Musäus, Johann Karl August: Grandison der Zweite, Oder Geschichte des Herrn v. N*** in Briefen entworfen. Dritter Theil. Eisenach, 1762.schlüßen kann. Es fragt sich nun hierbei, ob wir unser jetziges äußerliches Ansehen oder unsere Tracht zum Muster nehmen dürfen, wenn wir die Sitten der Vorwelt beurtheilen wollen? Ueberhaupt wird diese Frage verneinet, die Kleidertracht ist bei uns so vielen Veränderungen unterworfen und oft so wunderbar, daß man uns, wenn man überhaupt einen Schluß davon machen wollte, einen Monat für gesittete Völker halten, und den andern für Tartarn und Kalmucken erkennen würde, und in eben diesen Fehler würden wir auch verfallen, wenn wir andere eben so beurtheilen wollten. Wenn aber die Frage so bestimmt wird: ob wir in der äußerlichen Tracht nicht etwas als ein Principium cognoscendi annehmen können, den Zustand der Sitten und Gelehrsamkeit daraus zu beurtheilen: so wird dieses allerdings von verschiedenen Gelehrten behauptet, und haben den Bart der Männer als den Erkenntnißgrund des Zustandes der Sitten und Gelehrsamkeit angenommen, weil dieser nie eine Veränderung schlüßen kann. Es fragt sich nun hierbei, ob wir unser jetziges äußerliches Ansehen oder unsere Tracht zum Muster nehmen dürfen, wenn wir die Sitten der Vorwelt beurtheilen wollen? Ueberhaupt wird diese Frage verneinet, die Kleidertracht ist bei uns so vielen Veränderungen unterworfen und oft so wunderbar, daß man uns, wenn man überhaupt einen Schluß davon machen wollte, einen Monat für gesittete Völker halten, und den andern für Tartarn und Kalmucken erkennen würde, und in eben diesen Fehler würden wir auch verfallen, wenn wir andere eben so beurtheilen wollten. Wenn aber die Frage so bestimmt wird: ob wir in der äußerlichen Tracht nicht etwas als ein Principium cognoscendi annehmen können, den Zustand der Sitten und Gelehrsamkeit daraus zu beurtheilen: so wird dieses allerdings von verschiedenen Gelehrten behauptet, und haben den Bart der Männer als den Erkenntnißgrund des Zustandes der Sitten und Gelehrsamkeit angenommen, weil dieser nie eine Veränderung <TEI> <text> <body> <div type="letter" n="1"> <p><pb facs="#f0180" n="178"/> schlüßen kann. Es fragt sich nun hierbei, ob wir unser jetziges äußerliches Ansehen oder unsere Tracht zum Muster nehmen dürfen, wenn wir die Sitten der Vorwelt beurtheilen wollen? Ueberhaupt wird diese Frage verneinet, die Kleidertracht ist bei uns so vielen Veränderungen unterworfen und oft so wunderbar, daß man uns, wenn man überhaupt einen Schluß davon machen wollte, einen Monat für gesittete Völker halten, und den andern für Tartarn und Kalmucken erkennen würde, und in eben diesen Fehler würden wir auch verfallen, wenn wir andere eben so beurtheilen wollten. Wenn aber die Frage so bestimmt wird: ob wir in der äußerlichen Tracht nicht etwas als ein <hi rendition="#aq">Principium cognoscendi</hi> annehmen können, den Zustand der Sitten und Gelehrsamkeit daraus zu beurtheilen: so wird dieses allerdings von verschiedenen Gelehrten behauptet, und haben den Bart der Männer als den Erkenntnißgrund des Zustandes der Sitten und Gelehrsamkeit angenommen, weil dieser nie eine Veränderung </p> </div> </body> </text> </TEI> [178/0180]
schlüßen kann. Es fragt sich nun hierbei, ob wir unser jetziges äußerliches Ansehen oder unsere Tracht zum Muster nehmen dürfen, wenn wir die Sitten der Vorwelt beurtheilen wollen? Ueberhaupt wird diese Frage verneinet, die Kleidertracht ist bei uns so vielen Veränderungen unterworfen und oft so wunderbar, daß man uns, wenn man überhaupt einen Schluß davon machen wollte, einen Monat für gesittete Völker halten, und den andern für Tartarn und Kalmucken erkennen würde, und in eben diesen Fehler würden wir auch verfallen, wenn wir andere eben so beurtheilen wollten. Wenn aber die Frage so bestimmt wird: ob wir in der äußerlichen Tracht nicht etwas als ein Principium cognoscendi annehmen können, den Zustand der Sitten und Gelehrsamkeit daraus zu beurtheilen: so wird dieses allerdings von verschiedenen Gelehrten behauptet, und haben den Bart der Männer als den Erkenntnißgrund des Zustandes der Sitten und Gelehrsamkeit angenommen, weil dieser nie eine Veränderung
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