenigstens von einem Teil der Hausgenossen gelesen würde, und wäre es auch nur aus Neugierde oder gar aus dem Wunsche heraus, sich von der Thorheit oder Schlechtig- keit der christlichen Religion schwarz auf weiß aus eigener Anschauung zu überzeugen. Am nächsten Sonn- tag werden die "Leaflets" umgetauscht, und wenn so im Verlaufe eines Jahres etwa fünfzig verschiedene
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ſprechen. Das geſprochene Wort hat einen verhältnis- mäßig kleinen Hörerkreis, das gedruckte Wort aber mag in Tauſenden von Exemplaren im ganzen Volke ver- breitet werden und in Nord und Süd und Oſt und Weſt ſeine Leſer finden. Und wenn man ſich auch nicht der thörichten Hoffnung hingeben darf, daß es auch jeder lieſt, dem es in die Hände kommt, und wenn man ſich ehrlicher Weiſe auch nicht verhehlen darf, daß in vielen Fällen das chriſtliche Schriftwerk ſchon um die nächſte Ecke im Straßenſchmutz verſchwindet, ſo daß man dem Miſſionar immerhin mit einem ſcheinbaren Recht, aber auch nur mit einem ſcheinbaren — denn richtiger wäre der Vergleich mit dem Säemann, dem ja auch manches Saatkorn auf harten, untiefen und unkrautigen Boden fiel — vorwerfen könnte, daß er die Perle vor die Säue werfe, ſo bleibt doch immer noch der Wirkung genug, um die Methode, planmäßig betrieben, durchaus zu empfehlen.
Angenommen, in einer Sonntagsſchule erhalten etwa fünfzig Kinder Unterricht. Am Schluſſe bekommt jedes Kind ein „Leaflet“, wo auf vier Quartſeiten eine bibliſche Geſchichte in mundgerechter Weiſe erzählt und praktiſch und erbaulich ausgelegt wird. In dieſen „Leaflets“ bringt das Kind ein Kapital nach Hauſe, welches ſeine reichlichen Zinſen tragen kann. Das müßte doch ſonderbar ſein, wenn es nicht wenigſtens von einem Teil der Hausgenoſſen geleſen würde, und wäre es auch nur aus Neugierde oder gar aus dem Wunſche heraus, ſich von der Thorheit oder Schlechtig- keit der chriſtlichen Religion ſchwarz auf weiß aus eigener Anſchauung zu überzeugen. Am nächſten Sonn- tag werden die „Leaflets“ umgetauſcht, und wenn ſo im Verlaufe eines Jahres etwa fünfzig verſchiedene
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ſprechen. Das geſprochene Wort hat einen verhältnis-
mäßig kleinen Hörerkreis, das gedruckte Wort aber mag
in Tauſenden von Exemplaren im ganzen Volke ver-
breitet werden und in Nord und Süd und Oſt und
Weſt ſeine Leſer finden. Und wenn man ſich auch nicht
der thörichten Hoffnung hingeben darf, daß es auch
jeder lieſt, dem es in die Hände kommt, und wenn man
ſich ehrlicher Weiſe auch nicht verhehlen darf, daß in
vielen Fällen das chriſtliche Schriftwerk ſchon um die
nächſte Ecke im Straßenſchmutz verſchwindet, ſo daß man
dem Miſſionar immerhin mit einem ſcheinbaren Recht,
aber auch nur mit einem ſcheinbaren — denn richtiger
wäre der Vergleich mit dem Säemann, dem ja auch
manches Saatkorn auf harten, untiefen und unkrautigen
Boden fiel — vorwerfen könnte, daß er die Perle vor
die Säue werfe, ſo bleibt doch immer noch der Wirkung
genug, um die Methode, planmäßig betrieben, durchaus
zu empfehlen.
Angenommen, in einer Sonntagsſchule erhalten
etwa fünfzig Kinder Unterricht. Am Schluſſe bekommt
jedes Kind ein „Leaflet“, wo auf vier Quartſeiten eine
bibliſche Geſchichte in mundgerechter Weiſe erzählt und
praktiſch und erbaulich ausgelegt wird. In dieſen
„Leaflets“ bringt das Kind ein Kapital nach Hauſe,
welches ſeine reichlichen Zinſen tragen kann. Das
müßte doch ſonderbar ſein, wenn es nicht wenigſtens
von einem Teil der Hausgenoſſen geleſen würde, und
wäre es auch nur aus Neugierde oder gar aus dem
Wunſche heraus, ſich von der Thorheit oder Schlechtig-
keit der chriſtlichen Religion ſchwarz auf weiß aus
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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/415>, abgerufen am 24.11.2024.
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