Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Musäus, Johann Karl August: Grandison der Zweite, Oder Geschichte des Herrn v. N*** in Briefen entworfen. Zweiter Theil. Eisenach, 1761.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Maj. Mit dem Degen hoffe ich?
v. N. Keinesweges! Mit dem Degen vertheidige ich mich nur gegen Mörder und Feinde, ich ziehe ihn aber nicht gegen meine Freunde. Meinem irrenden Bruder helfe ich durch vernünftige Vorstellungen zu rechte. Dieses ist der beste Weg, den man wählen kann, ihn zu bessern, und ihn zur Erkenntniß seiner Fehler zu bringen.
Der Baron. Das ist bei meiner Ehre edel gesprochen!
Der Maj. Wenn sie immer so gedacht hätten, wie sie jetzo sprechen, so würde ich die Größe ihres Geistes bewundern. Da aber ihre Thaten nicht mit ihren Worten übereinstimmen, so setzen sie sich in den Verdacht, als wenn es ihnen an Muthe fehlte, Es scheint, daß sie ihre Furchtsamkeit in die Larve der Großmuth, die sie ihren Gevattersmanne abgezogen haben, verstecken wollen; aber die Verstellung ist zu sichtbar. Ein großmüthiger Mann beleidiget niemanden, und also hat er auch nicht nöthig, für
Der Maj. Mit dem Degen hoffe ich?
v. N. Keinesweges! Mit dem Degen vertheidige ich mich nur gegen Mörder und Feinde, ich ziehe ihn aber nicht gegen meine Freunde. Meinem irrenden Bruder helfe ich durch vernünftige Vorstellungen zu rechte. Dieses ist der beste Weg, den man wählen kann, ihn zu bessern, und ihn zur Erkenntniß seiner Fehler zu bringen.
Der Baron. Das ist bei meiner Ehre edel gesprochen!
Der Maj. Wenn sie immer so gedacht hätten, wie sie jetzo sprechen, so würde ich die Größe ihres Geistes bewundern. Da aber ihre Thaten nicht mit ihren Worten übereinstimmen, so setzen sie sich in den Verdacht, als wenn es ihnen an Muthe fehlte, Es scheint, daß sie ihre Furchtsamkeit in die Larve der Großmuth, die sie ihren Gevattersmanne abgezogen haben, verstecken wollen; aber die Verstellung ist zu sichtbar. Ein großmüthiger Mann beleidiget niemanden, und also hat er auch nicht nöthig, für
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <floatingText>
          <body>
            <div n="2">
              <pb facs="#f0110" n="108"/>
              <sp>
                <speaker><hi rendition="#fr">Der Maj</hi>.</speaker>
                <p>Mit dem Degen hoffe ich?</p>
              </sp>
              <sp>
                <speaker><hi rendition="#fr">v. N</hi>.</speaker>
                <p>Keinesweges! Mit dem Degen vertheidige ich mich nur gegen Mörder und Feinde, ich ziehe ihn aber nicht gegen meine Freunde. Meinem irrenden Bruder helfe ich durch vernünftige Vorstellungen zu rechte. Dieses ist der beste Weg, den man wählen kann, ihn zu bessern, und ihn zur Erkenntniß seiner Fehler zu bringen.</p>
              </sp>
              <sp>
                <speaker><hi rendition="#fr">Der Baron</hi>.</speaker>
                <p>Das ist bei meiner Ehre edel gesprochen!</p>
              </sp>
              <sp>
                <speaker><hi rendition="#fr">Der Maj</hi>.</speaker>
                <p>Wenn sie immer so gedacht hätten, wie sie jetzo sprechen, so würde ich die Größe ihres Geistes bewundern. Da aber ihre Thaten nicht mit ihren Worten übereinstimmen, so setzen sie sich in den Verdacht, als wenn es ihnen an Muthe fehlte, Es scheint, daß sie ihre Furchtsamkeit in die Larve der Großmuth, die sie ihren Gevattersmanne abgezogen haben, verstecken wollen; aber die Verstellung ist zu sichtbar. Ein großmüthiger Mann beleidiget niemanden, und also hat er auch nicht nöthig, für
</p>
              </sp>
            </div>
          </body>
        </floatingText>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[108/0110] Der Maj. Mit dem Degen hoffe ich? v. N. Keinesweges! Mit dem Degen vertheidige ich mich nur gegen Mörder und Feinde, ich ziehe ihn aber nicht gegen meine Freunde. Meinem irrenden Bruder helfe ich durch vernünftige Vorstellungen zu rechte. Dieses ist der beste Weg, den man wählen kann, ihn zu bessern, und ihn zur Erkenntniß seiner Fehler zu bringen. Der Baron. Das ist bei meiner Ehre edel gesprochen! Der Maj. Wenn sie immer so gedacht hätten, wie sie jetzo sprechen, so würde ich die Größe ihres Geistes bewundern. Da aber ihre Thaten nicht mit ihren Worten übereinstimmen, so setzen sie sich in den Verdacht, als wenn es ihnen an Muthe fehlte, Es scheint, daß sie ihre Furchtsamkeit in die Larve der Großmuth, die sie ihren Gevattersmanne abgezogen haben, verstecken wollen; aber die Verstellung ist zu sichtbar. Ein großmüthiger Mann beleidiget niemanden, und also hat er auch nicht nöthig, für

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-29T15:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-29T15:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-29T15:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien
  • Der Seitenumbruch erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Worttrennungen am Zeilenende entfallen.
  • Das lange „s“ („ſ“) wird als normales rundes „s“ wiedergegeben.
  • Auslassungspunkte werden, unabhängig von der Anzahl der Punkte, als „…“ (Sonderzeichen Alt+0133) wiedergegeben.
  • Apostrophe werden durch das Sonderzeichen „’“ (Alt+0146) wiedergegeben (nicht durch die Variante auf der Tastatur).
  • Bindestriche werden durch den normalen Bindestrich „-“ wiedergegeben (nicht durch „=“).
  • Gleichheitszeichen „=“ werden als normale Gedankenstriche (Halbgeviertstriche) „–“ wiedergegeben.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_grandison02_1761
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_grandison02_1761/110
Zitationshilfe: Musäus, Johann Karl August: Grandison der Zweite, Oder Geschichte des Herrn v. N*** in Briefen entworfen. Zweiter Theil. Eisenach, 1761, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/musaeus_grandison02_1761/110>, abgerufen am 24.11.2024.