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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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listischen Weltauffassung auffallen, wenn der Japaner
den Sitz der Verstandesthätigkeit nicht im Kopfe, sondern
im Bauche sucht. Ich hatte mir einmal auf Wunsch
von etwa zehn jungen Medizinern, zur Hälfte Christen,
die Mühe gemacht, in einer Reihe von Vorträgen das
Recht der idealistischen Weltanschauung gegenüber der
materialistischen darzuthun. Als ich zu Ende war, wollte
ich mich von dem Erfolg überzeugen. Und worin bestand
derselbe? Darin, daß einer der begabtesten mir sagte,
daß er zwar als Christ gern an die idealistische Welt-
anschauung glaube, daß aber für sein Denken die materia-
listische nach wie vor die wirklich vernunftgemäße sei.
Und die andern waren mit ihm einig. Was der Japaner
sieht, das ist; alles andere ist nicht. Er hat nicht viel
von der glühenden Phantasie der Semiten, noch von der
tiefen Sinnigkeit und Innigkeit der Indogermanen, noch
von der süßen Träumerei und unpraktischen Schwärmerei
der Deutschen. Es wäre verkehrt, den Japaner geistlos
zu nennen; denn das wäre irreleitend; aber vergeistigt,
durchgeistigt ist er nicht.

Vielmehr leidet sein Geistesleben an einem gewissen
Mechanismus. Es verläuft mehr oder weniger maschi-
nenmäßig, während das unsrige in hohem Grade orga-
nisch ist. Es ist bezeichnend, daß das Rechnen, das doch
nach unserer Meinung eine bedeutende Geistesthätigkeit
verlangt, mittels des soroban, der Rechenmaschine, aus-
geführt wird. Soll der Japaner einmal im Kopf rechnen,
so sieht es schlecht aus. Ebenso ist es charakteristisch,
wie das Lesen erlernt wird. Der Lehrer sagt zwei, drei
Worte vor, die Schüler sprechen sie nach, so geht es
weiter, und es wird dann alles so oft wiederholt, bis
die Schüler das Lesestück rein mechanisch auswendig
können. Ich hatte manchmal Veranlassung, dem Unter-

liſtiſchen Weltauffaſſung auffallen, wenn der Japaner
den Sitz der Verſtandesthätigkeit nicht im Kopfe, ſondern
im Bauche ſucht. Ich hatte mir einmal auf Wunſch
von etwa zehn jungen Medizinern, zur Hälfte Chriſten,
die Mühe gemacht, in einer Reihe von Vorträgen das
Recht der idealiſtiſchen Weltanſchauung gegenüber der
materialiſtiſchen darzuthun. Als ich zu Ende war, wollte
ich mich von dem Erfolg überzeugen. Und worin beſtand
derſelbe? Darin, daß einer der begabteſten mir ſagte,
daß er zwar als Chriſt gern an die idealiſtiſche Welt-
anſchauung glaube, daß aber für ſein Denken die materia-
liſtiſche nach wie vor die wirklich vernunftgemäße ſei.
Und die andern waren mit ihm einig. Was der Japaner
ſieht, das iſt; alles andere iſt nicht. Er hat nicht viel
von der glühenden Phantaſie der Semiten, noch von der
tiefen Sinnigkeit und Innigkeit der Indogermanen, noch
von der ſüßen Träumerei und unpraktiſchen Schwärmerei
der Deutſchen. Es wäre verkehrt, den Japaner geiſtlos
zu nennen; denn das wäre irreleitend; aber vergeiſtigt,
durchgeiſtigt iſt er nicht.

Vielmehr leidet ſein Geiſtesleben an einem gewiſſen
Mechanismus. Es verläuft mehr oder weniger maſchi-
nenmäßig, während das unſrige in hohem Grade orga-
niſch iſt. Es iſt bezeichnend, daß das Rechnen, das doch
nach unſerer Meinung eine bedeutende Geiſtesthätigkeit
verlangt, mittels des soroban, der Rechenmaſchine, aus-
geführt wird. Soll der Japaner einmal im Kopf rechnen,
ſo ſieht es ſchlecht aus. Ebenſo iſt es charakteriſtiſch,
wie das Leſen erlernt wird. Der Lehrer ſagt zwei, drei
Worte vor, die Schüler ſprechen ſie nach, ſo geht es
weiter, und es wird dann alles ſo oft wiederholt, bis
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[72/0086] liſtiſchen Weltauffaſſung auffallen, wenn der Japaner den Sitz der Verſtandesthätigkeit nicht im Kopfe, ſondern im Bauche ſucht. Ich hatte mir einmal auf Wunſch von etwa zehn jungen Medizinern, zur Hälfte Chriſten, die Mühe gemacht, in einer Reihe von Vorträgen das Recht der idealiſtiſchen Weltanſchauung gegenüber der materialiſtiſchen darzuthun. Als ich zu Ende war, wollte ich mich von dem Erfolg überzeugen. Und worin beſtand derſelbe? Darin, daß einer der begabteſten mir ſagte, daß er zwar als Chriſt gern an die idealiſtiſche Welt- anſchauung glaube, daß aber für ſein Denken die materia- liſtiſche nach wie vor die wirklich vernunftgemäße ſei. Und die andern waren mit ihm einig. Was der Japaner ſieht, das iſt; alles andere iſt nicht. Er hat nicht viel von der glühenden Phantaſie der Semiten, noch von der tiefen Sinnigkeit und Innigkeit der Indogermanen, noch von der ſüßen Träumerei und unpraktiſchen Schwärmerei der Deutſchen. Es wäre verkehrt, den Japaner geiſtlos zu nennen; denn das wäre irreleitend; aber vergeiſtigt, durchgeiſtigt iſt er nicht. Vielmehr leidet ſein Geiſtesleben an einem gewiſſen Mechanismus. Es verläuft mehr oder weniger maſchi- nenmäßig, während das unſrige in hohem Grade orga- niſch iſt. Es iſt bezeichnend, daß das Rechnen, das doch nach unſerer Meinung eine bedeutende Geiſtesthätigkeit verlangt, mittels des soroban, der Rechenmaſchine, aus- geführt wird. Soll der Japaner einmal im Kopf rechnen, ſo ſieht es ſchlecht aus. Ebenſo iſt es charakteriſtiſch, wie das Leſen erlernt wird. Der Lehrer ſagt zwei, drei Worte vor, die Schüler ſprechen ſie nach, ſo geht es weiter, und es wird dann alles ſo oft wiederholt, bis die Schüler das Leſeſtück rein mechaniſch auswendig können. Ich hatte manchmal Veranlaſſung, dem Unter-

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/86>, abgerufen am 24.11.2024.