Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Musäus, Johann Karl August: Grandison der Zweite, Oder Geschichte des Herrn v. N*** in Briefen entworfen. [Erster Theil.] Eisenach, 1760.

Bild:
<< vorherige Seite

hatte. Sie moralisirte ziemlich nachdrücklich über ihren Herrn Schwiegersohn; er ließ sich aber durch nichts aufbringen, und trank dann und wann ihre Gesundheit; doch einmal sagte er in seiner Begeisterung: Hören Sie auf zu keiffen, alte Frau Shirley. Unvergleichliche Henriette, was machen Sie denn mit einer so bösen Stiefmutter? Wollen Sie mich haben, so will ich Sie von dieser ungeheuren Frau befreien. Das war vortrefflich, es hätte nichts bessers zu Fräulein Julgens Befreiung können erdacht werden. Die Frau v. W. wurde dadurch so aufgebracht, daß sie, wider ihre Neigung, ihm ins Gesichte sagte: ihr Herr und sie, würden das Fräulein keinem irrenden Ritter geben, es möchte nun Ernst oder Scherz bei ihm seyn, so würde sie ihn nicht zum Schwiegersohne annehmen. Mein Herz wurde nun ganz leichte, unser Oncle verschlimmerte seine Sachen noch mehr, daß er über den Zorn der Frau v. W. heftig lachte. Sie sind doch meine Henriette, sagte er zu dem Fräulein, und sie würde einem derben Kusse nicht haben

hatte. Sie moralisirte ziemlich nachdrücklich über ihren Herrn Schwiegersohn; er ließ sich aber durch nichts aufbringen, und trank dann und wann ihre Gesundheit; doch einmal sagte er in seiner Begeisterung: Hören Sie auf zu keiffen, alte Frau Shirley. Unvergleichliche Henriette, was machen Sie denn mit einer so bösen Stiefmutter? Wollen Sie mich haben, so will ich Sie von dieser ungeheuren Frau befreien. Das war vortrefflich, es hätte nichts bessers zu Fräulein Julgens Befreiung können erdacht werden. Die Frau v. W. wurde dadurch so aufgebracht, daß sie, wider ihre Neigung, ihm ins Gesichte sagte: ihr Herr und sie, würden das Fräulein keinem irrenden Ritter geben, es möchte nun Ernst oder Scherz bei ihm seyn, so würde sie ihn nicht zum Schwiegersohne annehmen. Mein Herz wurde nun ganz leichte, unser Oncle verschlimmerte seine Sachen noch mehr, daß er über den Zorn der Frau v. W. heftig lachte. Sie sind doch meine Henriette, sagte er zu dem Fräulein, und sie würde einem derben Kusse nicht haben

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0292" n="277"/>
hatte. Sie moralisirte ziemlich nachdrücklich über ihren Herrn Schwiegersohn; er ließ sich aber durch nichts aufbringen, und trank dann und wann ihre Gesundheit; doch einmal sagte er in seiner Begeisterung: Hören Sie auf zu keiffen, alte Frau Shirley. Unvergleichliche Henriette, was machen Sie denn mit einer so bösen Stiefmutter? Wollen Sie mich haben, so will ich Sie von dieser ungeheuren Frau befreien. Das war vortrefflich, es hätte nichts bessers zu Fräulein Julgens Befreiung können erdacht werden. Die Frau v. W. wurde dadurch so aufgebracht, daß sie, wider ihre Neigung, ihm ins Gesichte sagte: ihr Herr und sie, würden das Fräulein keinem irrenden Ritter geben, es möchte nun Ernst oder Scherz bei ihm seyn, so würde sie ihn nicht zum Schwiegersohne annehmen. Mein Herz wurde nun ganz leichte, unser Oncle verschlimmerte seine Sachen noch mehr, daß er über den Zorn der Frau v. W. heftig lachte. Sie sind doch meine Henriette, sagte er zu dem Fräulein, und sie würde einem derben Kusse nicht haben
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[277/0292] hatte. Sie moralisirte ziemlich nachdrücklich über ihren Herrn Schwiegersohn; er ließ sich aber durch nichts aufbringen, und trank dann und wann ihre Gesundheit; doch einmal sagte er in seiner Begeisterung: Hören Sie auf zu keiffen, alte Frau Shirley. Unvergleichliche Henriette, was machen Sie denn mit einer so bösen Stiefmutter? Wollen Sie mich haben, so will ich Sie von dieser ungeheuren Frau befreien. Das war vortrefflich, es hätte nichts bessers zu Fräulein Julgens Befreiung können erdacht werden. Die Frau v. W. wurde dadurch so aufgebracht, daß sie, wider ihre Neigung, ihm ins Gesichte sagte: ihr Herr und sie, würden das Fräulein keinem irrenden Ritter geben, es möchte nun Ernst oder Scherz bei ihm seyn, so würde sie ihn nicht zum Schwiegersohne annehmen. Mein Herz wurde nun ganz leichte, unser Oncle verschlimmerte seine Sachen noch mehr, daß er über den Zorn der Frau v. W. heftig lachte. Sie sind doch meine Henriette, sagte er zu dem Fräulein, und sie würde einem derben Kusse nicht haben

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-26T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-26T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien
  • Der Seitenumbruch erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Worttrennungen am Zeilenende entfallen.
  • Das lange „s“ („ſ“) wird als normales rundes „s“ wiedergegeben.
  • Auslassungspunkte werden, unabhängig von der Anzahl der Punkte, als „…“ (Sonderzeichen Alt+0133) wiedergegeben.
  • Apostrophe werden durch das Sonderzeichen „’“ (Alt+0146) wiedergegeben (nicht durch die Variante auf der Tastatur).
  • Bindestriche werden durch den normalen Bindestrich „-“ wiedergegeben (nicht durch „=“).
  • Gleichheitszeichen „=“ werden als normale Gedankenstriche (Halbgeviertstriche) „–“ wiedergegeben.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_grandison01_1760
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_grandison01_1760/292
Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Grandison der Zweite, Oder Geschichte des Herrn v. N*** in Briefen entworfen. [Erster Theil.] Eisenach, 1760, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_grandison01_1760/292>, abgerufen am 22.11.2024.