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Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898.

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Sinne ein Künstler, wie umgekehrt der Künstler wieder
ein Handwerker ist. Es ist schwer, hier die Scheidelinie
zu ziehen. Was der Japaner als Handwerker, Kunst-
handwerker und Künstler zu leisten im stande ist, das
zu erkennen braucht man heute nicht mehr nach Japan
zu gehen, das läßt sich auch in unserer Heimat an so
manchem Stück japanischer Kunst ersehen. Aber so hoch-
entwickelt diese Kunst auch ist, so wunderbar fein bei
aller scheinbaren Einfachheit die Ausführung ist, so
bewegt sich der Künstler doch immer auf dem Gebiet
des Realen, nicht des Idealen. Das Höchste in der
Kunst ist das Objektive, die Natur. Der den Regeln
der Kunst entsprechende Garten ist der naturgetreue
Garten. Bei uns zwängt der Gärtner alles in Beete
ein, streng nach den Regeln der Symmetrie. In den
japanischen Gärten ist nichts in Beete gebracht, alles
liegt bunt durcheinander und doch wieder harmonisch
neben einander wie in der Natur. Der japanische
Garten ist das Bild einer vollständigen Landschaft mit
Seen und Bächen und Wasserfällen, mit Bergen und
Thälern und Bäumen; natürlich alles, auch die künstlich
so gezogenen Bäume, en miniature; und das, was wir
in einem Garten am ehesten suchen würden, nämlich die
Blumen, tritt in dem japanischen Garten, genau wie
in einer Landschaft draußen auch, sehr in den Hinter-
grund. Die Natur ist die große Lehrmeisterin, bei
welcher die Japaner in die Schule gehen.

Die Gegenstände japanischer Malerei sind fast aus-
schließlich aus der Natur, Flora und Fauna, entnommen.
Ein kleiner Zweig blühender Pflaumenknospen oder ein
Trio fliegender Kraniche ist ein Motiv, für welches sich
auch der größte Maler begeistern kann. Und bewunderns-
wert ist es, mit welcher, nur durch Liebe zu seinem

Sinne ein Künſtler, wie umgekehrt der Künſtler wieder
ein Handwerker iſt. Es iſt ſchwer, hier die Scheidelinie
zu ziehen. Was der Japaner als Handwerker, Kunſt-
handwerker und Künſtler zu leiſten im ſtande iſt, das
zu erkennen braucht man heute nicht mehr nach Japan
zu gehen, das läßt ſich auch in unſerer Heimat an ſo
manchem Stück japaniſcher Kunſt erſehen. Aber ſo hoch-
entwickelt dieſe Kunſt auch iſt, ſo wunderbar fein bei
aller ſcheinbaren Einfachheit die Ausführung iſt, ſo
bewegt ſich der Künſtler doch immer auf dem Gebiet
des Realen, nicht des Idealen. Das Höchſte in der
Kunſt iſt das Objektive, die Natur. Der den Regeln
der Kunſt entſprechende Garten iſt der naturgetreue
Garten. Bei uns zwängt der Gärtner alles in Beete
ein, ſtreng nach den Regeln der Symmetrie. In den
japaniſchen Gärten iſt nichts in Beete gebracht, alles
liegt bunt durcheinander und doch wieder harmoniſch
neben einander wie in der Natur. Der japaniſche
Garten iſt das Bild einer vollſtändigen Landſchaft mit
Seen und Bächen und Waſſerfällen, mit Bergen und
Thälern und Bäumen; natürlich alles, auch die künſtlich
ſo gezogenen Bäume, en miniature; und das, was wir
in einem Garten am eheſten ſuchen würden, nämlich die
Blumen, tritt in dem japaniſchen Garten, genau wie
in einer Landſchaft draußen auch, ſehr in den Hinter-
grund. Die Natur iſt die große Lehrmeiſterin, bei
welcher die Japaner in die Schule gehen.

Die Gegenſtände japaniſcher Malerei ſind faſt aus-
ſchließlich aus der Natur, Flora und Fauna, entnommen.
Ein kleiner Zweig blühender Pflaumenknoſpen oder ein
Trio fliegender Kraniche iſt ein Motiv, für welches ſich
auch der größte Maler begeiſtern kann. Und bewunderns-
wert iſt es, mit welcher, nur durch Liebe zu ſeinem

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[82/0096] Sinne ein Künſtler, wie umgekehrt der Künſtler wieder ein Handwerker iſt. Es iſt ſchwer, hier die Scheidelinie zu ziehen. Was der Japaner als Handwerker, Kunſt- handwerker und Künſtler zu leiſten im ſtande iſt, das zu erkennen braucht man heute nicht mehr nach Japan zu gehen, das läßt ſich auch in unſerer Heimat an ſo manchem Stück japaniſcher Kunſt erſehen. Aber ſo hoch- entwickelt dieſe Kunſt auch iſt, ſo wunderbar fein bei aller ſcheinbaren Einfachheit die Ausführung iſt, ſo bewegt ſich der Künſtler doch immer auf dem Gebiet des Realen, nicht des Idealen. Das Höchſte in der Kunſt iſt das Objektive, die Natur. Der den Regeln der Kunſt entſprechende Garten iſt der naturgetreue Garten. Bei uns zwängt der Gärtner alles in Beete ein, ſtreng nach den Regeln der Symmetrie. In den japaniſchen Gärten iſt nichts in Beete gebracht, alles liegt bunt durcheinander und doch wieder harmoniſch neben einander wie in der Natur. Der japaniſche Garten iſt das Bild einer vollſtändigen Landſchaft mit Seen und Bächen und Waſſerfällen, mit Bergen und Thälern und Bäumen; natürlich alles, auch die künſtlich ſo gezogenen Bäume, en miniature; und das, was wir in einem Garten am eheſten ſuchen würden, nämlich die Blumen, tritt in dem japaniſchen Garten, genau wie in einer Landſchaft draußen auch, ſehr in den Hinter- grund. Die Natur iſt die große Lehrmeiſterin, bei welcher die Japaner in die Schule gehen. Die Gegenſtände japaniſcher Malerei ſind faſt aus- ſchließlich aus der Natur, Flora und Fauna, entnommen. Ein kleiner Zweig blühender Pflaumenknoſpen oder ein Trio fliegender Kraniche iſt ein Motiv, für welches ſich auch der größte Maler begeiſtern kann. Und bewunderns- wert iſt es, mit welcher, nur durch Liebe zu ſeinem

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Zitationshilfe: Munzinger, Carl: Die Japaner. Berlin, 1898, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/munzinger_japaner_1898/96>, abgerufen am 24.11.2024.