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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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Kindes angepaßt, so präzis als möglich zu stellen, und
gerade auf solche Dinge wird der junge Lehrer oft
hingewiesen. In Japan noch durch die Sprache des
ganzen Volkes, in Europa durch die Sprache der Kinder-
schule -- hier wie dort genau dasselbe!

In Japan geborene Kinder europäischer Eltern
lernen das Japanische eher und leichter als ihre Mutter-
sprache; auch in Europa geborene und vor dem zehnten
Lebensjahr nach Japan gekommene Kinder eignen sich
das Japanische fabelhaft rasch und korrekt an und
bedienen sich mit Vorliebe einer Sprache, welche ihren
Eltern als der Inbegriff alles Schwierigen erscheint.
Worin hat das seinen Grund? Man führt es gewöhn-
lich darauf zurück, daß die japanischen Wörter leichter
und gefälliger in der Aussprache sind als die unsrigen;
man vergleiche nur uma für Pferd, ume für Pflaume,
tabi für Strumpf. Ohne Zweifel ist dieser Grund nicht
zu unterschätzen. Der tiefere Grund aber, welcher auch
praktisch mindestens ebenso schwer wiegt, ist in dem Um-
stand zu suchen, daß die japanische Ausdrucksweise dem
kindlichen Geist homogen ist und dem Fassungsvermögen
und der Anschauungsweise eines Kindes weit mehr ent-
spricht als unsere zur Mannesreife entwickelten Sprachen.

Entsprechend dem sonstigen konkreten und beweg-
lichen Charakter seiner Sprache hat der Japaner durch-
weg eine Vorliebe für das Aktivum. Denn das Aktivum
bedeutet Thätigkeit und Beweglichkeit und verdient darum
stets den Vorzug vor dem Passivum, welches Leiden,
Unthätigkeit, Ruhe ausdrückt, Qualitäten, welche für
einen Geist, der sich vom Beweglichen am meisten fesseln
läßt, keinerlei Anziehung besitzen. Wo irgend möglich
wird darum das Passiv vermieden. "Dieses Haus
wurde voriges Jahr gebaut", übersetzt man aktivisch:

Kindes angepaßt, ſo präzis als möglich zu ſtellen, und
gerade auf ſolche Dinge wird der junge Lehrer oft
hingewieſen. In Japan noch durch die Sprache des
ganzen Volkes, in Europa durch die Sprache der Kinder-
ſchule — hier wie dort genau dasſelbe!

In Japan geborene Kinder europäiſcher Eltern
lernen das Japaniſche eher und leichter als ihre Mutter-
ſprache; auch in Europa geborene und vor dem zehnten
Lebensjahr nach Japan gekommene Kinder eignen ſich
das Japaniſche fabelhaft raſch und korrekt an und
bedienen ſich mit Vorliebe einer Sprache, welche ihren
Eltern als der Inbegriff alles Schwierigen erſcheint.
Worin hat das ſeinen Grund? Man führt es gewöhn-
lich darauf zurück, daß die japaniſchen Wörter leichter
und gefälliger in der Ausſprache ſind als die unſrigen;
man vergleiche nur uma für Pferd, ume für Pflaume,
tabi für Strumpf. Ohne Zweifel iſt dieſer Grund nicht
zu unterſchätzen. Der tiefere Grund aber, welcher auch
praktiſch mindeſtens ebenſo ſchwer wiegt, iſt in dem Um-
ſtand zu ſuchen, daß die japaniſche Ausdrucksweiſe dem
kindlichen Geiſt homogen iſt und dem Faſſungsvermögen
und der Anſchauungsweiſe eines Kindes weit mehr ent-
ſpricht als unſere zur Mannesreife entwickelten Sprachen.

Entſprechend dem ſonſtigen konkreten und beweg-
lichen Charakter ſeiner Sprache hat der Japaner durch-
weg eine Vorliebe für das Aktivum. Denn das Aktivum
bedeutet Thätigkeit und Beweglichkeit und verdient darum
ſtets den Vorzug vor dem Paſſivum, welches Leiden,
Unthätigkeit, Ruhe ausdrückt, Qualitäten, welche für
einen Geiſt, der ſich vom Beweglichen am meiſten feſſeln
läßt, keinerlei Anziehung beſitzen. Wo irgend möglich
wird darum das Paſſiv vermieden. „Dieſes Haus
wurde voriges Jahr gebaut“, überſetzt man aktiviſch:

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[48/0062] Kindes angepaßt, ſo präzis als möglich zu ſtellen, und gerade auf ſolche Dinge wird der junge Lehrer oft hingewieſen. In Japan noch durch die Sprache des ganzen Volkes, in Europa durch die Sprache der Kinder- ſchule — hier wie dort genau dasſelbe! In Japan geborene Kinder europäiſcher Eltern lernen das Japaniſche eher und leichter als ihre Mutter- ſprache; auch in Europa geborene und vor dem zehnten Lebensjahr nach Japan gekommene Kinder eignen ſich das Japaniſche fabelhaft raſch und korrekt an und bedienen ſich mit Vorliebe einer Sprache, welche ihren Eltern als der Inbegriff alles Schwierigen erſcheint. Worin hat das ſeinen Grund? Man führt es gewöhn- lich darauf zurück, daß die japaniſchen Wörter leichter und gefälliger in der Ausſprache ſind als die unſrigen; man vergleiche nur uma für Pferd, ume für Pflaume, tabi für Strumpf. Ohne Zweifel iſt dieſer Grund nicht zu unterſchätzen. Der tiefere Grund aber, welcher auch praktiſch mindeſtens ebenſo ſchwer wiegt, iſt in dem Um- ſtand zu ſuchen, daß die japaniſche Ausdrucksweiſe dem kindlichen Geiſt homogen iſt und dem Faſſungsvermögen und der Anſchauungsweiſe eines Kindes weit mehr ent- ſpricht als unſere zur Mannesreife entwickelten Sprachen. Entſprechend dem ſonſtigen konkreten und beweg- lichen Charakter ſeiner Sprache hat der Japaner durch- weg eine Vorliebe für das Aktivum. Denn das Aktivum bedeutet Thätigkeit und Beweglichkeit und verdient darum ſtets den Vorzug vor dem Paſſivum, welches Leiden, Unthätigkeit, Ruhe ausdrückt, Qualitäten, welche für einen Geiſt, der ſich vom Beweglichen am meiſten feſſeln läßt, keinerlei Anziehung beſitzen. Wo irgend möglich wird darum das Paſſiv vermieden. „Dieſes Haus wurde voriges Jahr gebaut“, überſetzt man aktiviſch:

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/62>, abgerufen am 24.11.2024.