durchdringen suchen, so geht neben dieser Bewegung ein zweiter Strom einher, welcher, ohne mit Bedacht und Absicht dahingeleitet zu sein, von selbst diesem Ziele zustrebt. Dieser Strom geht von der abendländischen Kultur aus. Es mögen keine ausgesprochen christlichen Stimmen sein, die hier zum Worte kommen, aber es ist unsere Weltanschauung, und wo unsere Weltan- schauung Platz gegriffen hat, da ist dem Christentum der Boden bereitet.
Vor allem darf die Mission in der abendländischen Litteratur einen starken Bundesgenossen begrüßen, dem sie herzlich zu Dank verpflichtet ist. Teils im Original, teils in Übersetzungen ist diese Litteratur über das ganze Land verbreitet, und ihr Einfluß ist nicht nur in den Spitzen, sondern auch in den tieferen Schichten der ja- panischen Gesellschaft deutlich bemerkbar. Wie tief dieser Einfluß geht, dazu giebt der Missionar Greene eine prächtige Illustration. "Vor kurzem", so erzählt er, "ging ich von einem Thal in Joshu nach einem andern. Mein Weg führte mich über einen holprigen Bergpfad, und da eine Jinriksha nicht zu haben war, engagierte ich einen Bauernsohn als Gepäckträger. Wie wir so hingingen, erzählte er mir von seinem Leben zu Hause, und daß er in seinen Mußestunden die poetischen Bücher des Alten Testaments lese. Auch Gedichte von Longfellow und Tennyson habe er gelesen. Mein Ziel war ein Dorf mit ein paar hundert Häusern an der Hochstraße von Mikuni, ungefähr ein halb Dutzend Meilen von dem Gipfel des Bergpasses entfernt. Es ist wenig Verkehr auf dieser Landstraße, und man sollte meinen, daß der Einfluß der abendländischen Gedankenwelt hier kaum fühlbar wäre. Bei meiner Ankunft wurde ich von meinem Gastfreund eingeladen, den Abend in einem
durchdringen ſuchen, ſo geht neben dieſer Bewegung ein zweiter Strom einher, welcher, ohne mit Bedacht und Abſicht dahingeleitet zu ſein, von ſelbſt dieſem Ziele zuſtrebt. Dieſer Strom geht von der abendländiſchen Kultur aus. Es mögen keine ausgeſprochen chriſtlichen Stimmen ſein, die hier zum Worte kommen, aber es iſt unſere Weltanſchauung, und wo unſere Weltan- ſchauung Platz gegriffen hat, da iſt dem Chriſtentum der Boden bereitet.
Vor allem darf die Miſſion in der abendländiſchen Litteratur einen ſtarken Bundesgenoſſen begrüßen, dem ſie herzlich zu Dank verpflichtet iſt. Teils im Original, teils in Überſetzungen iſt dieſe Litteratur über das ganze Land verbreitet, und ihr Einfluß iſt nicht nur in den Spitzen, ſondern auch in den tieferen Schichten der ja- paniſchen Geſellſchaft deutlich bemerkbar. Wie tief dieſer Einfluß geht, dazu giebt der Miſſionar Greene eine prächtige Illuſtration. „Vor kurzem“, ſo erzählt er, „ging ich von einem Thal in Joſhu nach einem andern. Mein Weg führte mich über einen holprigen Bergpfad, und da eine Jinrikſha nicht zu haben war, engagierte ich einen Bauernſohn als Gepäckträger. Wie wir ſo hingingen, erzählte er mir von ſeinem Leben zu Hauſe, und daß er in ſeinen Mußeſtunden die poetiſchen Bücher des Alten Teſtaments leſe. Auch Gedichte von Longfellow und Tennyſon habe er geleſen. Mein Ziel war ein Dorf mit ein paar hundert Häuſern an der Hochſtraße von Mikuni, ungefähr ein halb Dutzend Meilen von dem Gipfel des Bergpaſſes entfernt. Es iſt wenig Verkehr auf dieſer Landſtraße, und man ſollte meinen, daß der Einfluß der abendländiſchen Gedankenwelt hier kaum fühlbar wäre. Bei meiner Ankunft wurde ich von meinem Gaſtfreund eingeladen, den Abend in einem
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[407/0421]
durchdringen ſuchen, ſo geht neben dieſer Bewegung ein
zweiter Strom einher, welcher, ohne mit Bedacht und
Abſicht dahingeleitet zu ſein, von ſelbſt dieſem Ziele
zuſtrebt. Dieſer Strom geht von der abendländiſchen
Kultur aus. Es mögen keine ausgeſprochen chriſtlichen
Stimmen ſein, die hier zum Worte kommen, aber es
iſt unſere Weltanſchauung, und wo unſere Weltan-
ſchauung Platz gegriffen hat, da iſt dem Chriſtentum
der Boden bereitet.
Vor allem darf die Miſſion in der abendländiſchen
Litteratur einen ſtarken Bundesgenoſſen begrüßen, dem
ſie herzlich zu Dank verpflichtet iſt. Teils im Original,
teils in Überſetzungen iſt dieſe Litteratur über das ganze
Land verbreitet, und ihr Einfluß iſt nicht nur in den
Spitzen, ſondern auch in den tieferen Schichten der ja-
paniſchen Geſellſchaft deutlich bemerkbar. Wie tief
dieſer Einfluß geht, dazu giebt der Miſſionar Greene
eine prächtige Illuſtration. „Vor kurzem“, ſo erzählt
er, „ging ich von einem Thal in Joſhu nach einem
andern. Mein Weg führte mich über einen holprigen
Bergpfad, und da eine Jinrikſha nicht zu haben war,
engagierte ich einen Bauernſohn als Gepäckträger. Wie
wir ſo hingingen, erzählte er mir von ſeinem Leben zu
Hauſe, und daß er in ſeinen Mußeſtunden die poetiſchen
Bücher des Alten Teſtaments leſe. Auch Gedichte von
Longfellow und Tennyſon habe er geleſen. Mein Ziel war
ein Dorf mit ein paar hundert Häuſern an der Hochſtraße
von Mikuni, ungefähr ein halb Dutzend Meilen von dem
Gipfel des Bergpaſſes entfernt. Es iſt wenig Verkehr
auf dieſer Landſtraße, und man ſollte meinen, daß der
Einfluß der abendländiſchen Gedankenwelt hier kaum
fühlbar wäre. Bei meiner Ankunft wurde ich von
meinem Gaſtfreund eingeladen, den Abend in einem
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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/421>, abgerufen am 24.11.2024.
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