was nicht paßt, was nicht kongenial erscheint. Es ist darum trotz allem und allem ein mehr oder weniger mechanischer Prozeß, es sind mehr Akkommodationen als tiefinnerliche Assimilationen. Daß sie in der Übernahme des Fremden nicht kritiklos sind, ist damit schon aus- gesprochen. Ein anderes Volk wäre durch all das Neue, wie es sich den Japanern in den letzten Jahren auf- gedrängt hat, vollständig verwirrt worden; es hätte schließ- lich mit stumpfen Sinnen in völliger Lethargie sich alles aufdrängen lassen. Die Japaner aber haben selten die nüchterne Urteilskraft verloren, sie haben mit scharfem Blick das Brauchbare von dem Unbrauchbaren unter- schieden, und im großen und ganzen, soweit es sich um den Mechanismus unserer Kultur handelt, muß ihnen zugestanden werden, daß sie der Mahnung entsprochen haben: Prüfet alles und behaltet das Beste. Aber frei- lich, es handelte sich für den Japaner immer nur um die mechanische Kultur und darum kann auch mehr oder weniger nur von einem mechanischen Prozeß der Akkom- modation die Rede sein. Aber die Kultur hat noch eine andere Seite. Dem Mechanismus der äußeren Kultur liegt der Organismus der Geisteskultur zu Grunde. Und hier haben die Japaner die Assimilation zwar versucht, aber da sie dieselbe nicht geistesverwandt fanden, vor- läufig nicht durchzuführen vermocht, soweit man nicht gar mit dem ernstlichen Gedanken ihrer Durchführung gebrochen hat.
Das rein Geistige ist eben nicht die Sache des auf der Anschauungsstufe stehenden Japaners. Es ist auf- fallend, wie wenig Interesse für metaphysische und ethische Fragen er hat. Weder seine Geschichte noch seine her- vorstechendsten Neigungen zeigen eine Tendenz zum Idea- lismus. Er liebt das Wirkliche und Greifbare. Er
was nicht paßt, was nicht kongenial erſcheint. Es iſt darum trotz allem und allem ein mehr oder weniger mechaniſcher Prozeß, es ſind mehr Akkommodationen als tiefinnerliche Aſſimilationen. Daß ſie in der Übernahme des Fremden nicht kritiklos ſind, iſt damit ſchon aus- geſprochen. Ein anderes Volk wäre durch all das Neue, wie es ſich den Japanern in den letzten Jahren auf- gedrängt hat, vollſtändig verwirrt worden; es hätte ſchließ- lich mit ſtumpfen Sinnen in völliger Lethargie ſich alles aufdrängen laſſen. Die Japaner aber haben ſelten die nüchterne Urteilskraft verloren, ſie haben mit ſcharfem Blick das Brauchbare von dem Unbrauchbaren unter- ſchieden, und im großen und ganzen, ſoweit es ſich um den Mechanismus unſerer Kultur handelt, muß ihnen zugeſtanden werden, daß ſie der Mahnung entſprochen haben: Prüfet alles und behaltet das Beſte. Aber frei- lich, es handelte ſich für den Japaner immer nur um die mechaniſche Kultur und darum kann auch mehr oder weniger nur von einem mechaniſchen Prozeß der Akkom- modation die Rede ſein. Aber die Kultur hat noch eine andere Seite. Dem Mechanismus der äußeren Kultur liegt der Organismus der Geiſteskultur zu Grunde. Und hier haben die Japaner die Aſſimilation zwar verſucht, aber da ſie dieſelbe nicht geiſtesverwandt fanden, vor- läufig nicht durchzuführen vermocht, ſoweit man nicht gar mit dem ernſtlichen Gedanken ihrer Durchführung gebrochen hat.
Das rein Geiſtige iſt eben nicht die Sache des auf der Anſchauungsſtufe ſtehenden Japaners. Es iſt auf- fallend, wie wenig Intereſſe für metaphyſiſche und ethiſche Fragen er hat. Weder ſeine Geſchichte noch ſeine her- vorſtechendſten Neigungen zeigen eine Tendenz zum Idea- lismus. Er liebt das Wirkliche und Greifbare. Er
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was nicht paßt, was nicht kongenial erſcheint. Es iſt
darum trotz allem und allem ein mehr oder weniger
mechaniſcher Prozeß, es ſind mehr Akkommodationen als
tiefinnerliche Aſſimilationen. Daß ſie in der Übernahme
des Fremden nicht kritiklos ſind, iſt damit ſchon aus-
geſprochen. Ein anderes Volk wäre durch all das Neue,
wie es ſich den Japanern in den letzten Jahren auf-
gedrängt hat, vollſtändig verwirrt worden; es hätte ſchließ-
lich mit ſtumpfen Sinnen in völliger Lethargie ſich alles
aufdrängen laſſen. Die Japaner aber haben ſelten die
nüchterne Urteilskraft verloren, ſie haben mit ſcharfem
Blick das Brauchbare von dem Unbrauchbaren unter-
ſchieden, und im großen und ganzen, ſoweit es ſich
um den Mechanismus unſerer Kultur handelt, muß ihnen
zugeſtanden werden, daß ſie der Mahnung entſprochen
haben: Prüfet alles und behaltet das Beſte. Aber frei-
lich, es handelte ſich für den Japaner immer nur um
die mechaniſche Kultur und darum kann auch mehr oder
weniger nur von einem mechaniſchen Prozeß der Akkom-
modation die Rede ſein. Aber die Kultur hat noch eine
andere Seite. Dem Mechanismus der äußeren Kultur
liegt der Organismus der Geiſteskultur zu Grunde. Und
hier haben die Japaner die Aſſimilation zwar verſucht,
aber da ſie dieſelbe nicht geiſtesverwandt fanden, vor-
läufig nicht durchzuführen vermocht, ſoweit man nicht
gar mit dem ernſtlichen Gedanken ihrer Durchführung
gebrochen hat.
Das rein Geiſtige iſt eben nicht die Sache des auf
der Anſchauungsſtufe ſtehenden Japaners. Es iſt auf-
fallend, wie wenig Intereſſe für metaphyſiſche und ethiſche
Fragen er hat. Weder ſeine Geſchichte noch ſeine her-
vorſtechendſten Neigungen zeigen eine Tendenz zum Idea-
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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/84>, abgerufen am 24.11.2024.
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