Musäus, Johann Karl August: Grandison der Zweite, Oder Geschichte des Herrn v. N*** in Briefen entworfen. [Erster Theil.] Eisenach, 1760.Das Fräulein v. W. verdienet bedauert zu werden, daß sie in diese Händel ist verwickelt worden. Wenn ich sie aus ihren Briefen beurtheilen soll; so muß ich ihr einen vorzüglichen Plaz unter dem Frauenzimmer ihrer Gegend einräumen. Ich werde in die Versuchung gerathen, sie meiner Amalie an die Seite zu setzen, wenn ich mehr von ihr lese, und ich muß es gestehen, daß sie mir vor drei Jahren, da ich sie das lezte mal sahe, in ihren besten Putze nicht so reizend vorkam, als durch ihre nachläßige und angenehme Schreibart, die ich in den Briefen an ihre Freundin fand. Ich weiß, daß du nicht eifersüchtig bist über das Lob deiner Juliane, du weist also über diese Stelle keine Auslegungen machen. Der Nachricht, daß sich ihr Heirath mit unserm Oncle völlig zerschlagen hat, sehe ich mit Verlangen entgegen. Es ist nichts weniger als der Eigennutz, der mich antreibt, dieses zu wünschen; ich habe sonst keine Absicht dabei, als mir den Verdruß zu ersparen, dieses gute Fräulein misvergnügt zu sehen. Ich gehöre nicht Das Fräulein v. W. verdienet bedauert zu werden, daß sie in diese Händel ist verwickelt worden. Wenn ich sie aus ihren Briefen beurtheilen soll; so muß ich ihr einen vorzüglichen Plaz unter dem Frauenzimmer ihrer Gegend einräumen. Ich werde in die Versuchung gerathen, sie meiner Amalie an die Seite zu setzen, wenn ich mehr von ihr lese, und ich muß es gestehen, daß sie mir vor drei Jahren, da ich sie das lezte mal sahe, in ihren besten Putze nicht so reizend vorkam, als durch ihre nachläßige und angenehme Schreibart, die ich in den Briefen an ihre Freundin fand. Ich weiß, daß du nicht eifersüchtig bist über das Lob deiner Juliane, du weist also über diese Stelle keine Auslegungen machen. Der Nachricht, daß sich ihr Heirath mit unserm Oncle völlig zerschlagen hat, sehe ich mit Verlangen entgegen. Es ist nichts weniger als der Eigennutz, der mich antreibt, dieses zu wünschen; ich habe sonst keine Absicht dabei, als mir den Verdruß zu ersparen, dieses gute Fräulein misvergnügt zu sehen. Ich gehöre nicht <TEI> <text> <body> <div type="letter" n="1"> <pb facs="#f0352" n="337"/> <p> Das Fräulein v. W. verdienet bedauert zu werden, daß sie in diese Händel ist verwickelt worden. Wenn ich sie aus ihren Briefen beurtheilen soll; so muß ich ihr einen vorzüglichen Plaz unter dem Frauenzimmer ihrer Gegend einräumen. Ich werde in die Versuchung gerathen, sie meiner Amalie an die Seite zu setzen, wenn ich mehr von ihr lese, und ich muß es gestehen, daß sie mir vor drei Jahren, da ich sie das lezte mal sahe, in ihren besten Putze nicht so reizend vorkam, als durch ihre nachläßige und angenehme Schreibart, die ich in den Briefen an ihre Freundin fand. Ich weiß, daß du nicht eifersüchtig bist über das Lob deiner Juliane, du weist also über diese Stelle keine Auslegungen machen. Der Nachricht, daß sich ihr Heirath mit unserm Oncle völlig zerschlagen hat, sehe ich mit Verlangen entgegen. Es ist nichts weniger als der Eigennutz, der mich antreibt, dieses zu wünschen; ich habe sonst keine Absicht dabei, als mir den Verdruß zu ersparen, dieses gute Fräulein misvergnügt zu sehen. Ich gehöre nicht </p> </div> </body> </text> </TEI> [337/0352]
Das Fräulein v. W. verdienet bedauert zu werden, daß sie in diese Händel ist verwickelt worden. Wenn ich sie aus ihren Briefen beurtheilen soll; so muß ich ihr einen vorzüglichen Plaz unter dem Frauenzimmer ihrer Gegend einräumen. Ich werde in die Versuchung gerathen, sie meiner Amalie an die Seite zu setzen, wenn ich mehr von ihr lese, und ich muß es gestehen, daß sie mir vor drei Jahren, da ich sie das lezte mal sahe, in ihren besten Putze nicht so reizend vorkam, als durch ihre nachläßige und angenehme Schreibart, die ich in den Briefen an ihre Freundin fand. Ich weiß, daß du nicht eifersüchtig bist über das Lob deiner Juliane, du weist also über diese Stelle keine Auslegungen machen. Der Nachricht, daß sich ihr Heirath mit unserm Oncle völlig zerschlagen hat, sehe ich mit Verlangen entgegen. Es ist nichts weniger als der Eigennutz, der mich antreibt, dieses zu wünschen; ich habe sonst keine Absicht dabei, als mir den Verdruß zu ersparen, dieses gute Fräulein misvergnügt zu sehen. Ich gehöre nicht
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